Freitag, 19. April 2024


Turbokapitalismus

An der New Yorker Börse ist er groß geworden. Gordon Gecko, ein Mann aus kleinen Verhältnissen, der an der Wallstreet mit Millionen jongliert.

Von Gerhard Schröder | 04.01.2000
    Gordon Gecko: "Ich zerstöre keine Unternehmen, ich befreie sie. Der entscheidende Punkt ist doch: Die Gier ist gut, die Gier ist richtig, sie klärt die Dinge. Und die Gier wird die Rettung für Teldar sein und für diese andere schlecht geführte Firma: Die USA."

    In Oliver Stones Film Wallstreet wird Gordon Gecko ein Opfer der eigenen Gier, nach 120 Minuten siegt das Gute über den finsteren Spekulanten. Ende der neunziger Jahre aber erlebt Gordon Gecko eine überraschende Renaissance, Werbestrategen erheben den einst Geschmähten zum Vorbild für mutige Kleinanleger.

    Werbung Comdirekt-Bank:"Du musst gnadenlos sein. Friss oder Stirb. New York, London, Frankfurt, Tokio, weltweit, Optionen, Futures. Bingo, Jackpot. ..."

    Der Kleinanleger im Globalisierungsfieber, online und per Mausklick dreht er mit am großen Rad, investiert frühmorgens in Tokio und verkauft am Abend an der Wallstreet. Nationale Grenzen verwischen, das Kapital zirkuliert weltweit in immer höherem Tempo. Die Weltwirtschaft ist in ein neues Zeitalter eingetreten, meint der nordamerikanische Ökonom Edward Luttwak.

    Edward Luttwak: "Ganze Regionen haben sich dem Markt geöffnet. Russland, China, Osteuropa. Selbst in den USA, dem kapitalistischsten Land der Welt, waren noch vor 20 Jahren die wichtigsten Industrien dem freien Wettbewerb entzogen. Der Staat bestimmte die Preise in wichtigen Branchen, zum Beispiel in der Luftfahrt, der Computerindustrie, im gesamten Agrarbereich. ..."

    Turbo-Kapitalismus hat Luttwak die neue Epoche getauft. Die Kräfte des Marktes entledigten sich der Fesseln, die ihnen die Politik bislang auferlegte.

    Gerhard Schröder:"Liebe Freunde, wir haben es geschafft. (Applaus) Die Banken haben soziale Verantwortung übernommen. Und wir werden dafür sorgen, dass das so bleibt."

    Vielleicht wird die Intervention von Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal als anekdotische Randnotiz in die Geschichte eingehen. Das waren noch Zeiten, als ein Regierungschef die Banken mit einem Machtwort an die Kandarre nehmen konnte und so tausende von Arbeitsplätze bei einem maroden Baukonzern rettete. Doch die Zeiten scheinen vorbei, als der Staat seine schützenden Hände über Bürger und Unternehmen hielt. Edward Luttwak hält das nicht für einen Verlust:

    Edward Luttwak: "Dieser alte, vom Staat beherrschte Kapitalismus war fürchterlich ineffizient. Die Überlegung liegt also auf der Hand: Wenn man die Hindernisse beseitigt, dann schnellt das Wachstum explosionsartig in die Höhe."

    Seattle, Anfang Dezember 1999. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Der Bürgermeister verhängt den Notstand und eine Ausgangssperre, die Polizei liefert sich heftige Straßenkämpfe mit Demonstranten. Gewerkschafter, Umweltschützer und 3-Welt-Gruppen protestieren gegen die Konferenz der Welthandelskonferenz WTO, die den Fahrplan für die weitere Liberalisierung des Welthandels festlegen will. Jessica Woodgroff von der britischen Nichtregierungsorganisation Movemment for Development:

    Jessica Woodgroff:"Es gibt keine freien Märkte. Die Frage ist nicht, ob der Markt reguliert wird, sondern von wem und zu welchem Zweck. Regulieren wir den Markt im Interesse der Bevölkerung oder im Interesse des Profits. Derzeit findet die Liberalisierung im Interesse der Unternehmen statt."

    Markttheoretiker sehen das anders. Baut man die Handels- und Investitionshemmnisse weltweit ab, so ihr Kalkül, dann stärkt dies den Wettbewerb. Und mehr Wettbewerb bedeute: Mehr Effizienz, mehr Wachstum, und mehr Wohlstand. Doch vom weltweiten Strukturwandel, so fürchtet der Ökonom Luttwak, profitiert nur eine kleine Minderheit:

    Edward Luttwak:"Es ist wie auf einer Straße, auf der man die Ampeln entfernt. Die Schnellsten sprinten davon, die Langsamen bleiben zurück. Die Diagnose ist eindeutig. Nach einem Jahrhundert, in dem sich die Einkommen und die gesellschaftlichen Gegensätze mehr und mehr angeglichen haben, erleben wir nun das Gegenteil. Die Gesellschaften driften auseinander. 30 Prozent der Gesellschaft profitieren, der Rest fällt zurück."

    Kritisch sehen auch Wettbewerbstheoretiker die enorme Machtkonzentration, die die Globalisierung mit sich bringt. Fusionen, Übernahmen und Beteiligungen lassen immer größere internationale Konzerne entstehen. Wer kontrolliert die neuen Großkonzerne, wer verhindert die Entstehung von Monopolen. Dieter Wolff, bis zum Ende des vergangenen Jahres Präsident des Bundeskartellamtes, fordert eine strengere, länderübergreifende Kontrolle:

    Dieter Wolff:"Die ökonomischen Chancen sind enorm, will ich nicht kleinreden, bin ja nicht gegen die Globalisierung. Nur, wir vergleichen uns gern mit Schiedsrichtern beim Fußballspiel. Wenn Feld sich verdoppelt, dann muß man sich bei Schiedsrichtern was neues einfallen lassen. Können das alles nicht abdecken. Muß man auch mal die rote Karte zeigen. Wenn man das nicht macht, dann setzt sich nur noch durch, wer die härteren Ellbogen hat."

    Die Welt, beherrscht von einer Handvoll Großkonzernen, eine Vision, die der Nordamerikaner Edward Luttwak nicht für völlig abwegig, aber für vermeidbar hält. Doch da sieht er die Europäer schlecht vorbereitet. Er empfiehlt als Vorbild die USA und den Fall Microsoft.

    Edward Luttwak: "In den USA ist die Demokratie tiefer verwurzelt. Es gibt einen Konsens, daß Machtkonzentration nicht geduldet wird. Das ist die Grundlage des politischen Gleichgewichts. In Europa ist das anders. In Großbritannien hätte man Bill Gates zum Lord Gates of Windows ernannt, in Italien wäre er Senator auf Lebenszeit. In den USA dagegen startet die Regierung ein Kartellverfahren gegen Microsoft mit dem Ziel, den Konzern zu vernichten oder ihn in drei oder vier Teile zu zerschlagen. "

    Der Turbo-Kapitalismus, so fügt Edward Luttwak hinu, sei wie ein Ferrari. Wenn man ihn den nur die Bremsen eines Trabis einbaut, dann fährt man an die Wand.