Donnerstag, 18. April 2024

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Türkei und USA
"Man muss zwischen zwei Übeln wählen"

Beim Bündnis mit der Türkei haben die USA auf die Bekämpfung des IS gesetzt und den Konflikt zwischen Ankara und den Kurden zurückgestellt, sagte Jackson Janes im DLF. Wenn der IS bekämpft sei, könne man Druck auf die Türkei im Hinblick auf die Kurden ausüben. "Es ist eine Qual der Wahl", sagte der amerikanische Politikwissenschaftler.

Jackson Janes im Gespräch mit Peter Kapern | 29.07.2015
    Es sei eine Frage der Reihenfolge, betonte Janes. "Der Hauptfeind (der USA) ist IS und diesen wollen sie ausradieren", erklärte er die Strategie. Dazu bräuchten die Amerikaner die Türkei.
    "Das ist eine peinliche Situation, die man nicht kontrollieren kann. Man ist davon ausgegangen, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht in einer starken Situation sitzt", sagte Janes weiter. "Es ist eine gequälte US-Politik". Er nannte die Lage im Nahen und Mittleren Osten ein "multidimensionales Schachspiel".
    Zu Erdogans neu aufgenommenem Kampf gegen die PKK sagte Janes: "Er fürchtet einen Kurdenstaat. Das ist sein Hauptfeind". Die Amerikaner hingegen müssten sehen, dass die umliegendem Länder stabilisiert werden, um die Zukunft der ganzen Region zu sichern. "Egal, wohin man schaut, es ist eine Qual der Wahl. Man muss zwischen zwei Übeln wählen. Das Problem ist, dass sich in der gesamte Region Krebs (die IS) ausbreiten kann".
    Die Vereinbarung zwischen den USA und der Türkei soll weiter Druck auf die islamische Terrororganisation IS aufbauen, auch wenn die USA damit das Ende des gewünschten Friedensprozess zwischen Türkei und den Kurden in Kauf genommen haben. Der türkische Präsident Erdogan hatte den Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK am Dienstag beendet. Die Kurden, darunter Anhänger der PKK und der Kurdenpartei HDP, sind gegenwärtig die einzigen, die gegen den IS Widerstand leisten.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Mindestens frustrierend, wenn nicht gar blamabel fällt die bisherige Bilanz der USA gegen den sogenannten Islamischen Staat aus. Die Koalition der Willigen fliegt Luftangriff auf Luftangriff, aber die Steinzeitislamisten wanken nicht. Kein Wunder also, dass der neue Anti-IS-Pakt zwischen Washington und Ankara nun von der US-Regierung als Game Changer, als Vereinbarung, die alles ändern wird, geradezu gefeiert wird. Die Verabredung, muss man befürchten, sieht ungefähr so aus: Die Türkei steigt in den Kampf gegen den IS ein, dafür gibt es Rückendeckung aus Washington, wenn Ankara den Friedensprozess mit der PKK pulverisiert. Ist das kluge US-Außenpolitik? Bei uns am Telefon der amerikanische Politikwissenschaftler Jackson Janes. Guten Morgen!
    Jackson Janes: Morgen!
    Kapern: Mister Janes, die USA sind bereit, für eine türkische Unterstützung im Kampf gegen den IS einen Rückfall in die dunkelste Zeit des türkisch-kurdischen Konflikts in Kauf zu nehmen. Das ist der Eindruck. Stimmt der?
    Janes: Es ist ja eine Frage der Reihenfolge jetzt, glaube ich. Die Amerikaner sehen eigentlich den Hauptfeind drüber in ISIS und wollen die natürlich ausradieren. Wenn sie das nicht allein machen können, dann brauchen sie die Hilfe von der Türkei, worauf sie seit einer ganzen Zeit pressieren. Also wenn das tatsächlich dann eine Qual der Wahl ist, dann sehe ich das so: Erst mal die ISIS ausradieren mit der Hilfe der Türkei, und dann hoffen, dass das, was Sie eben geschildert haben, nicht zustande kommt.
    Kapern: Kennt man Goethes Zauberlehrling in den USA, die Geschichte von demjenigen, der die Geister, die er rief, dann nicht mehr loswird?
    "Das ist so ein multidimensionales Schachspiel"
    Janes: Ja, das ist wirklich wahr. Ich meine, das ist eine peinliche Situation, die man nicht kontrollieren kann. Aber ich glaube schon, dass davon ausgegangen wird, dass Erdogan selbst eigentlich nicht in einer starken Situation sitzt, und insofern kann man eventuell, wenn die erste Aufgabe erledigt ist, dann versuchen, ihm auf Druck zu sagen, hier lang geht es nicht, wir brauchen die Kurden. Aber das ist so ein multinationales Schachspiel, und es geht um Iran, es geht um Irak, es geht um Afghanistan – es ist ein Sumpf oder ein Quagmire, wie wir das auf Englisch nennen.
    Kapern: Dann fügen wir diesem multidimensionalen Schachspiel noch ein paar Dimensionen hinzu: Der wichtigste Verbündete der USA im Kampf gegen den IS, das sind die Kurden, gegen die Erdogan jetzt vorgeht. Zwar gegen eine andere Fraktion, eine andere Gruppierung, aber man weiß ja nicht, ob alle Kurden tatsächlich dieser feinsinnigen Unterscheidung folgen. Zerbricht nicht der eine Teil der Anti-IS-Koalition dadurch, dass die USA jetzt einen neuen Teil dieser Koalition mit der Türkei geschmiedet haben?
    Janes: Das kann durchaus sein. Die Frage ist natürlich, was die Kurden davon haben. Im Moment, ich glaube, das, was die Türken beziehungsweise sagen wir mal so, Erdogan fürchtet, ist natürlich ein kurdischer Staat. Das ist natürlich sein Hauptfeind. In dem Sinne müssen wir natürlich dann, die Amerikaner, müssen mal sehen, was wollen die am Ende nicht nur im kurdischen Bereich haben, sondern auch dann, ist der Irak stabilisiert. Was ist die Zukunft von Syrien? Was ist die Zukunft der gesamten Region. Und meiner Meinung nach ist das Problem nicht mit einem Handschlag zu machen mit der Türkei. Insofern glaube ich, wir können die Geister hervorrufen, keine Frage. Aber ich glaube, die Amerikaner sagen, erst mal das erste Problem lösen, und mal sehen, ob wir die restlichen lösen können, später.
    Kapern: Nun könnte das ganze Kalkül aus türkischer Sicht noch ganz anders aussehen. Es gibt ja Leute, die sagen, der Hauptgegner von Erdogan, das ist gar nicht der IS, sondern das ist nach wie vor Syriens Diktator Baschar al-Assad. Möglicherweise werden die USA durch ihren Verbündeten, die USA, jetzt da noch viel tiefer in den Syrienkonflikt hineingezogen, als Washington das lieb sein kann.
    Janes: Ja eben. Übrigens, wenn wir davon ausgehen, welche Innenpolitik Erdogan betreibt, ganz transparent, wie es dann ist, ist auch Innenpolitik der amerikanischen Regierung genauso im Spiel. Obama hat lange versucht, sich irgendwie herauszuhalten von einem tieferen Einschnitt in diesen syrischen Krieg. Und jetzt ist vielleicht die Gefahr wieder mal auf der Tagesordnung, dass wir hineingezogen werden, gerade, wenn man von dieser sogenannten Sicherheitszone redet. Also insofern, egal, wo man schaut, es ist eine Qual der Wahl.
    Kapern: Ist es auch schlechte US-Außenpolitik?
    Janes: Schlechte Außenpolitik insofern, dass man eines von zwei Übeln wählen muss. Und ich glaube nicht, dass man sagen kann, ISIS ist nicht unbedingt weniger wichtig, als es vorgestern war. Das Problem ist, glaube ich, dass dann dieser Krebs sich in der gesamten Region ausbreiten kann. Und ich glaube, die Amerikaner sehen das so. Die wollen erst mal das Problem lösen, und dann sehen wir mal, ob wir die gesamte Sicherheitslage besser koordinieren können. Ohne das Problem gelöst zu haben, glaube ich nicht, dass man weiterkommt. Insofern ist es nicht eine schlechte Politik, es ist nur eine gequälte Politik.
    "Die Amerikaner haben einen hohen Preis bezahlt"
    Kapern: Ist denn diese Vereinbarung, die es da offenbar zwischen Washington und Ankara gibt, ist das tatsächlich der Game Changer, von dem in der US-Presse zu lesen war?
    Janes: Nennen Sie mir einen Game Changer in den letzten 40 Jahren im Nahen Osten. Ich meine, es ist eine Reihe von Ereignissen, die eigentlich dann passieren wird, und das Problem ist, es ist wie immer in Kriegen, es ist quasi der Krieg, wo das erste Opfer dabei die Wahrheit ist. Insofern glaube ich nicht, dass man sagen kann, dass das, was mit diesem Deal zu erreichen ist, absolut abgesichert ist. Aber zumindest ist die Möglichkeit, dass das Problem, dieses ISIS-Problem, vielleicht mal erobert werden kann. Denn die Amerikaner haben einen hohen Preis bezahlt. Die wollen ja zwei Luftgeländer benutzen. Ist das der Preis? Oder ist der Preis zu hoch? Wir werden das nicht mal beurteilen können, es dauert noch.
    Kapern: Zu der Vereinbarung zwischen Washington und Ankara gehört ja die Einrichtung einer Sicherheitszone. Man kann sich kaum vorstellen, wie das funktionieren soll ohne Bodentruppen und wie das funktionieren soll ohne Verhängung einer Flugverbotszone. Können Sie sich das ausmalen?
    Janes: Nein. Denn ich glaube, das ist ja sehr vage. Ich meine, momentan gibt es auch Streit zwischen der Türkei und den Amerikanern, was sie überhaupt damit meinen. Ich glaube, die Amerikaner sagen, die Sicherheitszone sollte dazu dienen, dass diese zwei Millionen, diese Flüchtlinge irgendwo wieder einen Platz auf der Welt haben. Und wie das zu meistern ist, und wie das zu organisieren ist, das ist längst nicht klar und nicht deutlich zwischen Ankara und Washington. Aber es ist zumindest einen Versuch wert, weil wir haben ja schließlich fast zwei Millionen Leute auf der Flucht. Und die müssen irgendwo auch gerettet werden. Insofern ist das auch eine Priorität der Regierung.
    EU und USA müssen gemeinsam mit Erdogan reden
    Kapern: Es gibt, Mister Janes, noch einen Kollateral-Schaden, einen möglichen, über den wir in diesem Zusammenhang sprechen müssen, und das sind die europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten, die ja dem Kurdenkonflikt viel näher stehen, als es die USA auf der anderen Seite des Atlantiks sind. Wir alle hier erinnern uns an die Zeiten, in denen der türkisch-kurdische Konflikt wirklich aufflammte und es hier, beispielsweise in Deutschland, Autobahnblockaden gab und brennende Barrikaden und dergleichen mehr. Glauben Sie, dass sich Berlin oder Paris oder London schon in Washington bedankt haben dafür, dass Washington Erdogan freie Hand gibt bei seinem Vorgehen gegen die Kurden?
    Janes: Ich meine, sehen Sie mal, wenn Sie sagen, wir sind hier nicht so nahe dran, ich glaube, das ist nicht so ganz richtig. Wir haben alle eine unheimlich wichtige Angelegenheit jetzt vor uns, die wir teilen eigentlich. Die Stabilität in dem Lande, sei es die Türkei, sei es Syrien, sei es Irak, egal wo Sie schauen, da haben wir einen gemeinsamen Nenner dabei. Und insofern glaube ich nicht, dass wir kontrollieren können, was Erdogan macht, so wenig wie die Europäer. Aber da können wir nicht einfach so zweischneidig fahren wie gestern oder vorgestern in Brüssel. Wir sagen, wir stehen solidarisch mit Erdogan, aber sie dürfen das und dieses und jenes nicht. Das, glaube ich, ist nicht sehr effektiv. Und die Frage ist nicht nur, was die Amerikaner machen, sondern auch, was die Alliierten zusammen tun können, um Erdogan hier mal ein mahnendes Wort zu sagen. Und das ist bisher nicht geschehen.
    Kapern: Das heißt, die USA lassen zuerst den Geist aus der Flasche, und die Europäer müssen ihn dann wieder einfangen?
    Janes: Nein, das glaube ich nicht. Ich meine, Sie können das nicht ohne die Amerikaner machen. Das Problem ist, inwieweit wir dann tatsächlich gemeinsam hier mit Erdogan reden können und ihn dann diese Geister zusammenzusammeln, damit wir nicht dann irgendwo in diese Lage kommen, die Sie eben beschrieben haben. Aber das ist nicht eine Entweder-oder-Geschichte. Das muss eigentlich dann ein Sowohl-aus-auch sein, Europa und Amerika, anfassen.
    Kapern: Sagt der Politikwissenschaftler Jackson Janes vom American Institute for Contemporary German Studies. Mister Janes, vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten heute früh. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag nach Kiel, wo Sie auf Verwandtschaftsbesuch sind. Danke für das Interview!
    Janes: Danke! Und Sie nächste Woche. Okay, danke schön, Herr Kapern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.