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Türkische Schulen in Deutschland
Diskussionen unter Deutsch-Türken

Drei Schulen will die Türkei in Deutschland eröffnen. Das sorgt für politische Diskussionen, denn Lehrinhalte und Personal können die Einrichtungen selbst bestimmen. Und auch die türkische Community ist bei dem Vorschlag gespalten.

Von Nalan Sipar | 23.01.2020
28.10.2019, Hessen, Frankfurt/Main: Schüler einer siebten Klasse in der Frankfurter Ernst-Reuter-Schule melden sich beim Islamunterricht. Das Land Hessen streitet bereits seit Monaten über die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen türkischen Moscheeverband Ditib beim islamischen Religionsunterricht. Um bei einem Ausstieg von Ditib gewappnet zu sein, bietet das Land seit diesem Schuljahr in alleiniger staatlicher Verantwortung für die Schüler der Jahrgangsstufe sieben das neue Fach Islamunterricht an. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa | Verwendung weltweit
Auslandsschulen müssen generell Lerninhalte vermitteln, die mit denen der öffentlichen Schulen gleichwertig sind. Doch über die Lehrmethoden und das Personal können die Schulen selbst entscheiden. (dpa / Frank Rumpenhorst)
Heißer türkischer Tee mit Baklava darf nicht fehlen, wenn sich Gül Can mit ihren Freundinnen zu Hause in Berlin Neukölln trifft. Drei der vier Frauen haben Kinder im Schulalter. Dass Erdogan in Deutschland drei türkische Schulen eröffnen will – es ist ein wichtiges, ein kontroverses Thema für die Mütter. Die 32-jährige Can, die als Ergotherapeutin arbeitet, ist absolut dagegen:
"Meine Kinder wachsen hier auf. Ich möchte, dass sie nach deutscher Politik und Demokratie aufwachsen, denn ich lebe in Deutschland. Wir alle haben die deutsche Staatsbürgerschaft, Deutschland ist mir viel wichtiger. Die Türkei sollte hier keine Schulen eröffnen."
Diskussionen im Freundeskreis
Ihre Freundin Gaye Topdemir widerspricht. Sie selber wohnt erst seit drei Jahren in Deutschland und wünscht sich, dass ihre Kinder die türkische Sprache in der neuen Heimat nicht verlernen. Deshalb wäre eine Schule gut, an der auf Türkisch unterrichtet werde, sagt die Umweltingenieurin. Eine politische Beeinflussung will sie aber nicht.
"Genau, das darf nichts Politisches sein. Aber wenn es wirklich um die Bildung geht und sie eine gute Qualität anbieten, warum nicht? Die Frage ist aber: Können sie Qualität anbieten?"
"Also ich sehe da den Sinn nicht, ich meine, es ist cool, dass irgendjemand die Idee hat hier Schulen zu eröffnen. Aber..."
"Würdest du nicht wollen, dass dein Kind Türkisch lernt?"
"Ja, aber das ist ja was anderes. Du kannst es ja extra zu einem Kurs schicken, aber man muss nicht unbedingt auf eine türkische Schule gehen. Ich war auch nie bei einem Türkischkurs."
Aylin Özen gehört der dritten türkischen Generation an. Obwohl zu Hause Türkisch gesprochen wurde, zieht sie es vor, Deutsch zu reden. Die Muttersprache ihrer Eltern beherrscht sie nur bruchstückhaft. Hätte Özen Kinder, sie würde sie nicht auf die türkische Schule schicken, denn die deutsche Sprache ist ihr wichtiger.
"Deutsche Lehrer unterrichten nicht nach unserer Kultur"
Hasan Bal ist ganz anderer Meinung. In einem türkischen Café in Kreuzberg erklärt der 35-jährige Arbeiter, warum er seinen heute dreijährigen Sohn nur ungern auf eine deutsche Schule schicken würde.
"Türkische Lehrer würden Kindern mehr Disziplin beibringen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich weiß, wie die deutschen Lehrer sind, sie sind nicht schlecht, klar, aber sie unterrichten halt nicht nach unserer Kultur. Es gibt zum Beispiel ein Kopftuchverbot an den Schulen. Was geht sie das an? Man kann zur Schule gehen, wie man will."
Würde der türkische Staat eine solche Schule in Berlin eröffnen, Hasan Bal würde sogar Schulgeld zahlen, so sehr ist er von dieser Idee überzeugt. Noch ist allerdings nichts entschieden.
Schulen entscheiden über Lehrmethoden und Personal
Das Abkommen über die geplanten Schulen liegt als Entwurf den Bundesländern zur Prüfung vor. Auslandsschulen müssen generell Lerninhalte vermitteln, die mit denen der öffentlichen Schulen gleichwertig sind. Doch über die Lehrmethoden und das Personal können die Schulen selbst entscheiden. Besonders dieser Punkt ist im türkischen Fall noch strittig. Der hessische CDU-Kultusminister Ralph Alexander Lorz – bis vor kurzem noch Chef der Kultusministerkonferenz – erläutert die Konfliktlinien:
"Es ist sowieso klar, dass, soweit es um die deutschen Fächer, deutsches Curriculum und die deutschen Abschlüsse geht, dass nur in Deutschland ausgebildete Lehrer unterrichten können. Aber wenn es um den zweiten Abschluss geht, darum, dass die Schulen ein türkisches Abitur oder einen ähnlichen Schulabschluss ermöglichen sollen, dann braucht man natürlich auch Lehrkräfte aus dem türkischen System. Wie man die bestimmt, da wollen wir ein Wörtchen mitzureden haben, das muss noch im Einzelnen ausgemacht werden."
Erdogans langer Arm in Deutschland?
Und es gibt grundsätzliche Befürchtungen: Werden diese Schulen Erdogans langer Arm in Deutschland? Vor zwei Jahren ließen Meldungen aus Nordrhein-Westfalen aufhorchen: Türkische Konsulate sollen dort Schüler und Lehrer zur Spitzelei aufgefordert haben. Sie sollten angebliche Anhänger des islamischen Predigers Fetullah Gülen melden. Der hessische Kultusminister Alexander Lorz stellt klar:
"Wie bei allen Ersatzschulen würden sie im vollen Umfang der staatlichen Schulaufsicht unterliegen. Und Sie dürfen sicher sein, dass wir in diesem Punkt ganz besonders scharf hinschauen würden aufgrund einschlägiger Erfahrungen."
Welche Eltern könnten ein Interesse daran haben, ihre Kinder in eine türkische Schule zu schicken? Väter wie Hasan Bal, der die türkische Sprache und Kultur der deutschen vorzieht, der sich für seine Kinder Lehrerinnen mit Kopftuch wünscht. Aber auch türkische Akademiker und Künstler, die vor Erdogans System Schutz in Deutschland gesucht haben.
"Muttersprache ist wichtig"
Aya Kocatürk zum Beispiel. Ihr Ehemann arbeitete an einem staatlichen Theater, von heute auf morgen wurde ihm gekündigt. Die Familie sorgte sich um die Zukunft ihrer Kinder und kam nach Deutschland. Die Künstlerin hat ihre neunjährige Tochter auf die europäisch-türkische Aziz Nesin Schule in Berlin geschickt. "Die Muttersprache ist wichtig für die psychische Stabilität meiner Tochter", erklärt Aya Kocatürk.
"Meine Tochter musste ihre Wohnung, ihre Freunde, alles hinter sich lassen und von heute auf morgen hier in Deutschland ein neues Leben anfangen. Wir haben diese Schule ausgewählt, weil wir die Sorge hatten, sie könnte auf einer deutschen Schule sehr traurig werden, wenn sie nichts versteht."
Kritik von Grünen-Politiker
Die Türkei scheint es eilig zu haben, ihr Schulsystem in Deutschland zu etablieren. Im April letzten Jahres bereits wurde eine gemeinnützige Gesellschaft, eine Tochter der türkischen Maarif-Stiftung, in Köln gegründet und ins Handelsregister eingetragen. Die Stiftung verfolgt das Ziel, bildungspolitische Interessen der Türkei im Ausland durchzusetzen.
Das ruft Kritik hervor, etwa beim Grünenpolitiker Volker Beck. Erdogan wolle damit einen noch stärkeren politischen Einfluss auf die türkische Community in Deutschland nehmen, glaubt er. Diese Auslandsschulen seien eine Gefahr für die Integration, so der frühere Bundestagsabgeordnete.