Dienstag, 23. April 2024

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Turner: Mit der Keksspende öffnet Bahlsen dem Krümelmonsterdieb die Tür

Das Angebot der Firma Bahlsen, Kekse an karitative Einrichtungen zu spenden, ermöglicht dem als Krümelmonster verkleideten Dieb, den geklauten Goldkeks ohne polizeiliches Eingreifen zurückzugeben, sagt der Werbefachmann Sebastian Turner. Der Diebstahl des Firmenwahrzeichens an sich habe einen gewissen Charme, der aber in der Öffentlichkeit auch bald umschlagen könnte.

Christine Heuer im Gespräch mit Sebastian Turner | 02.02.2013
    Christine Heuer: An diesem Keks dürfte sich das Krümelmonster die Zähne ausbeißen: In Hannover ist ein 20 Kilo schwerer, vergoldeter Bahlsen-Keks, Wahrzeichen an der Firmenfassade, entwendet worden. Es gab ein Bekennerschreiben mit Unterschrift und Foto des Krümelmonsters. Und auch Forderungen: Kekse für kranke Kinder, aber die mit Vollmilch, und eine Spende an ein Tierheim, sonst wird der Goldkeks nicht zurückgegeben! Die Polizei ermittelt.
    Und am Telefon ist Sebastian Turner, Werbefachmann, er war parteiloser Kandidat für das Oberbürgermeisteramt in Stuttgart, daher ist er uns mindestens geläufig. Guten Morgen, Herr Turner!

    Sebastian Turner: Guten Morgen!

    Heuer: Über den Kekskrimi von Hannover berichten deutsche, inzwischen auch ausländische Medien. Wer hat's erfunden, Herr Turner, wer könnte dahinterstecken?

    Turner: Also, ich schließe mal aus, dass es Bahlsen ist. Wenn es Bahlsen gemacht hätte, wäre es hoch riskant, dann müssten sie es so anlegen, dass sie da gut rauskommen, sonst würde man sagen, die haben die Öffentlichkeit hinters Licht geführt, und eine heitere Reaktion würde umschlagen in Unverständnis und mangelnde Glaubwürdigkeit. Es kann auch sein, dass da Buntmetalldiebe auf einmal gemerkt haben, das Ding können sie nirgendwo verkaufen, und jetzt auf anderem Wege versuchen, da wieder herauszukommen. Natürlich eine lustige Aktion!

    Heuer: Was daran ist eigentlich so lustig, was erregt so viel Aufmerksamkeit?

    Turner: Es ist das Entwenden eines Symbols und dann ein Auflösen mit einer Geschichte, die jeder, der in der Kindheit die "Sesamstraße" gesehen hat, nachverfolgen kann. Das ist der eigentliche Charme. Jeder kennt das Krümelmonster und jeder fragt sich, wie geht die Geschichte weiter. Insofern ist es noch für beide Seiten, für den Dieb und für Bahlsen auf einem guten Weg. Es kann aber kippen, je nachdem, wie sich die Beteiligten verhalten.

    Heuer: Wenn wir Ihre These mal aufgreifen, es könnten Buntmetalldiebe sein, wie geht die Geschichte denn dann aus, wenn das so wäre?

    Turner: Na ja, wenn die die Sache jetzt zurückgeben, wenn Bahlsen Kinderheimen und anderen Einrichtungen Kekse spendet, dann gibt es nur Sieger. Aber wenn die Polizei jetzt schneller ist und wenn sich dann herausstellt, die Leute haben andere Sachen auf dem Kerbholz, dann wird die Öffentlichkeit es nicht mehr gut finden.

    Heuer: Also, es müsste schnell gehen?

    Turner: Also, diejenigen, die den Keks entführt haben, die müssten den möglichst schnell herausrücken. Zumal Bahlsen ja auch ein Stück weit augenzwinkernd reagiert hat. Die haben jetzt noch ein bisschen Zeit und danach wird die Öffentlichkeit sagen, das geht eigentlich nicht in Ordnung. Also, die Regelverletzung sollte nicht zu groß sein.

    Heuer: Ein Stück weit augenzwinkernd ist gut beschrieben. Bahlsen reagiert ja eigentlich sehr ernsthaft auf die ganze Geschichte, es dementiert die Urheberschaft, es lässt sehr ernsthaft ermitteln. Ist das eine gute Reaktion oder ließe sich diese Reaktion verbessern, der Umgang Bahlsens mit dem Thema?

    Turner: Also, wenn sie sagen, wenn wir das Ding zurückbekommen, dann machen wir eine Keksspende, das ist eigentlich schon ganz in Ordnung. Auf der anderen Seite ist es so, es ist ja eine Straftat und deswegen dürfen sie als Unternehmen auch nicht zu weit gehen und sie wollen ja auch nicht eine Einladung aussprechen, dass ihnen am Ende noch die Autos geklaut werden. Also, das ist eine Gratwanderung. Aber indem sie sagen, wir machen was, wenn ihr es zurückgebt, öffnen sie eigentlich die Tür und strecken die Hand aus.

    Heuer: Ist Ihnen aufgefallen, Herr Turner, dass das Kostüm in Wahrheit gar nicht das Krümelmonsterkostüm ist, sondern ein blau gefärbter Kermit?

    Turner: Das ist Kermit, ja, das ist Kermit in Blau. Also, vielleicht ist Kermit blau, vielleicht hat er Jägermeister getrunken und vielleicht geht's darum.

    Heuer: Das ist möglich, wir werden es hoffentlich bald herausfinden. Jetzt das Krümelmonster, im US-Wahlkampf haben wir Bibo im Auftritt gesehen, was kommt als Nächstes, Herr Turner?

    Turner: Das ist eine gute Frage, es gibt ja nicht nur Bahlsen, die Kekse herstellen, also, vielleicht entpuppt sich das Krümelmonster als ein Ring, der jetzt weitere Kekshersteller behelligt. Aber vielleicht kommt auch Stammtaler und sagt sich, da gibt es einen Autohersteller und da wollen wir mal vom Bahnhof oben den Stamm runter ... Also, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wobei man immer sehen muss, wenn man die Regelverletzung zu weit treibt, dann haben die Leute kein Verständnis. Ich selbst habe mal als Schüler eine Reise gemacht, so einen Schüleraustausch in die DDR, und habe da meine Badehose vergessen. Und habe dann aus Westdeutschland an die DDR einen Brief geschrieben und einen Ausreiseantrag auf meine Badehose gestellt. Und dann haben die tatsächlich eine Badehose zurückgeschickt, nicht die, die von mir war, die haben sie nicht gefunden, aber die haben mir eine DDR-Badehose geschickt. Und diese Art von witziger Reaktion, die Unternehmen - jetzt auch zum Beispiel die Bahn bei einer Frau, die auf Facebook Schluss gemacht hat -, diese Art von witzigen Reaktionen, die bringen eigentlich immer sehr viel Sympathie, sogar für eine Diktatur. Also, das ist vielleicht etwas, wo Bahlsen noch ein bisschen nachlegen kann und wo Kunden auch die Unternehmen, mit denen sie zu tun haben, herausfordern können.

    Heuer: Ihre Badehose, Bernd, das Brot, wurde auch einmal entführt. Solche Inszenierungen haben in Deutschland ja eine gewisse Tradition. Ist das was besonders Deutsches?

    Turner: Das glaube ich nicht! Also, ich glaube, dass es überall, wo Menschen miteinander im Gespräch sind, wo es Dialog gibt, wo Augenzwinkern fehlt. Also, ich glaube nicht, dass es typisch deutsch wäre. Wahrscheinlich würde man, wenn man recherchiert, tollste Beispiele von überall finden.

    Heuer: Der Werbefachmann Sebastian Turner, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Turner!

    Turner: Guten Morgen!

    Heuer: Ja, guten Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.