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"Tuttifäntchen"
Hindemiths Weihnachtsmärchen

Zum 50. Todestages am 28. Dezember wird das einstige Enfant terrible der zeitgenössischen Musik, Paul Hindemith, mit zahlreichen Veröffentlichungen geehrt. Die Neueinspielung des Weihnachtsmärchen "Tuttifäntchen" zeigt dabei ein ganz anderes Bild des Komponisten.

Von Klaus Gehrke | 15.12.2013
    Im Mittelpunkt steht diesmal eine Aufnahme von Paul Hindemiths "Tuttifäntchen" mit Bele Kumberger, Nora Lentner, Annika Schlicht, Sebastian Bluth und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Johannes Zurl, die beim Label CPO erschienen ist.
    Hindemith, Tuttifäntchen, Vorspiel 1. Akt
    Es klingt so gar nicht nach Skandal und Rebellion, das 1922 komponierte Vorspiel zum Weihnachtsmärchen mit Gesang und Tanz "Tuttifäntchen": Dabei hatte sein Schöpfer Paul Hindemith gerade in dieser Zeit durch provokante Werke wie den Kammermusiken, der Suite für Klavier 1922, in der Tasteninstrument laut Spielanweisung unter anderem wie eine Art interessantes Schlagzeug zu behandeln sei, sowie durch die Operneinakter "Mörder, Hoffnung der Frauen" oder "Sancta Susanna" für Furore gesorgt. Letztere durfte sogar wegen moralischer Bedenken zunächst nicht aufgeführt werden. Vor allem konservative Kritikerkreise sahen in dem jungen Komponisten einen rücksichtslosen Neutöner, der alle tradierten Werte respektlos über Bord warf und sich von banaler Unterhaltungsmusik inspirieren ließ.
    Andere dagegen feierten Paul Hindemith als zukunftsweisenden Vertreter der neuen Komponistengeneration. In diesem Jahr erinnert man sich anlässlich seines 50. Todestages am 28. Dezember auch auf dem CD-Markt an das einstige Enfant terrible der zeitgenössischen Musik, dessen Werke während des Nationalsozialismus als entartet diffamiert wurden. Die vor Kurzem erschienene Neueinspielung von Hindemiths Weihnachtsmärchen "Tuttifäntchen" zeigt dabei ein interessantes und ganz anderes Bild des Komponisten.
    Hindemith, Tuttifäntchen, 1. Akt, Lied der Trudel
    Trudel und der Lehrjunge Peter sitzen in der Werkstatt des Holzschnitzers Meister Tuttifant, sinnieren über den Tannenbaum und erzählen sich von einem Stern, der zu Weihnachten auf die Erde fällt und den sie für den Vater suchen möchte. Der spricht mit Punoni, dem Leiter des Puppentheaters, über zu liefernden Figuren inklusive eines neuen Kasperle, das noch nicht ganz fertig auf der Werkbank liegt. Kaum ist Punoni weg, erwacht die Holzpuppe zum Leben. Begeistert nennt der Puppenmacher sie Tuttifäntchen. Auch Trudel freut sich über den neuen Spielkamerad, der sich allerdings merkwürdig zickig verhält. Darüber hinaus hat der hölzerne Kaspar eher böse Streiche im Kopf: Er zaubert das Herz des Mädchens weg und türmt mit ihr aus dem Haus des Meisters, nachdem dessen Werkstatt gehörig durcheinandergebracht wurde. Ihr Ziel ist der Weihnachtsmarkt, wo Punoni gerade sein Puppenspiel aufbaut.
    Hindemith Tuttifäntchen, 2. Akt, Vorspiel
    Als Punoni das Tuttifäntchen und Trudel sieht, wittert er die Chance für eine sensationelle Vorstellung. Zwar spielen die beiden anfangs auch mit – doch dann läuft die Aufführung aus dem Ruder.
    Hindemith Tuttifäntchen, 2. Akt, (Ausschnitt)
    "Tuttifäntchen" ist eine Geschichte über Egoismus, Menschlichkeit und der Sehnsucht nach Geborgenheit. Möglicherweise sprach letzterer Punkt Hindemith besonders an, der in seiner Kindheit mehrere Umzüge und eine zeitweilige Trennung von seinen Eltern miterlebt hatte. Darüber hinaus trat er mit seinen ebenfalls hochmusikalischen Geschwistern schon früh als "Frankfurter Kindertrio" öffentlich auf. Allerdings dürfte auch das Sujet des Weihnachtsmärchens von Hedwig Michel und Franziska Becker dem seit Kindertagen begeisterten Puppenspieler Hindemith zugesagt haben.
    Theater für Kinder spielte in Frankfurt zur damaligen Zeit offensichtlich eine wichtige Rolle, denn Franziska Becker, Vizedirektorin der Schauspielschule, hatte schon eine ganze Reihe Stücke für das privat betriebene neue Theater geschrieben – immer nach dem Konzept dramatische Handlung, poetisches Gewand und gesunde Moral. Anfang Oktober 1922 meldete Hindemith seinem Verleger, dass er mit der Komposition zu "Tuttifäntchen" begonnen habe; bereits Ende des Monats schloss er die Arbeit ab. Die Musik umfasst 19 kurze Nummern mit Vorspielen, Melodramen, Liedern, einem Duett sowie das Ballett der Holzpuppen: Die lässt Hindemith ganz im Stile seiner Zeit Foxtrott tanzen.
    Hindemith, Tuttifäntchen, Ballett
    Seine Uraufführung erlebte "Tuttifäntchen" am 13. Dezember 1922 im Hessischen Landestheater Darmstadt und wurde danach rasch von anderen Bühnen übernommen. Ein Werk für die große Oper war das Schauspiel mit Hindemiths Musik allerdings nie. Einige der Musiknummern erschienen später in einer Zusammenstellung als Orchestersuite. Für die jetzt veröffentlichte Einspielung griff Dirigent Johannes Zurl auf die ursprüngliche Fassung zurück. Unter seiner Leitung agieren das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin sowie die Sopranistinnen Bele Kumberger und Nora Lentner als Tuttifäntchen und Trudel, Herman Wallén und Matthias Stier als Meister Tuttifant und Lehrjunge Peter, und Sebastian Bluth und Annika Schlicht als Punoni und Peters Mutter Berthe ambitioniert, frisch und ohne moralisierende Sentimentalität. Das Gleiche gilt auch für die Sprecherinnen und Sprecher der anderen Rollen.
    Schade nur, dass hinsichtlich der Texte auf jegliche Art von untermalenden Geräuschen oder Atmosphäre verzichtet wurde; damit wirken etwa die vom Erzähler vorgetragenen Beschreibungen der Szenerie ziemlich statisch. Trotzdem ist die Einspielung für mich eine Entdeckung und eine Bereicherung des Hindemith-Repertoires. Und die Geschichte um das Tuttifäntchen und Trudel? Die geht natürlich gut aus, sodass der Weihnachtsstern am Ende hell über allen Beteiligten strahlen kann.
    Hindemith Tuttifäntchen, Schluss
    Das waren Nora Lentner, Annika Schlicht, Matthias Stier, Sebastian Bluth, Herman Wallén, der Rundfunkkinderchor und das Deutsche Sinfonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Johannes Zurl mit dem Schlusslied aus "Tuttifäntchen" von Paul Hindemith. Die Neueinspielung des Schauspiels mit Musik ist beim Label CPO erschienen.
    Musik:
    Paul Hindemith: Tuttifäntchen, Weihnachtsmärchen mit Gesang und Tanz
    Bele Kumberger, Nora Lentner, Matthias Stier, Herman Wallén, Annika Schlicht, Sebastian Bluth, Jan Gerrit Brüggemann, Rundfunkkinderchor Berlin, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Johannes Zurl
    CPO 777 802-2