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TV-Aktion "SOS Villages"
Rettung für Frankreichs Dörfer?

Jeder fünfte Franzose lebt im Großraum Paris, der Rest des Landes ist dünn besiedelt. Trotz ländlicher Idylle ziehen die Menschen in die Städte. Der französische Privatsender TF1 hat daher die Aktion "SOS Villages" - Rettet die Dörfer! - gestartet.

Von Suzanne Krause | 01.04.2016
    Hauptplatz Place de la Liberation in einem typischen provenzalischen Dorf: Vor der Dorfbar liest ein Mann Zeitung.
    Hauptplatz Place de la Liberation in einem typischen provenzalischen Dorf: Vor der Dorfbar liest ein Mann Zeitung. (picture-alliance / Robert B. Fishman ecomedia)
    Täglich um 13 Uhr begrüßt Jean-Pierre Pernaut die Fernsehzuschauer zu den Mittagsnachrichten von TF1. Statt wie üblich mit dem Wetterbericht steigt der Star-Moderator am vergangenen Ostermontag mit dem Schwerpunkt ein:
    "Ab heute läuft bei uns die gesamte Woche über die fünfte Ausgabe von "SOS Villages". Zu finden ist sie auch auf unserer speziellen Kampagnen-Webseite. Nachher kommt unsere Expertin zur Wort und wir bringen zahllose Reportagen."
    Da geht es zum Beispiel um einen Endvierziger, der vor zwei Jahren auf der Insel Ouessant, im äußersten Westen der Bretagne gelegen, ein neues Leben begann. 2013, bei der letzten Kampagne "SOS Villages", hatte der Normanne in den Mittagsnachrichten den Notruf des ortsansässigen Friseurs gehört, der mangels Nachfolger nicht in Rente gehen konnte. Die beiden Männer wurden handelseinig, der Friseurladen auf Ouessant ist in neuer Hand – die Inselbewohner müssen nicht fürs Haareschneiden zwei Stunden über Meer und Land fahren.
    Franzosen hängen an ihren Dörfern
    Mit strahlendem Lächeln wirbt Nachrichten-Sprecher Jean-Pierre Pernaut für die Kampagne "SOS Villages". Seit bald 28 Jahren präsentiert er die Mittagsnachrichten auf TF1:
    "Die Idee zu dieser Kampagne kam mir 1995. Denn in meiner Nachrichtensendung will ich nah dran sein am Alltag in den Regionen. Und das klappt auch dank eines engmaschigen Korrespondentennetzes. Vor gut zwanzig Jahren meldeten unsere Journalisten zunehmend, dass das Leben auf dem Land schwieriger wird, dass manche Dörfer dahinsiechten. Dass Läden dichtmachten, Familien abwanderten, Schule geschlossen wurden. Aber ich sehe auch immer wieder, dass die Franzosen an ihren Dörfern hängen. Und dass es möglich ist, das dortige Leben zu erhalten."
    Dominique Lagrou-Sempere stellt in den Mittagsnachrichten die Angebote für eine Betriebs-Übernahme vor, die auf der Kampagnen-Webseite eingingen. Innerhalb von zwei Wochen kamen über 1600 Notrufe, knapp 1000 haben die TF1-Mitarbeiter schon überprüft, sagt Dominique Lagrou-Sempere.
    "Mit unserem Team haben wir eine Hitparade der Unternehmen erstellt, deren Existenz am meisten gefährdet scheint: auf Platz 1 finden sich da Restaurants. Gefolgt von Cafés. Und Platz 3 nehmen Konditoreien und Bäckereien ein. Das entspricht den offiziellen Zahlen, die uns die Gewerbekammern geliefert haben."
    Schornsteinfeger und Muschelzüchter gesucht
    Auch ungewöhnlichere Angebote trudeln ein, wie das des Schornsteinfegers, der gleichzeitig als Rattenfänger tätig ist. Einen Nachfolger suchen auch ein Muschelzüchter, ein Händler für Pferde-Bedarfsartikel, ein Forellenteich-Betreiber. Jean-Pierre Pernaut beobachtet einen besorgniserregenden Trend:
    "Mehr und mehr Gemeinden suchen einen Arzt. Frankreich leidet zunehmend unter dem Verlust an ärztlicher Versorgung auf dem Land."
    In Dutzenden von Fällen hat "SOS Villages" schon dazu beigetragen, das Alltagsleben auf dem Land dank der Vermittlungsarbeit bei Geschäfts- und Betriebsübergaben zu erhalten. Bei der TV-Kampagne werden keineswegs die Schattenseiten ausgeblendet: aufwändiger Behördenkram, unendlich lange Arbeitstage, geringer Verdienst. Aber das Landleben hat auch seine Sonnenseiten: Kontakt zur Natur. Traditionelle Werte. Das Leben in einer überschaubaren Dorfgemeinschaft.
    Jean-Pierre Pernaut: "Schon zum Start unserer Kampagne, vor 21 Jahren, wollten viele aus der Stadt aufs Land zurückkehren. Denn im urbanen Umfeld gibt es Ghettos, die Arbeitslosigkeit ist hoch – seit Jahrzehnten, aber es wird immer schlimmer."
    "SOS Villages" sorgt da für eine Brise Frischwind in Zeiten wirtschaftlicher Flaute.