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TV-Film "Die Affäre Barschel"
Deutscher Polit-Thriller der Extraklasse

Am 6. Februar zeigt die ARD "Die Affäre Barschel". Erschaffen hat den Film Autor und Regisseur Kilian Riedhof. Der drei Stunden lange Polit-Thriller ist auf packende Weise paranoid und von herausragender erzählerischer sowie technischer Qualität.

Von Eric Leimann | 05.02.2016
    Barschel-Darsteller Matthias Matschke. Im Hintergrund: eine Szene aus dem Film zeigt die beiden Reporter, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird.
    Barschel-Darsteller Matthias Matschke. Im Hintergrund: eine Szene aus dem Film zeigt die beiden Reporter, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. (picture alliance / dpa - Christian Charisius)
    Es ist einer der Sätze, die aus der deutschen Geschichte der 80er geblieben sind. Das Ehrenwort des damaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, er habe seinen SPD-Kontrahenten Björn Engholm nicht bespitzeln lassen. Am 18. September spricht er dieses Ehrenwort, am 2. Oktober muss Uwe Barschel dennoch zurücktreten. Im Film ist er, gespielt von Matthias Matschke, aber nur eine Nebenfigur. Kilian Riehofs Film zeigt das Geschehen aus der Perspektive zweier Reporter, die an der Story arbeiten und zum Rücktritt beitragen. Die jungen Journalisten, hervorragend verkörpert von Alexander Fehling und Fabian Hinrichs, feiern ihren Scoop mit einer wilden Party in der Redaktion. Edgar Selge als Redaktionsleiter ist begeistert:
    "Barschel ist weg! Freunde, Barschels Rücktritt ist eine Warnung - an all die anderen Spitzbuben. Wer die Demokratie missbraucht, kriegt auf die Nase. Weil: Wir schauen hin! Und die Wahrheit ist immer stärker."
    Im Sog komplexer Zusammenhänge
    Neun Tage nach dem Rücktritt liegt Uwe Barschel tot in der Badewanne des Genfer Hotels Beau Rivage. Im Film sind bis zu diesem Moment gerade einmal 27 Minuten vergangen. Bleiben noch zweieinhalb Stunden, in denen man sich - für den Zuschauer überaus spannend und faszinierend - in den unzähligen Mord- und Selbstmordtheorien des bis heute ungeklärten, aber juristisch längst zu den Akten gelegten Falls verlieren kann. Autor und Regisseur Kilian Riedhof, der zehn Jahre für seinen Film recherchierte, kommt heute privat zu folgendem Schluss :
    "Ich glaube ja, wenn Barschel umgebracht wurde, dahinter sich ein Dreieck offenbart, was sehr verhängnisvoll für uns ist. Nämlich auf der einen Seite die Waffenlobby, auf der anderen Seite eine Politikelite - und das Dritte ist: die Geheimdienste. Und das Dreieck hat ja nicht nur im Fall Barschel möglicherweise, sondern auch evident auch in anderen Fällen zusammen gewirkt. Man denke an die Waffenverkäufe, die diversen, die unter der Hand liefen."
    Was sich in den 80ern anhörte wie eine Verschwörungstheorie, nämlich dass am Tode Barschels Waffenhändler, Geheimdienste, aber auch BND und vielleicht sogar die Bundesregierung beteiligt gewesen sein könnten, wird in diesem labyrinthisch-fesselnden Politthriller meisterhaft inszeniert. Nichts wird behauptet, aber vieles durchaus plausibel nebeneinander gestellt. Anhand der Figur eines Journalisten, der sich über die Jahre in Recherchen und Theorien zum Fall verliert, gerät auch der Zuschauer in einen Sog aus komplexen Zusammenhängen - erzählt in kinoreifen Bildern. Der Kopf dampft, doch die Augen können sich an diesem Trip ins Herz der Finsternis unserer Gesellschaft nicht satt sehen. Riedhofs Film ist nicht nur wegen seiner handwerklichen und erzählerischen Qualität herausragend fürs deutsche Fernsehen. Ungewöhnlich ist er auch, weil es das Genre des paranoiden Politthrillers hierzulande nur selten zu sehen gibt. Warum eigentlich?
    "Wir klammern uns sehr - in den 80ern noch mehr als heute - wir klammern uns sehr daran, dass dieser Staat funktioniert. Dass er Strukturen vorgibt, in denen wir sicher sind. Der Polit-Thriller oder auch der konspirative Polit-Thriller stellt das natürlich genau in Frage. Er sagt, das System, in dem wir leben, ist nicht sicher, sondern es laufen Geschäfte und Strukturen ab, die zutiefst verunsichernd sind. Das ist sehr spannend, im deutschen Fernsehen so etwas zu zeigen. Weil ich glaube, dass die Menschen mittlerweile eine Sehnsucht danach haben, sich mit systemkritischen Dingen auseinanderzusetzen. Wir leben ja in einer Zeit, die sich Gott sei Dank wieder repolitisiert. Und ich glaube, die Zeit ist vorbei, in dem wir nach Schema F eines "Who-Dunnits" Verbrechen lösen, sondern wir wollen grenzüberschreitende Erfahrungen machen - auch im Fernsehen."