Donnerstag, 25. April 2024

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Festival pour l'humanité an der Oper Lyon
Menschlichkeit im Exil

Die Eröffnungspremiere des von der Oper Lyon ausgerichteten Festivals "Pour l'umanité" drehte sich um das Leben und Sterben des deutschen Philosophen Walter Benjamin. Dabei ist das Stück mit dem Titel "Benjamin- dernière nuit" ein durchaus vielschichtiges Werk geworden. Die Faszination für den undogmatischen Denker bleibt ungebrochen.

Von Jörn Florian Fuchs | 22.03.2016
    Szene aus "Benjamin dernière nuit" beim Festival pour l'humanité in Lyon.
    Szene aus "Benjamin dernière nuit" beim Festival pour l'humanité in Lyon. (Opera de Lyon/ Bertrand Stofleth)
    Dreh- und Angelpunkt der Oper "Benjamin, dernière nuit" ist Walter Benjamins Selbstmord am 26. September 1940 im französisch-spanischen Grenzort Port-Bou. In der Oper gibt es den Verzweifelten gleich doppelt, als Sänger sowie als Schauspieler. Benjamin blickt zurück auf seine Vergangenheit, erinnert sich an Wahres, erlebt Surreales, die Stimmung ist vorwiegend düster. Régis Debrays dicht gewobenes Libretto eilt von Szene zu Szenerie und nimmt den bruchstückhaften Charakter von Benjamins Denken und Leben auf.
    Die Musik Michel Tabachniks hängt eng am Text, sie ist meist überdeutlich, vorwärts drängend. Es gibt scharfe Akzente, enge Klanggeflechte. Bernhard Kontarsky behält am Pult des Lyoner Opernorchesters in jedem Moment den Überblick. Rhythmisch klingt die Partitur oft nach Boulez oder Xenakis, aber es gibt auch mal ein Chanson mit Akkordeonbegleitung. André Gide, zu dem Benjamin eine eher schwierige Beziehung hatte, erscheint als Pianist, beim Diskutieren mit Bertolt Brecht schälen sich einige Takte "Lili Marleen" aus der sonst finster revuehaften Klangmasse. Regisseur John Fulljames zeigt ein kunstvolles, aber bewusst artifiziell gestaltetes Erinnerungstheater.
    Besonders schwebende, hohe Soprane haben es Tabachnik angetan
    Ein großes Archiv aus Büsten, Grammophonen, Jacken befindet sich auf der Bühne, dort sitzt oder steht Walter Benjamin oder er liegt im Bett. Es ist ein dauerndes Kommen und Gehen diverser Figuren. Asja Lācis, Benjamins lettische Geliebte und eine Hardcore-Kommunistin, erscheint als luftiges Fantasiewesen, Michaela Kušteková beeindruckt mit überwältigender vokaler und körperlicher Sinnlichkeit. Brecht und Benjamin duellieren sich beim Schach, während um sie herum, in eingefrorenem Tempo, Orgien gefeiert werden. Einmal verschlägt es Benjamin nach Jerusalem, wo er im echten Leben nie gewesen ist. Fulminant der vielfach differenzierte Chor, besonders schwebende, hohe Soprane haben es Tabachnik angetan. Mal handelt es sich um klar erkennbare Nebenfiguren, mal sind es unsichtbare Luftwesen, die für ostinate Ummantelung sorgen.
    Szenisch und musikalisch eindrücklich war auch die zweite große Premiere im Rahmen des Lyoner Opernfestivals, Fromental Halévys La Juive. Daniele Rustioni, bald Musikchef in Lyon, erweist sich als Experte für die häufigen Temperaturwechsel der Partitur. Olivier Py inszeniert die tragische Geschichte um Rachel, die vom Juden Eléazar aufgezogen wurde, eigentlich jedoch Tochter des Kardinals Brogni ist. Diesen hasst Eléazar, weil die Christen seine beiden Söhne auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben.
    Weil sich der Jude nicht an die christlichen Gebote hält, verurteilt ihn Brogni zum Tode, Rachel geht freiwillig mit dem Stiefvater in den Untergang. Py erzählt die Handlung in einem sich ständig verändernden Raum mit Schwarz-Weiß-Optik. Nur die ebenso wie Rachel in den schmucken Leopold verliebte Prinzessin Eudoxie sorgt für Farbe. Py gestaltet Eudoxies erste Auftritte als Revue, plötzlich klingt da Halévys Musik ganz anders, nämlich leichter, bunter, frecher. Rachel Harnisch gibt Rachel im hochgeschlossenen Schwarzen anmutig, mit samtigem Timbre. Toll auch wie Nikolai Schukoff die fast unsingbare Partie des Eléazar bewältigt.
    Das Volk - der Chor - wirkt ziemlich regressiv, erscheint aber manchmal auch als Masse, die Schilder mit ausländerfeindlichen Sprüchen hochhält. Man kann das Stück freilich auch deutlich politischer inszenieren, wie es zuletzt Peter Konwitschny in Mannheim getan hat, doch auch in Lyon vermittelt sich die innere Spannung und äußere Dramatik der Juive.