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Twitternde Bäume
Wenn die Eiche aus ihrem Leben erzählt

Ob Kim Kardashian, der Papst oder Angela Merkel: Fast jeder, ob Privatperson oder Promi, twittert mittlerweile oder informiert sich über den Nachrichtendienst. Jetzt twittern sogar Bäume. Das ist kein Scherz und keine PR-Aktion, sondern ernst gemeinte Wissenschaft.

Von Jochen Steiner | 03.05.2016
    Mehrere Messgeräte stehen oder hängen an einer Kiefer. Der Baum "twittert" seinen Zustand.
    Die "twitternde" Kiefer auf dem Gelände des Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Britz. (Foto: Kathy Steppe, Uni Gent)
    Wenn es jetzt im Frühling in den Bäumen zwitschert, dann ist das nicht ungewöhnlich. Wenn aber Bäume selbst zwitschern, auf Englisch "twittern", dann ist es das schon!
    "Wenn Menschen einen Baum betrachten, dann sehen die meisten ihn als etwas Unbewegliches an. Aber in seinem Stamm laufen eine ganze Reihe von Prozessen ab. Wir sammeln dazu Daten und lassen Bäume diese Informationen dann über Twitter hinausschicken.
    Wenn Leute den Bäumen bei Twitter folgen, lernen sie, dass es sich um etwas Lebendiges handelt. Und, dass Bäume wichtig sind, etwa weil sie das Klima regulieren können. Über die Kurznachrichten entwickeln die Menschen vielleicht so etwa wie Zuneigung zu den Bäumen."
    Pflanzen zum Reden bringen
    Kathy Steppe von der Universität im belgischen Gent möchte erfahren, wie es unterschiedlichen Baumarten in Zeiten des Klimawandels ergeht, wie sie mit Wasserknappheit und höheren Temperaturen klarkommen. Seit ein paar Jahren messen die Bioingenieurin und ihre Kollegen dazu mehrere Vitalwerte, wie den Wasserverbrauch oder den Stammdurchmesser. Diese Informationen sollen die Bäume nun nicht mehr für sich behalten.
    "Wir sind die Arbeitsgruppe, die Pflanzen zum Reden bringt! Und dann haben wir uns gesagt, okay, dann machen wir doch eine Sprache daraus, und eine sehr zweckmäßige Kommunikationsplattform ist in der Tat Twitter."
    Mittlerweile twittern sieben Bäume in Belgien, darunter Eichen und Buchen. In Deutschland twittert eine Kiefer, sie steht auf dem Gelände des Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Britz. Dafür haben Kathy Steppe und ihr Team die Bäume mit allerhand Technik bestückt.
    "Wir haben Sensoren an die Baumstämme angebracht. Einer misst die Wasseraufnahme über die Wurzeln und ein zweiter ist ein Dendrometer, der den Umfang des Stammes bestimmt, ob der Stamm schrumpft oder wächst."
    Tägliches Updaten
    Die Daten werden fortlaufend über den Tag aufgezeichnet und über eine drahtlose Internetverbindung an einen Server geschickt. Diese Rohwerte sind für Laien unverständlich, deshalb rechnet der Server sie um, in Millimeter und Liter. Zwei bis drei Mal am Tag schickt der Computer dann automatisch einen standardisierten Tweet ab, der die aktuellen Daten des Tages enthält.
    "Zwitschert die deutsche Kiefer mit dem Twitter-Namen @TreeWatchBritz. Sie hat immerhin schon über 100 Follower. Wenn sie bei großer Hitze zu wenig Wasser aufsaugen kann, setzt sie einen Hilferuf über Twitter ab.
    Mehr twitternde Bäume erforderlich
    Die Forscher um Kathy Steppe messen an den Baumstandorten außerdem Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Bodenfeuchte. Durch all diese gesammelten Daten wollen die Wissenschaftler mit der Zeit ein Bild davon bekommen, wie die Bäume mit der vielerorts zunehmenden Trockenheit zu recht kommen. Dafür muss die Gemeinschaft der twitternden Bäume allerdings noch stark wachsen.
    "Das große Ziel ist es, bestimmte Bäume in unterschiedlichen Ökosystemen in ganz Europa zu überwachen. Im nächsten Schritt dann weltweit. Wir wollen ein Gefühl dafür bekommen, was mit unseren Bäumen, Wäldern und Ökosystemen rund um den Globus geschieht."
    Weitere engagierte europäische Wissenschaftler hat die Belgierin bereits gefunden. Jetzt muss die Ausrüstung für die twitternden Bäume noch günstiger werden, damit sich deren Zahl schnell erhöhen kann.