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U-Boot Kursk
Missglückte Rettung im Rückblick

Nach zwei Explosionen an Bord sank das russische Atom-U-Boot Kursk im August 2000 auf den Grund der Barentssee. 23 Seeleute überlebten - vorerst - in dem Wrack. Eine neue Untersuchung will nun ergründen, warum die Rettungsversuche trotz modernster Technik letztendlich scheiterten.

Von Volker Mrasek | 20.10.2014
    Alle technischen Mittel waren da, doch keiner wurde gerettet.
    Auf diesen kurzen Nenner bringt Anette Mikes die gescheiterte Rettungsaktion nach dem Untergang der Kursk vor 14 Jahren. In einer neuen Studie rollt die gebürtige Ungarin und Professorin an der Universität Lausanne in der Schweiz den tragischen Fall jetzt noch einmal auf.
    Warum gelang es nicht, die überlebenden Seeleute vom Grund der Barentssee zu retten?, fragte sie sich. Dort lag das Wrack nach zwei Explosionen an Bord. In durchaus erreichbarer Tiefe.
    "Alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rettung waren da! Die Russen wussten, wo das Wrack liegt. Die Norweger schickten Taucher hinunter. Sie bestätigten, dass es möglich sein würde, an die Ausstiegsluke im Rettungsturm des U-Bootes anzudocken. Und die Briten waren mit einem Mini-U-Boot vor Ort, das sie Unterwasser-Helikopter nannten – wegen seiner großen Beweglichkeit. Es wäre in der Lage gewesen, die Rettung durchzuführen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es absolut unverständlich, dass es nicht dazu kam!"
    Die Expertin für Risikomanagement sprach mit David Russell, dem Befehlshaber der britischen Rettungskräfte. Und sie wertete diverse Berichte über die Aktion aus. Für sie hat das Scheitern verschiedene Gründe:
    "Die russischen Offiziere hatten keine eigene Befehlsgewalt. Jede Entscheidung musste erst von höherer Stelle abgesegnet werden. Bei Routineeinsätzen mag das nützlich sein. Es verzögert aber Entscheidungsprozesse und ist in neuartigen Situationen, wenn rasches Handeln gefragt ist, nicht sehr hilfreich. Nach dem Unglück der Kursk hat die russische Marine ihre autoritäre Befehlsstruktur sogar verstärkt. Dieses Phänomen kennt man aus der Arbeits- und Organisationspsychologie. Unter starkem Druck neigen Organisationen zu einer noch stärkeren Zentralisierung."
    Zu großer Stress – für Anette Mikes kann das auch erklären, was im Nachhinein als völlig unverständlich erscheint.
    David Russell hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das britische Rettungs-U-Boot zur Unglücksstelle zu bekommen. Doch es wurde nie zu Wasser gelassen. Russels Gegenpart auf russischer Seite, ein Admiral, weigerte sich, es auch nur in Augenschein zu nehmen. Mit eigenen Mini-U-Booten hatte er es bis dahin nicht geschafft, an der Rettungsluke der Kursk festzumachen – trotz mehrtägiger Versuche. Das lag an technischen Mängeln der russischen Tauchboote wie einer zu geringen Lebensdauer der Batterien.
    "Dieser Admiral stand unter enormem Druck. An der Unglücksstelle ankerten um die 30 Schiffe, die ganze russische Marine beobachtete die vergeblichen Rettungsbemühungen. Unter solchen Bedingungen kann es zu etwas kommen, was man in der Stresstheorie als kognitive Verengung bezeichnet. Der Admiral versuchte es immer wieder mit seinen eigenen Rettungsteams. Auch er klammerte sich an bekannte Routinen, statt die Chance zu ergreifen, die von außen kam, und etwas anderes auszuprobieren, wie es in diesem Fall nötig gewesen wäre."
    Als ein anderer russischer Admiral den Briten dann doch Grünes Licht gab, am 8. Tag nach der Katastrophe, war es zu spät. Die Rettungsluke der Kursk sprang auf, weil das U-Boot inzwischen komplett geflutet war. Es gab niemanden mehr, den man hätte befreien können.
    Auch die Briten machten aber möglicherweise einen großen Fehler. David Russell brachte zwar die ganze britische Hilfsaktion überhaupt erst in Gang. Und doch war er am Ende vielleicht nicht der richtige Offizier am richtigen Ort
    "Russell hatte früher als U-Boot-Fahrer in der Barentssee die Russen ausspioniert. Deshalb fiel es der anderen Seite sicher schwer, ihm zu vertrauen – dass er wirklich nur Leben retten will."
    Für Anette Mikes ist das eine wichtige Lehre aus der Kursk-Katastrophe: Es gehe nicht allein darum, die nötige Technik für eine Rettung heranzuschaffen. Genauso wichtig sei es, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und sich frühzeitig über ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Um in Zukunft bessere Erfolgsaussichten zu haben, falls sich ein solches Unglück wiederholt.