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Ude: Wir wollen mehr Kooperation in der Bildungslandschaft

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Christian Ude, verlangt für Städte und Gemeinden mehr Mitspracherecht in der Bildungspolitik. Den Vorwurf, dies würde Deutschlands Bildungslandschaft noch weiter zerfasern, weist der Münchner OB zurück. Zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei mehr Kooperation nötig.

Christian Ude im Gespräch mit Manfred Götzke | 08.11.2012
    Manfred Götzke: Deutschland ist zurzeit in kaum einem Bereich so innovativ wie bei der Erfindung neuer Schulformen: 22 Schularten gibt es aktuell, die sich mehr oder weniger stark unterscheiden – von der Mittelschule über die Werkrealschule bis zur Gemeinschaftsschule. Für umzugswillige Eltern heißt das, am besten warten, bis die Kinder ihren Abschluss haben, sonst wird es kompliziert. Und es könnte vielleicht bald noch komplizierter werden, denn jetzt wollen auch die Städte in der völlig zerfaserten Bildungslandschaft mehr Einfluss nehmen, das fordert der Deutsche Städtetag auf einem Bildungskongress, der vor etwa zwei Stunden in München begonnen hat. Präsident des Deutschen Städtetages ist Münchens OB Christian Ude. Guten Tag, Herr Ude!

    Christian Ude: Ja, grüß Gott!

    Götzke: Herr Ude, wollen Sie statt Kleinstaaterei jetzt auch noch Kleinstädterei in der Bildungspolitik?

    Ude: Also über diese Einführung habe ich offen gesagt lachen müssen, denn es geht ja nicht im geringsten darum, die Kulturhoheit der Länder zu zersplittern durch selbstständige Schulpolitik jeder Kommune, es ist ja ganz im Gegenteil so, dass wir darauf drängen, dass Bund, Länder und Gemeinden endlich zusammenarbeiten, Netzwerke bilden …

    Götzke: Sie wollen also weniger Einfluss nehmen?

    Ude: Bitte?

    Götzke: Sie wollen also weniger Einfluss nehmen?

    Ude: Na, selbstverständlich nicht weniger, sondern wir wollen, dass die Bildungslandschaft in einer Stadt besser kooperiert. Ich glaube, dass wir wirklich erst mal einige Eingangsinformationen geben müssen. Die Kommunen sind ja schon ein wesentlicher Bestandteil der Bildungslandschaft, sie sind zuständig für die Kinderkrippen, sie sind zuständig für die Kindergärten, sie sind zuständig für das berufliche Schulwesen, sie sind zuständig für außerschulische Bildungsangebote von der Bibliothek bis zur Schwimm- und Turnhalle, und sie sind zuständig für das Lifelong Learning in der Volkshochschule, da gibt es über Tausend in Deutschland. Also wir sind Akteur der Schul- und Bildungspolitik und fordern, dass dies vor Ort besser miteinander vernetzt wird, damit auch wirklich jedes Kind das ideale Angebot vermittelt bekommt, statt sich zwischen verschiedenen Anbietern selber heraussuchen zu müssen, was in Frage kommt.

    Götzke: Wer muss sich denn da jetzt bewegen? Der Bund, das Land oder Sie?

    Ude: Also bewegen muss sich vor allem mal der Gesetzgeber, und zwar in Gestalt des Verfassungsgebers, denn leider ist vor einigen Jahren gegen die Warnungen des Städtetags das sogenannte Kooperationsverbot beschlossen worden – übrigens auf Drängen der bayrischen Staatsregierung –, das dem Bund verbietet, mit Kommunen unmittelbar zusammenzuarbeiten, und das ist natürlich ein Unding. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit dem Bund bei den Fragen der Kinderbetreuung unter drei Jahren, aber genau so bei der Frage der Ganztagsangebote. Wenn der Bund hier eine positive Rolle spielen will, was erfreulicherweise der Fall ist, dann muss ihm das auch erlaubt sein. Also wir sind für mehr Kooperation, und um Himmels willen nicht für weniger.

    Götzke: Dann bleiben wir doch direkt mal bei den Kitas, die Länder haben zusätzliche Mittel vom Bund für den Kitaausbau mit dem – vielleicht auch etwas kleinkarierten – Argument abgelehnt, das Geld werde an monatliche Berichtspflichten geknüpft. Wie sehr ärgert es sie, dass Geld vom Bund in der Bildungspolitik, das eigentlich in den Kommunen investiert wird, in Landeshaushalten versickert oder gar nicht erst ankommt?

    Ude: Ja, das ärgert uns sehr, das ist ja auch dem Städtetag zu verdanken, dass dieses Thema immer wieder bekannt wird. Wir sprechen hier von den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister …

    Götzke: Das ist aber nicht sehr appetitlich.

    Ude: Das ist nicht appetitlich, aber das ist realistisch, da bleibt viel Geld hängen, und manchmal geben die Länder es ja sogar zu, wie jetzt, wenn da Kompetenzstreitigkeiten vom Zaun gebrochen werden, wobei ich auch monatliche Berichtspflichten für einen Quatsch halte – das sieht ja aus wie Strafaufgaben schreiben an der Grundschule. Aber an solchen kleinkarierten Kontroversen darf doch die Förderung des Kita-Ausbaus in Deutschland nicht leiden. Deswegen sollen sich beide Seiten, Bund und Länder zusammenreißen, worum es geht. Es geht um den Ausbau der Kinderbetreuung und nicht um wechselseitiges Schienbeintreten.

    Götzke: Apropos Zusammenreißen: Sie fordern ja, jetzt die Kita-Garantie, die ja 2013 gelten soll, wieder auf Eis zu legen. Die Ministerin Kristina Schröder hat Ihnen ja vor zwei Tagen bereits eine Abfuhr erteilt, sie sagt, die Kommunen können den Ausbau noch rechtzeitig stellen.

    Ude: Also da verwechseln Sie jetzt leider den Städte- und Gemeindebund und den Deutschen Städtetag. Der Städtetag hat niemals gefordert, etwas auf Eis zu legen. Wir – darauf habe ich gerade heute beim Bildungskongress hingewiesen –, wir in den Kommunen sind seit Jahrzehnten für den Kita-Ausbau, das waren wir schon, als der Bund noch gar nicht wusste, um welches Thema es hier geht, und als viele Länderparlamente die Kita noch für ein sozialistisches Monstrum familienfeindlicher Art hielten. Also die Kommunen sind für den Kita-Ausbau, sie haben gigantische Anstrengungen unternommen, allein in den fünf Jahren von 2005 bis 2011 wurde die Zahl der Plätze noch mal verdoppelt, aber die Wünsche des Bundes, dass man einen Rechtsanspruch übers Knie brechen kann, haben sich als illusorisch erwiesen, was der Städtetag immer schon mahnend gesagt hat, denn strukturschwache Kommunen haben nicht das Geld …

    Götzke: Also fordern sie doch die Aufweichung?

    Ude: Nein, wir fordern die Hilfe, damit das, was der Bund verspricht, auch gehalten werden kann.

    Götzke: Schauen wir noch mal auf die Schulen: In Nordrhein-Westfalen können die Schulträger, also die Kreise und die Kommunen, die Städte bereits entscheiden, welche Schulformen sie haben wollen. Das Ergebnis in Nordrhein-Westfalen: sechs unterschiedliche Schultypen, und die Eltern haben dort schon das Problem, vergleichbare Schulformen vorzufinden, wenn sie den Landkreis wechseln. Ist das die kommunale Bildungslandschaft, die Ihnen auch vorschwebt?

    Ude: Da muss man sehr vorsichtig sein, also eine Vielzahl unterschiedlicher Schultypen, noch dazu mit Übergangsproblemen vom einen zum anderen dürfte nicht geschaffen werden. Aber selbstverständlich ist richtig, dass die Kommunen mit ihrer Kenntnis Einfluss darauf gewinnen sollten, welche Schultypen in einer Stadt angeboten werden und wie das ausgestaltet wird, aber ohne Erschwerung des Schulwechsels, denn das beklagen wir ja bereits auf der föderalen Ebene, dass ein Umzug für eine Familie ein Rückschlag werden kann, weil der Wechsel der Schule, des Bundeslandes, des Schultyps zusätzliche Probleme bereitet.

    Götzke: Die Kommunen wollen mehr Einfluss in der Bildungspolitik. Christian Ude hat uns erklärt, wo und warum. Vielen Dank für das Gespräch!

    Ude: Ja, ich bedanke mich, Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.