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Über den Erfolg der internationalen Menschenrechtsbewegung

Die letzte Militärdiktatur war zugleich die grausamste. Ein Kapitel der argentinischen Geschichte, das auch Europa und insbesondere Deutschland tangiert: Viele der Verbrechen fanden unter der Mitwisserschaft des Auswärtigen Amtes statt.

Von Jochanan Shelliem | 04.10.2010
    Kampf gegen die Straflosigkeit. Der Titel täuscht. Das Buch ist kein Pamphlet. Wo noch vor 20 Jahren ein Ausrufezeichen die Moral der Solidaritätsbewegung unterstrichen hätte, listet der Menschenrechtler und Jurist Wolfgang Kaleck in seiner Bilanz 27 Jahre nach dem Ende der argentinischen Diktatur den Erfolg der internationalen Menschenrechtsbewegung auf. Ein Erfolg, der eine Verschiebung im globalen Wertesystem nicht allein den argentinischen Militärverbrechen gegenüber markiert.

    "Argentinien kann man mit gutem Recht als ein Modell für die strafrechtliche Aufarbeitung von Diktaturverbrechen, von Menschheitsverbrechen bezeichnen und dieses Modell ist dadurch zustande gekommen, dass eine sehr beharrliche Menschenrechtsbewegung, geführt von den Müttern vom Plaza de Mayo, über Jahrzehnte hinweg für die Aufklärung der Verbrechen, aber auch für die Bestrafung von Verantwortlichen sich eingesetzt hat und sich dabei auch der Unterstützung europäischer, nordamerikanischer Menschenrechtsorganisationen und Anwälte versichert hat."

    Spätestens im Frühjahr 1977 waren die Dimensionen der Diktaturverbrechen international bekannt geworden, als der argentinische Schriftsteller Rodolfo Walsh in seinem Brief an die Diktatur das System der Militärs beschrieb, Oppositionelle verschwinden zu lassen, in geheime Haftlager zu verschleppen und sie über dem Rio de la Plata aus Flugzeugen zu werfen. Auch bundesdeutsche Institutionen deckten das Vorgehen der Militärs und ermöglichten Verhöre des Geheimdienstes in der Deutschen Botschaft.

    "Zunächst muss man sagen, das Ende der 60er, Anfang der 70er-Jahre das Auswärtige Amt noch durchsetzt war von Funktionären, die schon unter dem Nationalsozialismus gedient haben und dass es ganz klar auch politisch rechte Leute gab, die Sympathien für Diktaturen hatten."

    1979 erklärten die Militärs den Sieg im "Krieg gegen die Subversion" und erließen ein Gesetz, dass es ihnen ermöglichte, Vermisste ohne Klärung ihres Schicksals für tot zu erklären. 6000 Vermisstenanzeigen lagen zu diesem Zeitpunkt schon vor. Das Recht der Angehörigen, Auskunft über den Verbleib Verschwundener zu erhalten - der so genannte Habeas Corpus Akt - wurde damit liquidiert. Gleichwohl enthielten die Anzeigen wichtige Hinweise über den Weg der Ermordeten und das Foltersystem. Dabei war die deutsche Außenpolitik unter Hans-Dietrich Genscher der Militärjunta gegenüber positiv eingestellt. Die Waffen- und Atomexporte nach Argentinien hatten Vorrang, wie Wolfgang Kaleck ausführt.

    "Am deutlichsten wird das eben in diesem Fall Käsemann, wo heute klar ist, die ist aus kurzer Entfernung ins Genick geschossen worden und gemeinsam mit anderen Ermordeten aufgefunden worden. Die argentinische Regierung stellt es als ein Feuergefecht zwischen Subversiven und Armee dar, obwohl Elisabeth Käsemann wenige Tage vorher in einem Folterlager gesehen wurde. Es gab Zeugenaussagen, es war den deutschen Behörden auch bekannt und es wird entgegengenommen, diese Erklärung wird entgegengenommen und man hat das angenommen und hat sogar gesagt, ja o.k. das ist eine befriedigende Erklärung gewesen. Und zur gleichen Zeit hat man eben einträgliche Geschäfte mit Argentinien betrieben und das ist natürlich der springende Punkt gewesen."

    Bereits drei Jahre nach der Ermordung von Elisabeth Käsemann stellte die Staatsanwaltschaft Tübingen die Ermittlungen ein. Erst Sammelklagen und juristische Gutachten, nach denen die deutsche Justiz bei Verbrechen gegen deutsche Staatsbürger im Ausland auch und gerade dann aktiv werden muss, wenn die dortige Justiz aufgrund einer Amnestie untätig bleibt, aktivierten die Nürnberger Staatsanwaltschaft. Im November 2003 ergingen Haftbefehle gegen den argentinischen Präsidenten a.D. Jorge Rafael Videla und den Oberbefehlshaber der Marine Emilio Eduardo Massera. Ein Prozess mit Symbolgehalt.

    In Argentinien selbst wurden die Amnestiegesetze für das Militär und die Gesetze über ihren Befehlsnotstand zur Zeit der Diktatur nach dem Amtsantritt des Präsidenten Nestor Kirchner vom Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig einkassiert und eine Vielzahl neuer Verfahren eröffnet. Es waren nicht allein die weltweiten Proteste der NGOs wie Amnesty International, nicht nur die Demonstrationen der Mütter auf der Plaza de Mayo mit ihren weißen Kopftüchern, die nicht aufhörten, nach den Verschwundenen zu fragen, die juristische Aufarbeitung der Junta-Verbrechen setzte sich auch durch den Druck aus dem Ausland fort. Dazu kam der Marsch der Menschenrechtler durch die Institutionen. Sie ersetzten nach und nach die pensionierten Sympathisanten der Junta. Wolfgang Kaleck beschreibt diesen Prozess in Argentinien ebenso, wie den Gesinnungswandel der Ermittler in der Bundesrepublik bis zum Nürnberger Haftbefehl gegen Ex-Diktator Videla. Die wichtigste Bedeutung sieht Wolfgang Kaleck aber darin, dass die einstigen Folterer und Mörder durch das Verfahren vor Gericht ihre Legitimation nun endgültig verloren.

    "Dieser Vorgang hat eine besondere Qualität. Wenn man sich das aus der Nähe anschaut, wenn man mit Leuten darüber spricht, kann man das eben auch wahrnehmen. Und das ist eben mehr als nur eine Wahrheitskommission. Das, was im Gerichtssaal passiert, ist eben noch mehr. Da werden die Aussagen der Opfer abgewogen gegen die Aussagen, die Entschuldigungen, die Rechtfertigungen der Täter und anschließend kommt man zu einer abschließenden Entscheidung. Allein die Konfrontation im Gerichtssaal ist von einer großen Bedeutung, auch für die Opfer von einer großen Bedeutung, auch für die Gesellschaft von einer großen Bedeutung. Wenn man die vormals Allmächtigen im Gerichtssaal mit Handschellen reingeführt und sich dann eben einer juristischen Instanz unterwerfen sieht, dann ist es klar, das ist ja was der Reemtsmaat als Delegitimierung durch Verfahren bezeichnet, also der Diskurs der Gewalt wird durch den Diskurs des Rechts abgelöst und das eben symbolisiert durch die Szene im Gericht."

    Detailreich und unprätentiös, faktenorientiert und klar, skizziert Kaleck diesen historischen Prozess von der Machtlosigkeit der Opfer bis zur Verurteilung von Präsidenten, verschweigt dabei den Mord an Zeugen und die politische Instrumentalisierung der Strafprozesse nicht. Entstanden ist eine packende Abhandlung der Gegenwartsgeschichte Argentiniens und eine Reflexion des transnationalen Kampfes um ein gemeinsames Wertesystem.


    Wolfgang Kaleck: "Kampf gegen die Straflosigkeit. Argentiniens Militärs vor Gericht", Wagenbach, 128 Seiten, 10,90 Euro, ISBN: 978-3-80312-646-7