Donnerstag, 25. April 2024


Über die Datumsgrenze nach Tasmanien

Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass der 18. November 2011 in meinem Leben nicht stattgefunden hat. Ich bin am 17. abends in San Francisco ins Flugzeug gestiegen und zwölf Stunden später am Morgen des 19. Novembers im neuseeländischen Auckland ausgestiegen.

Von Monika Seynsche | 19.11.2011
    Irgendwo dazwischen haben wir die Datumsgrenze überquert. Ich tröste mich damit, dass in den vergangenen Wochen zahlreiche meiner Tage länger waren als 24 Stunden. Und auch der heutige wird 27 haben.

    Erstmal aber habe ich reichlich Zeit, neuseeländische Souvenirs zu erstehen. Ich komme mir dabei ein wenig vor wie ein Flughafentester, falls es so etwas gibt. Schließlich hatte ich in den letzten drei Tagen reichlich Gelegenheit, Cordova, Anchorage, Seattle, San Francisco und jetzt Auckland miteinander zu vergleichen. Dabei schneidet letzterer Flughafen eindeutig am besten ab. Hier fehlen zwar die ausgestopften Bären aber dafür gibt es wirklich guten Kaffee und ganz köstliches Sushi.

    Auf dem nächsten Flug gewinne ich wieder drei Stunden Zeit, sodass ich zwar drei Stunden im Flugzeug sitze aber trotzdem nur eine halbe Stunde nachdem ich Neuseeland verlassen habe in Australien ankomme. Während mein Kopf noch versucht, bei den ganzen verschiedenen Zeiten den Überblick zu behalten, trifft mein Körper auf Außentemperaturen von fast 30 Grad Celsius. Ich versuche mich so wenig wie möglich zu bewegen und mir einzureden, dass ein Temperaturwechsel von fast 60 Grad Celsius innerhalb von zwei Tagen bestimmt keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Trotzdem bin ich ganz glücklich als ich endlich in Tasmanien ankomme, wo milde 15 Grad herrschen.

    Auf dem Weg zu meinem ersten Interview laufe ich durch die Straßen von Battery Point, dem ältesten Stadtteil der Hauptstadt Hobart. In den Vorgärten der alten Steinhäuschen blühen Rosen und verbreiten einen bezaubernden Duft, der so gar nicht zum Monat November passen will. Im Park des Parlamentsgebäudes tragen die alten Eichen neue, hellgrüne Blätter. Drinnen habe ich einen Termin bei Kim Booth, einem ehemaligen Sägewerksbesitzer, der heute als Abgeordneter der Grünen im tasmanischen Parlament sitzt. Der Pförtner nennt ihn am Telefon beim Vornamen und hält noch einen kleinen Schnack mit ihm, nachdem er mich zum richtigen Büro geführt hat. Tasmanien ist klein. Und es besitzt große Wälder, die komplett einzigartig sind. Die Ökosysteme der Insel hatten Millionen Jahre Zeit, sich weitgehend unabhängig vom Rest der Welt zu entwickeln. Ein Großteil der Tiere und Pflanzen hier leben nur hier, nirgendwo sonst.

    Seit einigen Jahrzehnten allerdings werden die Wälder Tasmaniens massiv gerodet. Die Waldwirtschaft hat Arbeitsplätze in den ärmsten Bundesstaat Australiens gebracht, allerdings zu einem hohen Preis, wie Kim Booth meint. Die Vernichtung der Wälder hier sei fast noch schlimmer als die Abholzung der tropischen Regenwälder, denn sie werde viel effizienter betrieben – nicht mit den begrenzten Möglichkeiten eines Entwicklungslandes, sondern mit dem Geld und den Maschinen eines Industriestaates. Später am Tag treffe ich einen Ökologen der Universität von Tasmanien, der untersucht welche Auswirkungen die Waldwirtschaft auf die Umwelt hat. Er ist sehr nervös und gibt sehr vorsichtige Antworten. Nach dem Interview entspannt er sich ein wenig und sagt, das ganze Thema sei hochpolitisch und sehr emotional besetzt. Man werde schnell in das eine oder das andere Lager geschoben. Dabei mache er sich einfach nur große Sorgen um viele einzigartige Tier- und Pflanzenarten, die durch die Abholzungen vernichtet werden könnten.

    Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
    Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch

    Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.
    Das Parlamentsgebäude in Hobart
    Das Parlamentsgebäude in der tasmanischen Hauptstadt Hobart. (Monika Seynsche)
    Frühling in Battery Point
    Frühling in Battery Point, einem Stadtteil von Hobart. (Monika Seynsche)