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Über Menschen und Menschenaffen

Es gefällt zwar nicht jedem, aber zwischen Menschen und Menschenaffen gibt es viele Verbindungen. Eine Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland zeigte, dass sich Evolutionsbiologie und Theologie nicht unvereinbar gegenüberstehen müssen.

Von Peter Leusch | 24.03.2011
    Viele Schimpansen zeigen ein Gefühl von Ehrfurcht. Das erste Mal habe ich das an einem Wasserfall beobachtet. Ein Affe stand da und staunte. Er bewegte sich wie in Trance vor diesem Bach, der auf die Felsen tropfte. Er schaute und schaute und machte dabei diese großartigen rhythmischen Bewegungen. So ein Wasser-Tanz kann zwanzig Minuten dauern. Manchmal sind es auch mehrere Affen. Mal tanzen sie, mal sitzen sie versunken da und beobachten das Wasser: Was ist das? Woher kommt es, wo fließt es hin. ... Ich bin überzeugt davon, dass dies eine frühe Form der Religion ist, ein Gebet an das Wasser oder die Sonne, an Dinge, die auch die frühen Menschen nicht begreifen konnten.

    Jane Goodall, die britische Verhaltensforscherin, schilderte in einem Interview das merkwürdige Verhalten der Schimpansen. Sind Affen denn religiös? Sind sie zu einer Form von Spiritualität fähig, die man gemeinhin nur dem Menschen zurechnet?

    "Es gibt ein Wort, das sagt, Glauben fängt beim Staunen an. ... - und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es letztendlich eine Eigenart des Menschen gibt, die vom Himmel gefallen ist, sondern all das, was Menschen ausmacht, hat auch Vorformen im Tierreich."

    Rainer Hagencord, ein katholischer Priester, der auch Biologie studierte, hat vor drei Jahren in Münster ein Institut für zoologische Theologie gegründet. Das scheint auf den ersten Blick unvereinbar: Was hat denn die Zoologie als Wissenschaft der Tiere mit der Lehre von Gott zu tun, die vermeintlich nur den Menschen angeht? Hagencord jedoch wendet sich gegen die Vorstellung, dass der Mensch durch einen Graben von allen anderen Lebewesen getrennt sei, dass er die Krone der Schöpfung darstelle, geadelt auch durch die Theologie, die dem Menschen eine Seele zuspricht, den Tieren aber nicht.

    "Die Bibel kennt überhaupt keinen Dualismus, wonach der Mensch eine Seele hat und das Tier nicht, sondern die Bibel sagt, Mensch und Tier sind lebendige Seele. Und dieses eher poetische Wort wird letztlich eingeholt durch das, was die Biologie uns sagt, der durchgehende Strang des Lebens, des Lebendigen geht durch alle Lebensformen, also zu sagen, nur der Mensch habe eine Seele, ist ein Dualismus, der letztlich biblisch nicht zu verorten ist, und dann bringt das auch noch mal Bastionen zu Fall, was ist dann das Besondere des Menschen und so weiter."

    Hagencord schmiedet ein neuartiges Bündnis zwischen christlichem Glauben und moderner Evolutions- und Verhaltensbiologie gegen den herrschenden Anthropozentrismus. Unterstützung erhält er dabei auch von selbstkritischen Stimmern innerhalb der Philosophie. Denn auch die Philosophie der Neuzeit ging davon aus, dass bestimmte geistige Fähigkeiten allein dem Menschen vorbehalten seien, zum Beispiel das Vermögen zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Doch die neuere Verhaltensforschung lehrt uns, so der Philosoph Michael Weingarten von der Universität Stuttgart, dass diese Fähigkeit keineswegs allein den Menschen auszeichnet. Auch Schimpansen wissen, was wahr und was falsch ist, und können sich diese Kenntnis zunutze machen.

    "Es ist bei Beobachtungen von Schimpansengruppen sichtbar geworden, dass dort getrickst wird, dass dort versucht wird, den anderen zu betrügen ... . Ein Schimpanse kann bewusst, einen anderen Schimpansen täuschen, um beispielsweise an die Nahrung heranzukommen, die der andere Schimpanse gerade hat. Indem er ihn ablenkt, indem er die Aufmerksamkeit des Schimpansen auf etwas anderes lenkt, indem er einen Warnausruf ausstößt, es kommt ein Löwe, es kommt aber keiner, und dadurch verhält er sich menschlich, indem er sich durch einen kleinen Betrug einen Vorteil verschafft, das ist doch eine Eigenschaft, die wir von uns sehr gut kennen. "

    Manche Menschen fühlen sich von diesen Forschungsergebnissen in ihrem Selbstverständnis infrage gestellt. Dabei handelt es sich weniger um eine Herabsetzung des Menschen als vielmehr um eine Aufwertung der Tiere, insbesondere der Primaten. Bei Jane Goodall, die ihre Langzeitstudien mit Schimpansen bereits in den 60er-Jahren begonnen hat, hatte das auch eine wissenschaftspraktische und methodische Seite, so Frank Vogelsang, Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Rheinland.
    "Jane Goodall ist sozusagen in diese Gruppe der Affen hineingegangen, hat nicht gleich Papier und Stift zur Hand genommen, um das festzuhalten, und in Kategorien zu fassen, sondern hat sich zunächst einmal auf diese undeutliche Situation eingelassen, die da existiert, da ist so eine spannungsvolle Situation, sie ist da, die Affen sind da, sie reagieren auf Jane Goodall und Jane Goodall reagiert natürlich auch auf die Affen und dadurch entsteht auch etwas - und dies, was da entsteht, ist nicht sogleich in Kategorien zu fassen. Diese Offenheit ist sehr wichtig, sie kann uns weiterhelfen, die Affen zu verstehen, aber auch uns selbst zu verstehen."

    Die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier, insbesondere dem zum Affen, ruft nach neuen Antworten: Bislang dominierten solche Vorstellungen wie das Bild des Baumes, wo die gesamte biologische Entwicklung sich hierarchisch verzweigt und im Menschen als Krone der Schöpfung gipfelt. Doch die Evolutionsbiologie widerspricht dieser anthropozentrischen Sicht. Frank Vogelsang:

    "Andere Formen der Darstellungen gehen eher von Symmetrien aus und sagen, es gibt Verzweigungen nach rechts und links, und da ist weder rechts noch links bevorzugt, es sind einfach Verzweigungen, und der Mensch ist eine dieser Verzweigungen - wir hatten gerade den Vorschlag von Jerid Diamond, dass man sagt: Der Mensch ist sozusagen der dritte Schimpanse, es gibt nicht den Menschen und den Schimpansen, sondern es gibt drei Formen von Schimpansen: Schimpanse, Bonobo und Mensch."

    Schimpansen und Bonobos, obwohl vom Aussehen sehr ähnlich, sind unterschiedliche Affenarten. Die Bonobos zeigen sich in ihrem Sozialverhalten viel friedlicher als die manchmal aggressiven Schimpansen. Noch einmal anders ist die menschliche Gattung.

    Deshalb ist die Rede vom Menschen als dritten Schimpansen provokativ gemeint. Sie betont die Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier, ohne den Unterschied zu leugnen. Doch dieser Unterschied bedeutet nicht nur Privilegien, er lädt den Menschen vielmehr die Verantwortung auf für das gesamte Leben auf der Erde, und er spricht den Affen als nächstem Verwandten Rechte zu, die der Mensch zu respektieren habe: