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Über Mode und die Wirklichkeit

Guy Bourdin zählt heute zu den bekanntesten Werbefotografen der Welt. Die Hamburger Deichtorhallen zeigen in einer Retrospektive Bourdin jedoch nicht nur als Meister der Modeinszenierung, sondern auch als ansatzweise experimentellen Künstler.

Von Carsten Probst | 03.11.2013
    Für das Haute Couture-Schuhhaus Charles Jourdan fotografierte Guy Bourdin 15 Jahre lang alle Werbekampagnen und genoss dabei vollkommene künstlerische Freiheit – so heißt es in einem zentralen Wandtext dieser Ausstellung, und man kann sich natürlich denken, was damit gemeint sein soll. Guy Bourdin durfte die Motive selber gestalten, ohne dass jemand aus der beauftragenden Firma ihm hineinredete, wie es bei Werbefotografen der Normalfall ist. Dabei entstanden dann während der 15 Jahre zwischen 1964 und 1978 Bilder wie diese: Ein Model in schwarzem Body und Netzstrümpfen scheint gestolpert und kopfüber in die hell ausgeleuchteten Kulissen einer Modenschau gefallen zu sein. Man sieht jedenfalls nur noch das gebückte, hauteng bekleidete Hinterteil und die exorbitant langen Beine mit den schwarz-gold schimmernden High Heels an den Füßen, deren sexuelle Verheißung in dieser Körperhaltung der Frau naturgemäß besonders zur Geltung kommt, gerade für mutmaßlich jene Herren, die sich in der Regel für das Verschenken teurer Accessoires für zuständig halten.

    Ohne Frage inszeniert Guy Bourdin mit seinen Bildern für die "Vogue" und zahlreiche andere Auftraggeber zu jener Zeit seit Mitte der sechziger Jahre einen Tabubruch mit der Werbesprache – die aber zugleich stets im Rahmen jener Klischees, die auch sein berühmterer Fotografenkollege Helmut Newton bediente. Die michel-angelesken Attribute jedenfalls, mit denen diese beiden stets wie Umwerter aller Werte bekrönt werden, stehen dabei in seltsamem Kontrast zu der Tatsache, dass sie zu Lebzeiten eigentlich doch ganz auskömmliche Karrieren hingelegt haben. Guy Bourdins Bilder verstehen sich in den Deichtorhallen inmitten einer wunderbar kühlen, ästhetisch höchst anmutigen Ausstellungsarchitektur. Eigentlich würde man sich wünschen, dass eine so große Ausstellung den immanenten Widerspruch zwischen dem behaupteten Rebellentum und der gefälligen Erscheinungsweise seiner Bilder heute zu reflektieren.

    Stattdessen erzählt sie die Geschichte vom gescheiterten Maler, dem es schließlich mithilfe der Fotografie gelang, doch noch seine künstlerische Berufung zu finden. Dafür unternimmt die Ausstellung scheinbar selbst einen Tabubruch und zeigt einige der in der Tat seltsam unfertigen oder misslungenen malerischen Versuche Bourdins aus dessen Frühzeit, statische Annäherungen in offenkundiger Verehrung für das Werk René Magrittes, mit großer Vorliebe für filigranes schmückendes Beiwerk. Vieles davon findet sich suggestiv später auch als Element in Fotografien, bis hin zum wörtlichen Zitat von malerischen Details, in die jetzt die echten Models platziert werden. Für Bourdin, so könnte man daraus schließen, war die Kamera eigentlich nur ein Instrument, um das zu erreichen, was er mit der Malerei von eigener Hand nicht zustande brachte, Körper und Gesten mit oder ohne Kleidung mitsamt Interieurs in möglichst präziser Detailarbeit darzustellen, wobei die Details von Körpern, Schmuck, Kleidung, Möblierung oder Umgebung so stark in den Vordergrund treten, dass sie das Gesamtmotiv verdrängen.

    Vielleicht ist diese bereitwillige Offenlegung des malerischen Scheiterns aber selbst nur eine Inszenierung, selbst nur eine Geschichte, die Bourdin erfunden hat. Zugleich gibt es da nämlich auch noch seine Schwarz-Weiß-Fotografie, die er zunächst seit den frühen fünfziger Jahren unter dem Pseudonym Edwin Hallan ausgestellt hat. Diese Aufnahmen zeigen Straßenszenen, aber auch Detailstudien von realen Dingen, die bis ins Abstrakte reichen. Sie sind aufschlussreich nicht unbedingt wegen ihrer eher durchschnittlichen Qualität, sondern weil sie Bourdin von einer anderen Seite zeigen, einer ansatzweise experimentellen, tastenden; sie zeigen ihn als einen unerhört umtriebigen Sammler von Bildmotiven, als Archivar, eines Bilderkosmos, der zumindest aus heutiger Sicht mit den aufeinander geklebten Papieren, den Markierungen, Hervorhebungen von Schatten und Konturen die Materialität der Fotografie selbst betont.

    Was wäre aus Guy Bourdin geworden, wenn er - wirklich radikal - dieser experimentellen Linie treu geblieben wäre, in kleinen Formaten, nicht in Farbe auf Hochglanzpapier von Modemagazinen? Er wäre vermutlich kein Modefotograf geworden, sein Werk würde nicht mit großem Tamtam in einer an diesem Sonntag bereits viel besuchten Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt, und wer würde schon über einen kleinen, experimentellen Fotografen ein Wort verlieren? Am Ende könnte man hinter dieser großen Erzählung einer Fotografenkarriere vermuten, Guy Bourdin, der Meister der surrealen Inszenierung, hätte aus seiner Not als Künstler eine listige Tugend als Fotograf gemacht.

    Mehr zur Ausstellung:
    Die Guy Bourdin Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen ist noch bis zum 26. Januar 2014 geöffnet.
    Fotos des Fotografen Guy Bourdin
    Fotos des Fotografen Guy Bourdin (picture alliance / dpa / Sebastien Nogier)