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Über Sportwagen

Es ist eine beliebte Technik der zeitgenössischen Kultur- und Poptheorie, einigermaßen randständige gesellschaftliche Zeichen zum Analysegegenstand zu küren und deren Wert und Wertwechsel im historischen Verlauf zu beschreiben.

Enno Stahl | 26.06.2002
    Das gestattet einen zeitgemäßen Argumentationsduktus, der sich des Themas eher lockerassoziativ als mit schwerfüßiger Wissenschaftlichkeit bemächtigt - was den erzählerischen Qualitäten solcher Texte zugute kommt.

    Ulf Poschardt ist als Schüler von Friedrich Kittler dieser Methodik verpflichtet. Nach einigen erfolgreichen Büchern über Pop-Phänomene wie die "DJ-Culture" oder Mode ("Anpassen") hat er sich nun einem besonders unvermuteten Bereich zugewandt, dem Sportwagen, dieser hybriden Form von Automobil zwischen Fortbewegungsmittel und Wettkampfgerät. Und da sein Bändchen im Merve-Verlag erschienen ist, jenem Berliner Unternehmen mit der Raute im Cover, das wie kein zweites die poststrukturalistische Philosphie Frankreichs in Deutschland durchgesetzt hat, zeigt sich Poschardt beflissen, es den großen Vorgängern gleich zu tun. Er bemüht sich nach Kräften, und durchaus nicht immer ohne Erfolg, Esprit und Poesie des französischen Denkens nachzuahmen und so von der relativen Oberfläche des Pop-Diskurses in die Höhe der internationalen Theorie sich aufzuschwingen. Nur das Sujet, der Sportwagen, scheint vom selber Ferrari-fahrenden Poschardt etwas zu exquisit gewählt. In einer Zeit, in der soziale Fragen immer drängender der Beantwortung harren, fällt es schwer, den kulturellen Signifikanten des Sportwagen-Motivs allzu viel Gewicht einzuräumen. Die These etwa, ob der Sportwagen in seiner anti-sozialen und entfunktionalisierten Semantik die Zukunft des Automobils darstelle, ist zweifelhaft, aber auch wenig virulent.

    Gerechterweise muss man allerdings sagen, dass Poschardt den engen Kontext der Rennwagen-Metapher immer wieder großzügig interpretiert. Er verlässt ihn zum Beispiel für Exkurse, die ermitteln sollen, welche Zeichenfunktion Auto und Straßenverkehr im neuen Jährtausend zukommen. Von großen Interesse sind kleine historische Skizzen, die sich dem antiken bis mittelalterlichen Straßenbau widmen sowie den Anfängen der Kartographie derselben. Erhellend sind seine Ausführungen über den nationalsozialistischen Autobahnbau als explizite Kulturtechnik. Über die militärischen Ziele hinaus diente dieser auch einer kulturellen Strukturierung: die Autobahnen, die ein schnelles Fahren überhaupt erst ermöglichten, machten "Landschaften nutzbar und das Land lesbar: sie konstruierten Einheit durch Einheitlichkeit."

    Straßenzeichen, Fahrbahnmarkierungen, aber nicht zuletzt auch eine forcierte Landschaftsarchitektur sorgten für eine homogene, vorgeblich "deutsche" Naturgestaltung mit dem "sogenannten 'heimischen' Wald- und Wiesenwechsel, mit 'typischen' kleinen Hügeln und Tälern." Die Landschaft wurde für den Autofahrer zu einer Art Text, sie sollte als "deutsch" gelesen werden: Heimat als ein umständlich erstelltes Konstrukt. An diese Stellen ist Poschardts Diskurs stark, und das nicht ohne Grund. In einem kleinen Kapitel gegen Ende kommt er auf die Methodologie zu sprechen, die seinem Text zugrunde liegt. Hier behandelt er den Terminus Kultur-Technik und plädiert dafür, die widerstrebenden Begriffsbestandteile als mögliche Fusion zu betrachten. In einer Zeit, in der beide Bereiche, Kultur und Technik, sich in nie gekannter Weise durchdringen, ist das absolut nachvollziehbar. Die Legitimation, die Poschardt für seine Herangehensweise daraus bezieht, wäre jedoch in weitaus größerem Maße gegeben, wenn er sich nicht auf die allzu verengte technologische Perspektive, den Sportwagen, beschränkt hätte. Man würde sich wünschen, er habe diesen Ansatz gleich ganz allgemein auf das Auto und seine kulturhistorischen Konnotationen bezogen. Natürlich wäre das Werk dann erheblich umfangreicher ausgefallen, aber vielleicht ist diese Abhandlung dazu eine erste Propädeutik.