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Überfall auf Polen

Vor 70 Jahren begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg. Die nationalsozialistische Kriegsführung zielte auf eine endgültige Zerstörung der polnischen Nation und brach mit allen zivilisatorischen Standards.

Von Bert Oliver Manig | 01.09.2009
    Auf diesen Krieg hatte sich das deutsche Militär lange vorbereitet – materiell und mental. Im Offizierskorps, das sich mit der deutschen Kriegsniederlage von 1918 nie hatte abfinden können, galt ein Revanchekrieg als unvermeidlich. Und der polnische Staat war das Feindbild Nummer eins. Der Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, hatte schon 1922 für ein Bündnis mit der Sowjetunion plädiert und erklärt:

    "Polens Existenz ist unerträglich, unvereinbar mit den Lebensbedingungen Deutschlands. Es muss verschwinden und wird verschwinden."

    17 Jahre später war auch Adolf Hitler auf diese Linie eingeschwenkt. Weil sich Polen nicht in die Rolle eines Juniorpartners im Bündnis gegen die Sowjetunion fügen wollte, hatte der deutsche Diktator umdisponiert: Er befahl seinen Generälen im April 1939, einen Angriffsplan gegen Polen auszuarbeiten, und schloss im August einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion ab. Gleichzeitig warfen die Nationalsozialisten ihre Propagandamaschine an, um angebliche Grenzverletzungen der Polen anzuprangern.

    Am Morgen des 1. Septembers drang die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung auf polnisches Gebiet vor. Hitler versuchte anschließend im Reichstag, dem deutschen Volk die Angst vor einer Wiederholung der Leiden des Ersten Weltkriegs zu nehmen:

    "Ich habe nun über sechs Jahre am Aufbau der deutschen Wehrmacht gearbeitet. Es sind in dieser Zeit über 90 Milliarden für den Aufbau unserer Wehrmacht angewendet worden. Sie ist heute die bestausgerüstete und sie steht weit über jedem Vergleich mit der des Jahres 1914. Mein Vertrauen auf sie ist unerschütterlich!"

    Der Krieg war zunächst nicht populär: Denn, wie abzusehen, weitete er sich rasch zum Weltkrieg aus: Großbritannien und Frankreich hielten zu Hitlers großer Enttäuschung Wort und erklärten Deutschland nach dem Überfall auf Polen den Krieg.

    Allerdings brachten sie keine Entlastungsoffensive im Westen zustande. So erlebte die hoffnungslos veraltete polnische Armee trotz verzweifelter Gegenwehr ein militärisches Fiasko. Sie hatte den beweglichen deutschen Panzerverbänden und der Luftwaffe, die bedenkenlos auch zivile Ziele bombardierte, nichts entgegenzusetzen. Am 6. Oktober trat der triumphierende Hitler erneut vor den Reichstag:

    "Das Ergebnis des Kampfes ist die Vernichtung aller polnischen Armeen; die Auflösung dieses Staates war die Folge. 694.000 Mann Gefangene haben bislang den Marsch nach Berlin angetreten."

    Das von der NS-Propaganda geschaffene Bild vom "Blitzkrieg" beschönigte die Grauen dieses Krieges: 66.000 polnische und etwa 18.000 deutsche Soldaten waren gefallen. Und es unterschlug, dass dieser Krieg von Anfang an ein "schmutziger Krieg" war: Massenhaft wurden polnische Kriegsgefangene und angebliche Freischärler von deutschen Soldaten aus Wut über eigene Verluste ermordet, ganze Dörfer niedergebrannt. Plündernde deutsche Soldaten wurden ein Massenphänomen. Berichte über polnische Racheakte an Angehörigen der deutschen Minderheit heizten die Stimmung in der Truppe an.

    Es blieb nicht bei Exzessen. Vielmehr führten die Deutschen einen Vernichtungskrieg gegen die polnische Nation: Der aus Angehörigen der deutschen Minderheit gebildete Volksdeutsche Selbstschutz und SS-Einsatzgruppen gingen seit den ersten Kriegstagen mit kalter Berechnung gegen die geistige Elite vor, wie diese Vollzugsmeldung der SS aus dem Oktober 1939 zeigt:

    "In den westpreußischen Städten wurden von der Geheimen Staatspolizei und vom Selbstschutz Aktionen durchgeführt, um die polnischen Lehrer zu verhaften ... Es ist geplant, die radikalen polnischen Elemente zu liquidieren ... Ein Großteil der katholischen Geistlichkeit ist infolge der bekannten radikal-polnischen Haltung beseitigt."

    Zwischen 20.000 und 30.000 Angehörige der polnischen Intelligenz, außerdem zahllose Juden, wurden im September und Oktober 1939 von deutschen Erschießungskommandos ermordet. Bald darauf wurden in einer ersten Welle über 90.000 polnische Bauern unter erbärmlichen Bedingungen von ihren Höfen vertrieben, um Platz für volksdeutsche Umsiedler zu schaffen. Mit diesem rassistischen Krieg in Polen brach das nationalsozialistische Deutschland unwiderruflich die letzten Brücken zur zivilisierten Menschheit hinter sich ab. Es bedurfte eines sechs Jahre dauernden Weltkrieges, um Europa von dieser Barbarei zu befreien.