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Übergriffe in Köln
Sorge auch in den Niederlanden

Nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht steht auch die Bundespolitik unter genauer Beobachtung der EU-Partner. Selbst in den Niederlanden, die in der Flüchtlingspolitik bislang an der Seite von Bundeskanzlerin Merkel stehen, wird genau verfolgt, welche Konsequenzen Berlin ziehen will.

Von Kerstin Schweighöfer | 12.01.2016
    Demonstration in Köln nach den Übergriffen der Silvesternacht
    Auch in den Niederlanden haben die Parteien zu einer Kundgebung gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen aufgerufen. (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Egal, ob Talkshows oder Politiksendungen, Zeitungen, Facebook oder Twitter: Die Angriffe von Köln beherrschen schon seit Tagen auch die niederländischen Medien. "Merkel unter Druck" - "Auf einmal hat Deutschland Angst" lauten die Schlagzeilen.
    Niederländische Deutschland-Korrespondenten versuchen eine Antwort auf die Frage zu geben, weshalb es so lange dauerte, bis das Ausmaß der Übergriffe deutlich wurde:
    "Die Deutschen sind einfach noch nicht so weit wie wir Niederländer", glaubt Wierd Duk zu wissen, der unter anderem für das algemeen dagblad aus Berlin berichtet. Die Lage in Deutschland sei mit der Ära in den Niederlanden vor der Ermordung des rechtspopulistischen Politikers Pim Fortuyn 2002 zu vergleichen. Damals galt es auch der Regierung in Den Haag als politisch nicht korrekt, sofort die Ethnizität von Straftätern zu nennen. Diese Scheu hätten die Niederländer längst verloren. "Wir nennen inzwischen Ross und Reiter", so Duk. Diese Debatte stehe den Deutschen noch bevor.
    Sämtliche Entwicklungen werden genauestens verfolgt. Experten analysieren die Hintergründe der sexuellen Übergriffe und prophezeien die Folgen – zum Beispiel für Europa und die Flüchtlingspolitik:
    "Die Regierungschefs werden jetzt noch vorsichtiger sein, noch zurückhaltender", fürchtet Louise van Schaik vom Institut für internationale Beziehungen Clingendael. "Die humanitären Aspekte der Flüchtlingskrise werden weniger Beachtung finden."
    Das gilt auch für die niederländische Regierungskoalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten. Sie übt sich seit Jahren im Spagat, um nicht noch mehr Wähler an die rechtspopulistische Partei für die Freiheit PVV von Geert Wilders zu verlieren, dessen Aufstieg nach der Ermordung von Pim Fortuyn begonnen hatte. Aus den letzten Parlamentswahlen 2012 ist die ebenso islam- wie europafeindliche PVV als drittstärkste Kraft hervorgegangen. Wilders plädiert schon seit Jahren für einen Austritt aus der EU und will die Grenzen rigoros schließen. "Nach dem islamistischen Terror folgt nun der sexuelle Jihad", schrieb er nach den Kölner Ereignissen in einem offenen Brief. In den Umfragen hat seine PVV seitdem sprunghaft zugelegt. Wären jetzt Wahlen, könnte sie stärkste Fraktion werden.
    Premierminister Rutte hat die Angriffe in Köln als abscheulich verurteilt
    "Wir werden unsere Normen und Werte nicht anpassen an Menschen, die zu uns kommen - sie sind es, die sich anzupassen haben", erklärte Rutte. Aber die Ereignisse von Köln seien keinesfalls ein Argument, um sich gegen den Zustrom der Flüchtlinge auszusprechen: "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass jeder, der bei uns Zuflucht sucht, ein potenzieller Vergewaltiger ist."
    Asylbewerber, die eines Verbrechens überführt werden, können in den Niederlanden nun schon bei einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten ihr Bleiberecht verlieren. Vorher lag die Grenze bei 18 Monaten. Dafür hat gerade erst der zuständige Staatsekretär vom Justizministerium Klaas Dijkhoff gesorgt. Auch Dijkhoff betonte, dass sich nicht nur Asylbewerber der Vergewaltigung und sexuellen Belästigungen schuldig machten.
    Viele Bürger können ihm da nur beipflichten. Die Kommentarspalten der Zeitungen, Facebook und Twitter sind voll mit Berichten von Frauen und den sexuellen Belästigungen, denen sie im Laufe ihres Lebens ausgesetzt waren.
    "Die Straßen sind für Frauen noch nie sicher gewesen", sagt Cisca Dresselhuys, ehemalige Chefredakteurin von Opzij, sozusagen der niederländischen Emma. Nur habe es sexuelle Übergriffe in diesem Ausmaß noch nie gegeben. Dresselhuys würde sich wünschen, dass die Frauen wieder – so wie in den 1970er und 80er Jahren – mit Spruchbändern protestierend durch die Straßen ziehen. Der Empörung in den sozialen Medien freien Lauf zu lassen, sei viel zu unsichtbar. "Mit twittern hinterm Schreibtisch oder auf der Couch, um sich dann das nächste Glas Weißwein einzuschenken, ist es nicht getan", so Dresselhuys.
    Demonstration in Amsterdam
    Ihr Aufruf scheint auf offene Ohren gestoßen zu sein – jedenfalls bei den Männern: Die Jungparteienorganisationen der niederländischen Sozialdemokraten, Linksliberalen, Grünen und Sozialisten haben zu einer großen Demo am nächsten Samstag auf dem Dam in Amsterdam aufgerufen: Sämtliche Männer sollen dabei im Minirock erscheinen – als Reaktion auf die Aussage der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, eine Frau tue gut daran, die Männer eine Armlänge auf Abstand zu halten. "Verkehrte Welt!" finden die Organisatoren. "Wir drehen die Rollen um. Wir setzen unsere haarigen Knie für eine freie Gesellschaft ein, in der Frauen ungestört auf die Straßen können – egal, wie kurz ihr Rock ist."