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Überlingen
Zehn Jahre ohne Gentechnik

Es war mehr als ein symbolischer Beschluss: Vor zehn Jahren erklärte der Gemeinderat von Überlingen die Stadt am Bodensee zur gentechnikfreien Zone. Nun sorgt die anstehende EU-Zulassung des Genmaises 1507 wieder für Diskussionen.

Von Thomas Wagner | 24.02.2014
    Die Stadt Überlingen am Bodensee macht ihre Ablehnung gentechnisch veränderter Pflanzen mit einem Schild an einem Ortseingang deutlich: "Stadt Überlingen - gentechfreie Landschaft" heißt es auf der grünen Informationstafel.
    Felder, Ställe, Küchen in und rund um Überlingen bleiben seit zehn Jahren frei von gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln. (dpa / picture alliance / Patrick Seeger)
    "Was darf’s denn sein? Kommt noch was dazu?" - "Ein Käsekuchen…"
    Wochenmarkt in Überlingen: Rund um das mächtige St. Nikolaus-Münster bieten Biobauern und konventionelle Landwirte ihre Produkte an. An einigen Ständen lesen die Kunden den Zusatz: "Überlingen - Gentechnikfreie Stadt." Das nehmen viele, die hier einkaufen, sehr aufmerksam wahr:
    "Das ist unbedingt wichtig. Gentechnikfreie Zone, das unterstützen wir total, in dem wir zum Beispiel genau darauf achten, was wir einkaufen." - "Ganz wichtig. Natürlich spielt das eine große Rolle, weil ich keine gentechnikveränderten Lebensmittel haben möchte."
    Seit zehn Jahren bereits machen viele Bauern auf dem Wochenmarkt Werbung mit dem Prädikat "gentechnikfreies Überlingen." Denn vor zehn Jahren fasste der Gemeinderat der Stadt einen Beschluss, der landes- und bundesweit aufhorchen ließ.
    "Das kam deshalb, weil in Überlingen ein Markt schon länger da war, wo Menschen da waren, die sehr auf Ernährung Wert legen. Wir haben ja diese Ernährungskliniken. Und wir haben einen großen Anteil der bäuerlichen Landwirtschaft, die das auch nicht wollte. Und diese Kombination führte dazu, dass sich die Gemeinde in breiter Mehrheit, mit 23 zu zwei Stimmen für die Einrichtung einer agro-gentechnikfreien Zone ausgesprochen hat."
    Entschluss über alle Parteigrenzen hinweg
    Erinnert sich Bio-Bauer Martin Hahn, seinerzeit selbst noch Gemeinderatsmitglied, an jenen denkwürdigen Beschluss, den der Überlinger Stadtrat mit großer Mehrheit über alle Parteigrenzen hinweg getroffen hatte. Von Anfang an war klar: Gentechnikfreie Zone – das sollte mehr sein als eine rein symbolische Erklärung.
    "Das war eine Freiwilligkeitsverpflichtung der Bauern, die das in einer Selbstverpflichtung der Bauern eingeführt haben."
    Der Selbstverpflichtung schlossen sich Metzger, Köche, Gastronomen, ja sogar die Hoteliers an. Der Tenor der Erklärung: Felder, Ställe, Küchen in und rund um Überlingen bleiben frei von gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln. Doch damit nicht genug. Die Überlinger Bio-Bäuerin Anneliese Schmeh verweist auf einen wichtigen Partner:
    "Großes Glück war auch, dass die Stadt Überlingen das gleich erkannt hat, mit eingestiegen ist und gesagt hat: Jawohl, wir sind dabei als Stadt mit unseren Pachtflächen. Wir verpachten landwirtschaftliche Flächen nur an Betriebe, die sich verpflichten, keine Gentechnik auszusäen. Und das hat uns natürlich alles sehr gestärkt."
    Bestärkt fühlten sich die Biobauern durch das Mitziehen der konventionellen Landwirte:
    "Die konventionellen Betriebe sehen natürlich, dass sie keinen Fuß auf den Boden kriegen, wenn sie diese gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen."
    Denn dies wäre offenkundig an den Bedürfnissen der Verbraucher vor Ort vorbei produziert. Der Erklärung zur gentechnikfreien Stadt folgte die Einrichtung eines Projektbüros. Gentechnik in der Landwirtschaft wurde verstärkt in den Überlinger Schulen behandelt. Lehrer und Schüler demonstrierten vor einem Überlinger Supermarkt, der es vor Jahren einmal gewagt hatte, Milch von Kühen anzubieten, die mit gentechnisch verändertem Futter versorgt worden waren. Und, ganz wichtig: Das Projektbüro lud auch Landwirte aus jenen Teilen der Welt ein, wo Gentechnik in der Landwirtschaft gang und gäbe ist. Anneliese Schmeh:
    "Die Versprechungen sind hoch und suggerieren, dass man hier weniger Pflanzenschutzmittel braucht und dass mehr Erträge da sind. Man kann rings um der Welt schauen, wo Gentechnik angebaut wird, dass diese Versprechungen einfach nicht greifen. Wir hatten gerade im Herbst einen Professor aus Brasilien da. Und der hat ganz klar gesagt: Sie haben nach fünf, sechs Jahren Maisanbaus den Maiszünsler stärker als bisher."
    Kampf gegen die Gentechnik-Ausweitung in der Landwirtschaft
    In Feierlaune sind jene Überlinger, die sich seit zehn Jahren für das Projekt "Gentechnikfreie Stadt" einsetzen, dennoch nicht. Der Grund: die bevorstehende Zulassung des Genmais 1507 durch die Europäische Union. Die, behaupten Kritiker wie der Biobauer und Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Hahn, werde durch die Haltung Deutschlands ermöglicht, das für die entscheidende Abstimmung eine Enthaltung statt, wie von Gentechnik-Kritikern gefordert, ein „Nein“ angekündigt hat.
    "Ich würde das mal eine politische Dummheit nennen, weil es eine hohe Übereinkunft in ganz Deutschland gibt, wie man sich diesen Produkten stellt. Wir hatten vor drei Wochen eine Debatte zu diesem Thema im Landtag. Also, ich würde sagen, da sind die Parteien einmütig dagegen gewesen."
    Deshalb will die grün-rote Landesregierung Baden-Württemberg das Beispiel der gentechnikfreien Stadt Überlingen nutzen, um zukünftig auf allen politischen Ebenen gegen die Ausweitung der Gentechnik in der Landwirtschaft Front zu machen. So jedenfalls hat es der baden-württembergische Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Alexander Bonde, dieser Tage bei einem Besuch am Bodensee angekündigt:
    "Natürlich hilft es, dass Gemeinden wie Überlingen sich über alle Parteigrenzen hinweg positioniert haben. Und ich erwarte von der EU-Kommission, aber vor allem von Frau Dr. Angela Merkel, der deutschen Bundeskanzlerin, dass sie endlich die Leute hier ernst nimmt. Es gibt hier keinerlei gesellschaftliche Bereitschaft, dieses Risiko auf die Felder zulassen."