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Übermut, Rache, Prüfungsängste

Oft sind es persönliche Enttäuschungen, aber auch psychische Erkrankungen, die zu Amoktaten oder zu entsprechenden Drohungen führen, sagt Sarah Neuhäuser von der Uni Köln. Grundlage ihrer Studie sind 2.600 polizeilich erfasste Amokdrohungen, die zum ersten Mal in dieser Form ausgewertet wurden.

Sarah Neuhäuser im Gespräch mit Manfred Götzke | 23.07.2012
    Manfred Götzke: Er war ein netter Typ, sehr, sehr schlau, ein bisschen seltsam, so wie man es von einem wirklich klugen Burschen erwartet. Das sagte eine frühere Kommilitonin über den Attentäter von Aurora in den USA. Zwölf Menschen soll dieser schlaue Typ James Holmes, letzten Freitag erschossen haben, und keiner weiß bis heute, was ihn dazu getrieben hat. Und das ist für Amokläufer ungewöhnlich. Denn in der Regel kündigen die Täter ihre kriminellen Pläne im Netz oder sonst wo vorher an. Bei fast allen Amokläufen, zumindest in Deutschland, gab es vorher Drohungen. Und werden diese ernst genommen, können solche Verbrechen womöglich auch verhindert werden. Die Psychologin Sarah Neuhäuser von der Uni Köln hat deshalb erstmals alle Amokdrohungen, die in Deutschland polizeilich erfasst wurden, zusammengetragen und analysiert. Zwischen 2006 und 2010 hat es 2600 Amokdrohungen, also 400 pro Jahr, gegeben. Frau Neuhäuser, die meisten Drohungen waren zum Glück leere Drohungen. Wann ist eine Amokdrohung denn aus Ihrer Sicht ernst zu nehmen?

    Sarah Neuhäuser: Konkreter wird es, je spezieller das ausformuliert ist. Gibt es schon Pläne, wurde darüber gesprochen, ist derjenige, der das vorhat, vielleicht schon mit Ort und Datum und Zeit vertraut oder hat diesbezüglich schon was geschrieben? Gibt es vielleicht sogar schon Listen und Pläne? Wird das nur so in den Raum geworfen, irgendwie vielleicht durch einen Zettel oder einen Spruch an die Tafel oder nur an Schüler weitergegeben? Muss man sich da herantasten? Inwiefern da noch Substanz dahinter ist, wie viel da schon ausformuliert wurde an Überlegungen.

    Götzke: Das heißt, wenn ein Schüler bei Facebook in einem Wutanfall schreibt, ich bring euch alle um, ist das nicht unbedingt als Drohung eines Schulshootings zu werten, aber man sollte es ernst nehmen.

    Neuhäuser: Absolut. Da sagen Sie es schon richtig. Also erst mal alles ernst nehmen. Aber sobald man merkt, das ist wirklich nur ein Ausbruch und da steckt keine Substanz hinter, kann man da eigentlich von ablassen. Das sage ich jetzt - natürlich mit Vorsicht zu genießen, aber solange man dran bleibt und sich das beguckt, steigt man eigentlich sehr schnell dahinter, wie viel da schon passiert ist an ernsthaften Überlegungen. Vor allem wichtig sind Daten, Orte, Namen vielleicht schon. Sobald das irgendwie steht, ist es schon brandgefährlich.

    Götzke: Sie haben ja die polizeilich erfassten Drohungen zusammengetragen und ausgewertet. Die Dunkelziffer wird natürlich höher sein. Aber wie gehen die Schulen, die Polizei in solchen Fällen um, wenn sie solche Drohungen erfassen, was haben die gemacht.

    Neuhäuser: Sehr unterschiedlich. Auf polizeilicher Ebene hin zur Länderebene, wie sieht da die Datenverteilung und vor allem auch -übermittlung aus? Ganz, ganz unterschiedlich. NRW, muss man dazu sagen, hat es am besten gemacht. Die haben ein tolles System schon dahinter stehen, eine große Tabelle, in die sie versuchen, einheitlich einzutragen, was wer wie wo wann passiert ist und das somit auch archivieren und in NRW schon untereinander Daten austauschen. Das liegt aber schlichtweg daran, dass jemand da sehr engagiert als Person hinter steht, weil es ihn persönlich interessiert.

    Götzke: Wir müssen hier sicher ein bisschen spekulieren, aber konnten ernst gemeinte Drohungen schon wirksam verhindert werden in den vergangenen Jahren?

    Neuhäuser: Da würde ich mich mit einer konkreten Antwort zu weit aus dem Fenster lehnen. Da müsste man speziell noch mal forschen. Aber dadurch, dass das allgemein Ja, diese Schoolshootings, die Androhung von Amokläufen an Schulen ein "Trend" ist, in Anführungsstrichen, denke ich, ist das Interesse und vor allem auch das Wissen, das dahinter steht, in der Durchschnittspopulation einfach auch größer geworden und auch ernsthafter dann im Umgang. Doch, ich denke, dass dadurch, dass es bekannter wird, kann auch mehr interveniert werden. Allerdings steht dann dagegen auch, dass mehr passiert.

    Götzke: Sie meinen, dadurch, dass diese Fälle bekannter wurden, gibt es mehr Trittbrettfahrer?

    Neuhäuser: Ja.

    Götzke: Konnten Sie das auch in den Zahlen, die Sie erfasst haben, so wiederfinden.

    Neuhäuser: Ja. Es ist in Winnenden so gewesen, dass nach diesem Vorfall in Winnenden 2009 nach einer Woche Karenzzeit, in der nicht so viel passierte, die Zahlen massivst anstiegen. Teilweise bis aufs 30-fache. Der Androhungen in Schulen. Ein Jahr später, zum Jahrestag von Winnenden, genau im März wieder, sind die Androhungen wieder so gestiegen, dass man es statistisch belegen kann.

    Götzke: Also am besten sollten wir vielleicht gar nicht darüber reden. Wie sollte eine Schule reagieren, wenn sie solche Anzeichen entdeckt, wenn sie eine Drohung bei Facebook, an der Tafel oder wenn sie auch nur ausgesprochen wurde, wenn dort irgendetwas in dieser Art bekannt wird, was wäre ein adäquater Umgang aus Ihrer Sicht?

    Neuhäuser: Vor allem das Ganze seriös angehen und nicht zu viel darüber reden. Nicht zu viel Personen, nicht zu viele Informationen herausgeben, weil das wiederum erweckt so ein Täterbild, ein Interesse daran. Je mehr Daten, ob eine Person hinter etwas steht, desto mehr Interesse wird geweckt und halt eben leider dann auch negatives Interesse im Sinne von Nachahmereffekten. Solange man mit wenig Information vernünftig und mit Ruhe daran geht und das erfasst, gibt es da Systeme, die auch noch weiter ausgearbeitet werden sollten, wie dann weiter vorgegangen wird mit dieser Person. Also über die Eltern und an die Person selber heranzutreten und erst mal den Schritt voran zu gehen, wie real und wie konkret ist die Drohung gemeint.

    Götzke: Sie haben sich in der Studie auch mit den Motiven der Amokläufer beziehungsweise auch derjenigen, die eine Drohung ausgesprochen haben, beschäftigt. Was haben Sie da herausgefunden? Was sind da die Hauptmotive der Täter oder derjenigen, die drohen?

    Neuhäuser: Es gibt kein einheitliches Täterprofil. Das ist wichtig, das direkt so zu Anfang zu sagen. Man kann mal die Bandbreite so ein bisschen aufzählen von dem einen Ende wie Übermut, Trotz und Rache als auch Prüfungsängste oder vielleicht sogar psychische Krankheiten bis hin zu dem berühmten Trittbrettfahrer gibt es da eigentlich alles. In erster Linie wären halt so Sachen zu nennen wie Bewegungen von Übermut und Rache

    Götzke: Die Psychologin Sarah Neuhäuser hat alle polizeilich erfassten Amokdrohungen in Deutschland zusammengetragen und analysiert. Dankeschön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.