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Übersetzer-Treffen in Berlin
Jedes Wort zählt

In einer Zeit voller politischer Konflikte wird die genaue Übersetzung immer wichtiger. Ein einziges Wort kann die politische Lage verändern. Die Anforderungen an Übersetzer steigen enorm, sie müssen nicht nur messerscharf zwischen scheinbaren Synonymen unterscheiden, sondern auch Sachkenntnis haben.

Von Mirko Schwanitz | 22.10.2015
    Junge Übersetzerinnen aus Osteuropa lesen in Berlin ihre Übertragungen eines Gedichts der deutschen Lyrikerin Elke Erb. Sie entstanden im Rahmen des europäischen Projektes TransStar. TransStar ist weit mehr als nur ein reines Übersetzungsprojekt, erklärt die Koordinatorin Claudia Dathe.
    "Das heißt, wir haben in dem Projekt nicht nur übersetzt, sondern die jungen Nachwuchsübersetzer auch geschult in ganz praktischen Fragen des internationalen Projektmanagements, Finanzierung, Vertragsgestaltung, Moderation, Auftrittsschulungen und all diese Dinge."
    Claudia Dathe, selbst Übersetzerin der ukrainischen Autoren Serhij Zhadan und Andrej Kurkow, verweist darauf, dass in Europa noch immer ein eindimensionales Bild des Literaturübersetzers vorherrsche. Doch Übersetzer würden längst nicht mehr im stillen Kämmerlein Bücher in andere Sprachen übertragen. Immer mehr hätten Verlage und Kulturinstitutionen es ihnen überlassen, die Literatur- und Kulturszenen anderer Länder zu beobachten, meint die slowenische Übersetzerin des deutschen Autors Eugen Ruge, Irena Smodis.
    "Vielleicht müssten wir das so sagen, dass es darum geht, auf diesen Aspekt überhaupt aufmerksam zu machen, dass die Übersetzer, nicht nur Vermittler aus einer Sprache in die andere sind, sondern vielmehr Kulturmittler eigentlich."
    Den Übersetzern falle daher stärker als bisher die Aufgabe zu, in ihren eigenen Kulturen die Kultur der Nachbarn zu erklären, sagt der ukrainische Übersetzer Jurko Prohasko. Mit den Konflikten außerhalb und innerhalb Europas sei so auch ihre Verantwortung unbemerkt von Öffentlichkeit und Politik enorm gestiegen. Der Literaturnobelpreis für Svetlana Alexejewitsch etwa ist für Prohasko nicht nur das Ergebnis einer Juryentscheidung. Es sei auch das Resultat der Arbeit von Alexejewitschs Übersetzern in den Jahren zuvor.
    "Wer hätte es gedacht vor einigen Jahren, dass gerade diese belarussische Autorin, von einem Land, das man die letzte Diktatur in Europa nachsagt und von dem in den westlichen Ländern kaum jemand etwas weiß, dass ausgerechnet eine Autorin aus Belarus den höchsten Literaturpreis bekommen würde."
    Übersetzer nehmen Einfluss auf Europas Zukunft
    Übersetzer nehmen also Einfluss darauf, wohin Europa in Zukunft seinen Blick lenke. Eine Tatsache, die ihn mit leiser Hoffnung erfülle, sagt Prohasko. In Berlin beschäftigen sich die Teilnehmer des TransStar-Projektes mit vielen Fragen. Etwa der, was es bedeutet, wenn die Übersetzung eines Werkes etwa in der Schweiz oder Deutschland mit einer Leserschaft rechnen muss, die kulturell immer gemischter, migrantischer wird? Was heißt es, wenn Schriftsteller Bücher nicht mehr in ihrer Muttersprache verfassen? Eine Beobachtung machen alle Übersetzerinnen und Übersetzer: In Zeiten gesellschaftlicher Spannungen sind sie zunehmend als Experten gefragt. Mehr noch: Oft sind sie die treibenden Kräfte hinter Kulturvermittlungsinitiativen. Eine Rolle, die den Übersetzern durch ihre Nähe zu Autorinnen und Autoren fast zwangsläufig zufalle, meint Projektkoordinatorin Claudia Dathe.
    "Wir sehen natürlich mit Schmerz als Übersetzer, aber ich denke auch als Experten für die Länder, dass es oft noch schwierig ist, die Expertise an den richtigen Punkten zu platzieren. Und ich glaube, dass es auch eine Aufgabe der Übersetzer sein wird, diese Punkte ausfindig zu machen."
    Auch darauf soll das europäische "Transstar"-Projekt Übersetzer aus Kroatien, Slowenien, Tschechien, Polen, der Ukraine, Österreich, der Schweiz und Deutschland vorbereiten. Die Übersetzer der neuen Generation, so das TransStar-Fazit, werden in Zukunft weit mehr als bisher aus dem Schatten jener Autoren treten, die sie übersetzen. Ihre Stimme als Vermittler in den Kulturkämpfen unserer Zeit, da waren sich alle Teilnehmer einig, werde lauter, hörbarer werden.