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Überwachungsskandale
Britische Presse in der moralischen Krise

Intensiver Wettbewerb und eine wachsende PR-Industrie würden guten Journalismus in Großbritannien erschweren, sagt Alan Davies vom "Guardian". Auch der Staat versuche im Rahmen der Abhörskandale, die Presse zu manipulieren. Vielen Lesern hingegen fehle bei diesem Thema die Sensibilität.

Von Ruth Rach | 03.12.2013
    "Informationen über irgendwelche staatliche Lauschangriffe lassen die britische Öffentlichkeit relativ kalt, im Sinne von: ‚Was soll's schon, wenn jemand mal meine E-Mail liest.‘"
    Nick Davies, Ende 50, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ist seit vielen Jahren Journalist bei der britischen Tageszeitung The Guardian. Seine Recherchen trugen maßgeblich dazu bei, illegale Abhörpraktiken britischer Boulevardzeitungen aus dem Medienimperium von Rupert Murdoch aufzudecken. Auch über die Machenschaften britischer Geheimdienste berichtet er – kein einfaches Geschäft, sagt der investigative Journalist. Hier werde von staatlicher Seite mächtig manipuliert.
    „Regierungen und Sicherheitsdienste geben Warnungen vor Al Qaida aus, die maßlos übertrieben sind. Der Staat zieht seine große emotionale Trumpfkarte: Wenn ihr es nicht gestattet, dass wir eure Privatsphäre überwachen, kann jeder einzelne von euch nächsten Dienstag auf dem Trafalgar Square in die Luft gesprengt werden. Dieses Bild hat bei der Bevölkerung viel mehr emotionale Überzeugungskraft als jede Meldung über eine mögliche Verletzung ihrer Privatsphäre.“
    Nach den Worten von Guardian Chef Alan Rusbridger scheint die kontinentaleuropäische – insbesondere die deutsche - Öffentlichkeit weit mehr über Enthüllungen staatlicher Bespitzelungsaktionen geschockt zu sein, als die Briten. Nick Davies meint, das habe vielleicht auch historische Gründe.
    “Im Westen wie im Osten haben die Deutschen in ihrer jüngeren Geschichte direkte Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Tyrannei gemacht. Solche Empfindlichkeiten müssen die Briten erst noch lernen, damit sie erkennen, wie gefährlich es es, wenn der Staat seine Machtbefugnisse überschreitet.“
    Guter und schlechter Journalismus
    Der Guardian gehört zu den wenigen britischen Medien, die überhaupt kontinuierlich über die Abhöraffäre berichten. Nick Davies sagt, Journalisten hätten die Aufgabe, wichtige Wahrheiten herauszufinden.
    "Die besten handeln aus ethischen Gründen. Die schlechtesten aus finanziellen Motiven. Wenn Glen Greenwald seine Freiheit aufs Spiel setzt, um Praktiken der amerikanischen und britischen Geheimdienste ans Licht zu bringen, ist das eine moralische Entscheidung. Es ist widerlich mit anzusehen, wie sein Ruf als Journalist in den Dreck gezogen wird."
    Die britische Presse stecke in der Krise - nicht nur in einer finanziellen, sondern auch in einer moralischen, betont Nick Davies. Im Vereinigten Königreich gebe es besonders viele Zeitungen, das führe zu einer besonders harten Konkurrenz, mit den entsprechenden gnadenlosen Praktiken.
    Ein mächtiger Teil der britischen Presse ist sehr destruktiv geworden. Anstatt sich auf wichtige Sachverhalte zu konzentrieren, wurden gigantische Ressourcen verschwendet, um das Privatleben von Politikern und Promis auszuspionieren.
    Macht der PR
    Die ganze Nachrichtenbranche sitzt in der Klemme, sagt Nick Davies. Sie sei kommerziell geschwächt, ständig unter Zeitdruck, nur noch zehn oder 15 Prozent der Journalisten könnten sich echte Recherchen leisten.
    “Da ist die Versuchung groß, der riesigen - und immer größer werdenden - PR-Industrie in die Arme zu laufen, die im Dienst der Regierung steht, oder im Dienst von Geheimdiensten, von Großkonzernen oder von Promis: Die PR-Leute füttern und manipulieren die Presse mit vorfabrizierten Texten, die oft kritiklos übernommen werden, ob sie nun wahr sind oder nicht. Und je mehr die Nachrichtenorganisationen schrumpfen, desto mächtiger werden die PR-Organisationen und desto stärker sind wir ihrer Propaganda ausgeliefert. Das ist ein echtes Strukturproblem.“
    Nick Davies selbst ist allerdings in privilegierter Position. Für seinen Arbeitgeber, den Guardian muss er pro Jahr höchstens 18 Geschichten abliefern. Oder noch weniger, je nachdem, wie viel Zeit er braucht, um einer Sache wirklich auf den Grund zu kommen.