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Übungsfirmen-Messe
Simulierter Geschäftsablauf mit echtem Einsatz

In Deutschland gibt es über 500 Unternehmen, die nichts produzieren und kein Geld umsetzen – trotzdem arbeiten junge Menschen für diese Firmen: als Teil ihrer kaufmännischen Ausbildung. Die Vertreter dieser sogenannten Übungsfirmen treffen sich jährlich auf einer eigenen Messe.

Von Johannes Zuber | 19.11.2014
    Teilnehmer des Arbeitskreises Steuerschätzung sitzen am 06.05.2014 zu Beginn der Frühjahrssitzung des Arbeitskreises Steuerschätzung im Roten Rathaus in Berlin. Der Arbeitskreis Steuerschätzung begann seine mehrtägigen Berechnungen über die Einnahmenprognosen von Bund, Ländern und Gemeinden.
    Übungsfirmen stellen die Abläufe von Geschäftsbetrieben getreu nach, damit Auszubildende Praxiserfahrung bekommen. (picture-alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Eigentlich sieht alles aus wie auf einer normalen Messe: Unternehmen werben an ihren Ständen mit Gummibärchen und Kulis um potenzielle Kunden. An den Stehtischen stehen junge Frauen und Männer in einheitlichen Firmen-T-Shirts, manche tragen auch Kostüm oder Anzug. So wie Stephan Berens. Der 27-Jährige vertritt auf der Übungsfirmenmesse ein fiktives Hotel.
    "Ich bin auf der Hotelfachschule in Heidelberg. Und wir simulieren ein Hotel, das nennt sich Ambiance Hotel Heidelberg und versuchen da, das Hotelleben so real wie möglich nachzustellen, also mit Übernachtungen, die wir versuchen zu generieren, zu buchen, mit Arrangements, die wir anbieten, wo dann andere Übungsfirmen dementsprechend bei uns buchen."
    Eine Leistung erhalten die Kunden zwar nicht – immerhin existiert das Ambiance Hotel nicht wirklich. Dafür bezahlen sie auch nicht mit echtem Geld, sondern buchen es von ihrem fiktiven Konto bei einer fiktiven Bank ab. Alles andere, vom Marketing über Reservierungen bis hin zu Buchhaltung und Personalmanagement, entspricht aber den Abläufen, wie sie auch in echten Hotels bestehen. So sollen die Angestellten der Übungsfirmen eine möglichst realistische Ausbildung bekommen, erklärt Michael Loef, Leiter der Zentralstelle des Deutschen Übungsfirmenrings.
    "Also das Besondere an einer Übungsfirma ist, dass sie sich eigentlich eignet für ganz viele verschiedene Einsatzgebiete. Man kann also Menschen mit Behinderungen – wir haben sogar eine Übungsfirma, da arbeiten Blinde – bis hin zu universitärem Niveau können Übungsfirmen Praxis in der kaufmännischen Ausbildung, im Management, in der Unternehmensführung vermitteln."
    Die Essener Zentrale verwaltet die über 500 deutschen Übungsfirmen und stellt ihnen zentrale Einrichtungen wie Banken, Versicherungen und Post zur Verfügung. Außerdem bietet sie Gründungsberatung und Schulungen an. Bildungseinrichtungen, die Übungsfirmen betreiben, zahlen dafür zwischen 1500 und 2500 Euro im Jahr. Für viele Bildungsträger scheint sich das zu lohnen, immerhin existieren viele Übungsfirmen zehn Jahre oder länger.
    Im echten Leben Ausbilder
    Eine davon ist die Greifswalder Reinigungsmittel GmbH unter Geschäftsführer Kai Schillmann. Im echten Leben ist er Ausbilder beim Berufs-Bildungs-Werk Greifswald, einer Einrichtung für junge Menschen mit verschiedenen Handicaps, die keinen Berufsabschluss besitzen.
    "Ja, es bringt auf jeden Fall was, weil die in der Praxis üben. Und sie können sich auch in bestimmten Richtungen, wo ihre Stärken liegen, qualifizieren, können sich weiterbilden in der Übungsfirma und können sich dort bewerben. Und die Bewerbungszahlen sprechen dafür, dass sie gut übernommen werden. Wir liegen bei ungefähr 90 Prozent."
    Die Greifswalder Auszubildenden arbeiten acht Stunden täglich für die Firma. Und das, obwohl es ja eigentlich nur ein Spiel ist. Für die 18-jährige Julia Ungermann war das am Anfang gewöhnungsbedürftig.
    "Ja, es ist am Anfang ein bisschen komisch, aber wenn man erst mal rein findet und alle bei diesem Spiel mitmachen, sag ich mal, dann macht es auch echt Spaß. Das ist echt spielerisch und ist auch echt cool, also da kann man eine Menge Erfahrungen sammeln."
    Vom Spielerischen ist auf der Messe in Essen allerdings nicht viel zu spüren. Das Auftreten der Kaufleute ist so professionell, dass der Unterschied zu kommerziellen Unternehmen kaum auffällt. So erlebt das auch Marco Schuhmacher. Der 17-Jährige macht gerade seine Ausbildung an einem Berufskolleg in Singen am Bodensee.
    "Ich merke es halt selber, weil mein Vater hat auch einen Betrieb, in dem ich schon seit ich klein bin arbeite. Und dann sieht man halt die Parallelen dazu, dass es gar nicht so verschieden ist: Das Betriebssystem, Rechnungen schreiben – das beruht ja immer auf's Gleiche."
    Die Übungsfirmenmesse ist aber nicht nur eine Möglichkeit für die künftigen Kaufleute, virtuelle Geschäfte zu machen. Natürlich geht es auch darum, andere junge Menschen kennenzulernen. Und davon wuseln ein paar Tausend durch die Messehalle – aus ganz Deutschland und aus 20 weiteren Ländern. Von den 175 Firmen auf der Messe kommt etwa die Hälfte aus dem Ausland.