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Uhl: Die EU-Kommission hat bei der Armutszuwanderung versagt

Die geplante Roma-Strategie der EU-Kommission gehe an der Realität vorbei, sagt Hans-Peter Uhl (CSU). Sie werde nichts daran ändern, dass Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien die neue Freizügigkeit als leichten Zugang zu den deutschen Sozialsystemen missverstehen.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk Müller | 11.03.2013
    Dirk Müller: Die Signale aus Brüssel sind klar, sie sind eindeutig und unmissverständlich: "Uns geht die ganze Sache nichts an", heißt es lapidar auf den Fluren der EU-Kommission. Ein traditionsbewusster Gallier könnte auch sagen, die spinnen, die Briten, die Holländer, die Österreicher und auch die Deutschen. Denn laut europäischer Lesart bilden es sich diese vier Mitgliedsländer nur ein, dass seit Monaten Zehntausende aus Rumänien und Bulgarien eingewandert sind. Fast alle von ihnen sind arm, ohne Arbeit, ohne Ausbildung, ohne Perspektive. So stöhnen nicht nur Kommunen wie Duisburg oder auch Dortmund darüber, dass weder die finanziellen, noch die logistischen, noch die sozialen Mittel ausreichen, diesen Menschen, zumeist Sinti und Roma, weiterzuhelfen. Ab kommendem Jahr sind viele dieser Zuwanderer dann hierzulande berechtigt, finanziell unterstützt zu werden.

    Darüber wollen wir nun sprechen mit dem CSU-Politiker Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen!

    Hans-Peter Uhl: Guten Morgen!

    Müller: Herr Uhl, weiß Brüssel wieder einmal nicht, wo der Schuh drückt?

    Uhl: Ja. Dem Sprecher des Brüsseler Sozialkommissars muss man erst einen Satz widmen. Das ist ein typisches Beispiel für die Abgehobenheit und Realitätsferne dieser Funktionäre und Beamten in Brüssel. Wenn die deutschen großen Kommunen einen Brandbrief schicken, angeführt vom SPD-Oberbürgermeister Ude in München als Städtetagspräsident, und seit Monaten darauf hinweisen, dass hier etwas schief läuft, dann kann so ein Sprecher nicht sagen, wir haben keine Erkenntnisse und das Problem gibt es gar nicht. Das ist ungeheuerlich.

    Müller: Fehlt der deutsche Einfluss?

    Uhl: Den machen wir ja gerade geltend, der Innenminister vergangene Woche, und diese Woche habe ich am Mittwoch eingeladen die Europapolitiker des Deutschen Bundestages, die Innen- und die Sozialpolitiker, und vor allem die beiden Länder, um die es geht, die Botschafter von Rumänien und Bulgarien, um zu klären, wer hat jetzt was zu tun in den beiden Ländern, in den deutschen Kommunen, in den deutschen Bundesländern und vor allem in Europa, in Brüssel.

    Müller: Ist das jetzt alles passiert? Ist das jetzt alles vorgefallen, weil Rumänien und Bulgarien viel zu schnell in Richtung EU gewandert sind?

    Uhl: Ja das ist vergossene Milch. Wir haben vor zehn Jahren fast die Entscheidung getroffen, Bulgarien und Rumänien, wissend, dass ein ungeheueres Wohlstandsgefälle zwischen diesen Ländern und uns besteht, aufzunehmen. Wir haben dann gesagt, aber die Freizügigkeit und den freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, den werden wir strecken, und da gab es sieben Jahre Frist insgesamt. Die laufen Ende dieses Jahres aus. Das Wohlstandsgefälle ist natürlich mehr oder weniger immer noch da. Das heißt, die Probleme kommen jetzt auf uns zu.

    Müller: Also war ein Fehler?

    Uhl: In gewisser Weise war es voreilig damals. Es hat die rot-grüne Regierung verhandelt, in der Großen Koalition wurde es dann von uns allen ratifiziert, da kann man ja auch nichts mehr ändern. Man hätte noch sich mehr Geduld und mehr Zeit nehmen müssen, oder aber eben auch in die Verträge Klauseln aufnehmen müssen, wie man bei Missbrauch mit der neu gewonnenen Freizügigkeit umgeht, denn zurzeit sehen wir ja, dass Freizügigkeit missverstanden wird, von einigen als freier Zugang zu den deutschen Sozialsystemen. Das ist nicht Freizügigkeit, wie wir sie uns in Europa vorgestellt haben.

    Müller: Sie liefern, Hans-Peter Uhl, da ein Stichwort, was in den Hintergrundberichten der Medien an diesem Wochenende auch zu finden war: zum Beispiel Sozialleistungstourismus. Das war da zu finden. Oder wieder Einwanderung in die Sozialkassen. Ist das der Punkt?

    Uhl: Das ist der Punkt und den müssen wir jetzt gemeinsam bewältigen. - Ich möchte einen Satz zu Bulgarien sagen, weil hier eine besonders enge vertrauensvolle Zusammenarbeit angekündigt ist. Ich habe in den letzten Wochen mehrmals mit dem bulgarischen Innenminister Tsvetanov telefoniert, er ist sehr daran interessiert, an einer vernünftigen gemeinsamen Lösung des Problems. Ich hoffe, dass auch Rumänien in diesem Sinne mitmachen wird. Bei Bulgarien bin ich mir sicher.

    Müller: Warum helfen wir nicht besser, effizienter, effektiver vor Ort?

    Uhl: Das ist ja ohnehin der Schlüssel zur Lösung des Problems. Wir müssen mit Brüsseler Geldern den Menschen dort eine Perspektive für mehrere Jahre organisieren, also nicht ein Programm für ein, zwei Jahre, sondern sie müssen das Gefühl haben, hier einen Arbeitsplatz zu bekommen in Rumänien und Bulgarien für viele Jahre. Dann bleiben sie in der Regel auch dort. Und die, die trotzdem hier herkommen, um Sozialhilfe zu beziehen, da müssen wir Rückführungsprogramme machen, abgestimmt mit den dortigen Regierungen, dass sie nicht nach wenigen Wochen wieder in Deutschland zurückkehren.

    Müller: Wir haben, Herr Uhl, auch davon gelesen an diesem Wochenende: Es soll ja eine Roma-Strategie der Europäischen Kommission, der Europäischen Union geben. Dazu gehören auch diese finanziellen Hilfestellungen, die finanziellen Transfers. Warum funktioniert das nicht?

    Uhl: Ich habe mir das Papier ausdrucken lassen, es ist 60 Seiten stark, es ist ein klassisches Brüsseler Beamtenmachwerk: Viel Papier bedrucken, aber die Wirklichkeit nur unwesentlich verändern. Da stimmt was nicht, da funktioniert es nicht, und das werden wir auch genau überprüfen. Hier hat Brüssel versagt.

    Müller: Viele sagen ja jetzt, wenn wir, also die Deutschen wie auch die Briten, die Österreicher, alle die darüber klagen, auf Brüssel warten, dann kann man lange warten. Das sieht ja auch so aus, wenn wir die Signale aus Brüssel richtig deuten. Aber die Kommunen, Sie haben München genannt, Duisburg auch ein ganz großes Problem, die können nicht mehr länger warten. Werden Sie weiterhelfen?

    Uhl: Ja die Kommunen müssen auch einen Beitrag leisten. Es gibt die Möglichkeit, besser zu kontrollieren. Wir haben es ja häufig mit sogenannten Scheinselbstständigkeiten zu tun: Menschen kommen hier her, behaupten, sie würden selbstständig am Bau oder irgendwo arbeiten, und nach wenigen Monaten sagen sie, es reicht nicht, weil sie verdienen dabei zu wenig, und nach dem sogenannten Aufstocker, das heißt den Sozialleistungen, holen sie sich das restliche Geld.
    Diesen Missbrauch muss man aufdecken, das können nur die Kommunen durch energische Kontrolle: sind diejenigen, die kommen, krankenversichert, haben sie wirklich einen Arbeitsplatz, hat der Selbstständige tatsächlich eine Chance, oder ist er nur zum Schein selbstständig gemeldet. Das sind alles Dinge, wo die Kommunen in der Pflicht sind.

    Müller: Die Frage war ja, ob Sie bereit sind, also die Bundesregierung, finanziell zu unterstützen, zu helfen, weil die Kommunen sagen, wir sind überfordert?

    Uhl: Ja, die Frage stellt sich natürlich, aber nicht sofort als Erstes. Die Kommunen sagen, wir können nichts mehr tun, gebt uns Geld vom Bund, und wir sagen als Bund, ihr könnt sehr wohl mehr tun. Und wenn das dann aber trotzdem nicht geht, dann muss man auch darüber reden, über Geld vom Bund. Aber wir fangen nicht gleich an, indem wir kommunale Leistungen finanzieren.

    Müller: Ja. Aber die finanziellen Belastungen der Kommunen sind doch jetzt schon da!

    Uhl: Die sind jetzt schon da. Aber Sie wissen selbst: 'Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott', heißt das Sprichwort. Erst müssen die Kommunen selbst einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten, und wenn gar nichts mehr geht, muss auch der Bund helfen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Hans-Peter Uhl (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch und Ihnen gute Weiterfahrt.

    Uhl: Danke schön - auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.