Donnerstag, 28. März 2024

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Uhrenmanufakturen
Berlin - eine Stadt mit viel Zeit

Berlin ist die heimliche Hauptstadt der Chronografen. Hier schlägt die Stunde der Stunden mit neuen Manufakturen, die sich wieder auf traditionelle Herstellungsweisen und Uhrenmarken besinnen und damit anscheinend Erfolg haben.

Von Peter Kaiser | 03.01.2016
    "Das wird nicht gewogen wie bei einer klassischen Waage, bei einem Sack Kartoffeln."
    Alltag in der Werkstatt der Berliner Askania-Uhrenmanufaktur in den Berliner Hackeschen Höfen. Anhand einer sogenannten Zeitwaage wird die Ganggenauigkeit einer Armbanduhr ermittelt.
    "Hier ist ein Mikrofon, welches die Ganggeräusche der Uhr aufnimmt. Und diese Ganggeräusche, dieses Tick, Tack, mit einem Quarz in dem Gerät vergleicht, und da kann man dann die Abweichungen sehen, die werden grafisch dargestellt."
    "So ein bisschen wirkt das wie ein EKG, oder?"
    "Genau, genau..."
    Die Askania-Uhrenmanufaktur ist eine der ältesten Manufakturen in der Stadt, und zugleich eine der jüngsten. Denn die Werke - der Name geht auf das Adelsgeschlecht der Askanier zurück - wurden zwei Mal gegründet. Einmal 1871 durch Carl Bamberg, einem Protegé von Carl Zeiss. Diese Firma produzierte nicht nur Uhren, sondern auch Flugzeug und Schiffsnavigationsinstrumente, Filmkameras und anderes. 1971 kaufte Siemens alles auf. Die zweite Gründung war vor zehn Jahren, als Leonhard Müller mit der Askania-Uhrenmanufaktur die Herstellung hochwertiger Armbanduhren aufnahm. Hintergrund dafür ist ein bemerkenswertes Credo .
    "Kein Mensch braucht eine Armbanduhr. Aber alle sind glücklich, wenn sie eine haben, weil die Uhr lebt, eine mechanische Uhr, die hat ein Innenleben. Wenn du die aufmachst, dann siehst du die vielen kleinen Rädchen, die sich da bewegen."
    Wie recht Leonhard Müller hat, sieht man, wenn man den Uhrmachern über die Schulter blickt. Hier werden die mechanischen Uhren repariert und gewartet, und die automatischen, die sich durch die Bewegungen ihres Besitzers selbst aufziehen.
    "Ich überhole jetzt gerade ein Räderwerk. Ich habe gerade dieses Werk völlig auseinandergebaut, in die Reinigungsmaschine getan, und jetzt tue ich alle Komponenten, die zusammengehören in ein Fach, und baue das jetzt zusammen mit Öl."
    Berlin ist und war eine Uhrenstadt
    Das alles so zusammenzubauen, dass daraus eine funktionsfähige Uhr wieder wird, muss die Arbeit von Tagen sein. Doch:
    "Das dauert etwa ein Stunde, bis man die Uhr komplett zusammengebaut hat."
    Berlin war und ist eine Uhrenstadt, wenn auch heute nicht mehr so wie Ende es 19. Jahrhunderts. Vor zehn Jahren aber hat sich die Askania-Manufaktur wieder angesiedelt, vor Kurzem nahm die Vertigo-Uhrenmanufaktur die Arbeit auf. Einst aber hatte Berlin ...
    "... etwa 36 Uhrenhersteller im letzten Jahrhundert bis zum II. Weltkrieg, also "Telefonbau" und "Normalzeit" zum Beispiel. Die haben Uhren hergestellt, solche Stechuhren, die kennt man, da war eine ganz normale Wanduhr zu sehen und da war ein Schlitz, wo man seine Karte reingesteckt hat. Es gab eine kaiserliche Uhrenmanufaktur sogar, weil Hofuhrenmacher dort Uhren gebaut haben."
    Und natürlich wurden in den gut zwei Autostunden entfernten Glashütte-Werke Luxusuhren gefertigt. Bis heute. Doch die Hauptstadt – kaiserliche, Reichs – und Bundeshauptstadt, kann bis heute mit sonderlichen Uhrenexponaten aufwarten. Etwa die "Berlin-Uhr" im Europa-Center am Kurfürstendamm, die auch "Mengenlehre-Uhr" genannt wird.
    Das Original der in das Guinnessbuch der Rekorde aufgenommenen "Berlin-Uhr" mit einer Gesamthöhe von sieben Metern wurde als "erste Uhr der Welt, die die Zeit mit leuchtenden farbigen Feldern anzeigt" am 17. Juni 1975 auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms errichtet. 5.000 Euro jährlich kostete der Stromverbrauch der Uhr wegen der Hunderte von Glühlampen. "Die Uhr der fließenden Zeit" – ein Pendant zur "Berlin-Uhr" - steht bis heute im Europa-Center.
    Da wirft sie nach wie vor elementare Fragen auf:
    "Versteh' ich nich! Wieso können die die Zeit nicht richtig anzeigen?"
    "Man kann die also auch anwerfen ... Wir stehen hier vor der Berliner Friedensuhr. Das ist eine fast drei Tonnen schwere Uhr, die torbogenartig aussieht mit zwei Säulen links und rechts, die aber aussehen als würden sie zerstört sein, als würden sie aufreißen, als würden sie kaputt gehen. Und oben auf dem Architraph dieses Torbogens steht geschrieben: 'Zeit sprengt alle Mauern'."
    Besonderes Uhrenexponat
    Vorgestellt wurde diese Uhr tatsächlich, sagt Jens Lorenz vom Uhrengeschäft Lorenz in Berlin-Friedenau - und betont, dass das ein Zufall war:
    "Am 9. November 1989 um 18:15 Uhr vor geladenen Gästen. Und jetzt würde man sagen, Moment mal, war da nicht der Tag des Mauerfalls? Eben genau das. An diesem Tag, in dieser Stunde, an dem diese Uhr, die ja später den Namen "Friedensuhr" erhalten hat, enthüllt wurde und mit einer Rede vorgestellt wurde, also das wir hoffen, dass dieser Eiserne Vorhang eines Tages fallen möge, in der gleichen Stunde der Geburt dieses Objektes also, ist die Todesstunde der Berliner Mauer. Dieses war ein Zufall."
    Die Uhr, die eigentlich eine Uhr aus einem ehemaligen Benediktinerkloster in Höxter ist, war die Vorlage zur späteren "Friedensuhr" im Miniformat.
    "Wir haben dann begonnen, dieses große Objekt in Miniatur nachzubauen, mit etwa zehn Kilo Gewicht, nicht mehr drei Tonnen, und diese mechanische Uhr in dieser kleinen Ausführung wird seither als Friedenspreis verliehen."
    Etwa an Michael Gorbatschow, Mutter Teresa, Pabst Johannes Paul II., Helmut Kohl, Ronald Reagan.
    "Und hat man die 'Friedensuhr' bestaunt und belauscht, braucht man den Friedenauer Feinuhrenmacher Lorenz, der das Handwerk seit 140 Jahren betreibt, genau von 1874 an, nicht zu verlassen. Denn einen Stock tiefer offenbart sich die Uhrengeschichte der Welt, von der Vermessung der Zeit an sozusagen."
    "Herr Lorenz, warum haben Sie hier ein Uhrenmuseum?"
    "Das ist die Liebe zur Zeit, und die Auseinandersetzung mit der Zeit, die unsere Familie seit fünf Generationen betreibt. Und mit dieser Tätigkeit der Zeitmesser haben wir auch immer ein Stückchen weit diese gesammelt."
    Und dann tut man gut daran Jens Lorenz zuzuhören und zu sehen, zu staunen.
    "Hier die Wasserauslaufgefäße aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert aus Ägypten. Sieht so ein bisschen aus wie ein Blumentopf, Sinn und Zweck aber war, dass man sie füllte mir Wasser, und dann lief das Wasser aus einer kleinen Öffnung heraus. Und innen sind so Markierungen."
    Und über die Kutschen-, Räder-, Eier- Hänge- und Taschenuhren erreicht man die neueste Zeit, planetar gesehen.
    "Diese Omega Speed Master ist eine, die bei den Apollo-Flügen mit unterwegs war, also eine mechanische Handaufzugsuhr, nicht automatisch, weil da oben fehlt die Gravitation, und bei Apollo 13 gab es Probleme mit den Computern und so weiter, und sie mussten sich in der Tat auf diese Uhr hier verlassen können."
    So also, Berlin als Uhrenstadt. Und wie geht es den Berlinern mit den Uhren? Etwa dem Urberliner Frank, der eine dieser mechanischen Armbanduhren besitzt. Wie Marcel Proust, der einmal sagte, dass die Erinnerung das einzige Paradies ist, aus dem wir nicht vertrieben werden können, so suchte auch Frank nach der Erinnerung, nach der "verlorenen Zeit".
    "Ich kann mich daran erinnern, wie mein Vater mich in den Arm genommen hat, auf den Schoß genommen hat und seinen Arm um mich gelegt, und in dem Moment habe ich seine Uhr ticken hören. Das ist ja auch so was, was es heutzutage gar nicht mehr gibt, diese Quarzuhren, die sind ja sozusagen völlig leblos, geräuschlos, ja."
    "Und manchmal liege ich im Bett, und plötzlich höre ich was ticken, weil das Handgelenk in der Nähe meines Ohres ist, weil so laut ist sie ja nun auch nicht, dann kommt dieses ganz angenehme, dieses beschützte Gefühl wieder hoch. Und ich liege dann in meinem Bett und denke, ja, erinnere mich zurück an meinen Vater und diese ganzen alten Gefühle kommen hoch. Auch das ist diese Uhr."