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Uiguren in China
Politische Umerziehungslager in Xinjiang

In der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas leben rund zehn Millionen muslimische Uiguren. Angeblich aus Angst vor Terroranschlägen versucht Peking, sie an die Partei zu binden. Dabei schreckt China vor nichts zurück: Umerziehungslager und modernste Dauerüberwachung sind das Ergebnis der Kontrollwut.

Von Axel Dorloff | 13.09.2018
    Von der Straße aus wirkt das kleine Restaurant und Teehaus in Yining zunächst ruhig und friedlich. Vor dem Restaurant werden Lammspieße gegrillt. Der tote Laib des Tieres hängt an einem Haken im Kühlschrank vor der Eingangstür. Daneben knistern die offenen Flammen auf dem Holzkohlegrill. Mit einem angeketteten Messer schneidet ein uigurischer Mann das Lammfleisch ab und wirft die Stücke auf den Grill.
    Siedlung südlich von Kashgar in der chinesischen Provinz Xinjiang am 4.6.2019
    Minderheiten in China - Die Lage der Uiguren
    Lagerhaft, Zwangsarbeit, Zwangs-sterilisationen: Die Menschen-rechtslage in Chinas Uiguren-Provinz Xinjiang wird immer prekärer. Fragen und Antworten zu einem Konflikt, in den möglicherweise auch internationale Firmen verstrickt sind.
    Yining ist eine Stadt im Nordwesten der Provinz Xinjiang. Offiziell heißt es "Autonome Uigurische Region Xinjiang". Das muslimische Turkvolk der Uiguren stellt hier etwa die Hälfte der Einwohner, rund zehn Millionen Menschen. Die 17-jährige Akilah ist Uigurin, sie jobbt in dem kleinen Lammfleisch-Restaurant als Kellnerin. Vieles habe sich in ihrer Stadt zuletzt verändert, erzählt Akilah.
    "In jeder Gasse gibt es jetzt am Eingang eine Polizeistation. Jeden Montag haben wir Fahnenappell. Dort sind wir immer etwa 500 Leute. Alle aus der Nachbarschaft müssen dort hin."
    Nutzung muslimischer Symbole für Uiguren verboten
    Zum Hissen der Flagge der Volksrepublik China und zum Singen der Nationalhymne. Patriotismus-Nachhilfe für die Uiguren. Die Benutzung muslimischer Symbole wie Stern oder Halbmond sind den Uiguren dagegen von der Kommunistischen Partei verboten. Ebenso wie Eltern ihren Kindern keine muslimischen Namen mehr geben dürfen. Um die Uiguren besser zu kontrollieren, gibt es in Xinjiang ein System von Zwangspaten, die in die Familien hinein gehen. Auch zuhause bei Akilah.
    "Sie übernachten bei uns und schauen was wir den ganzen Tag machen und welche Probleme wir haben. Früher hat das niemanden interessiert. Die Beamten sind meistens Han-Chinesen."
    Mehr als 100.000 Zwangspaten, meist chinesische Regierungsbeamte oder Funktionäre aus Staatsunternehmen, sind in das System mit eingebunden. Sie sollen besonders in den ländlichen Regionen sicherstellen, dass die Uiguren die Sprache und die Kultur der chinesischen Mehrheitsgesellschaft pflegen. Die Familien-Paten werden "Verwandte" genannt, offiziell läuft das Programm unter Hilfestellung der lokalen Regierungen.
    "Sie kommen alleine oder zu zweit und müssen drei Tage im Monat bei uns übernachten. Einmal kamen zwei Männer, einmal ein Mann und eine Frau. Der Mann schläft dann bei meinem Vater, die Frau bei meiner Mutter."
    Chinesische Paten und soziale Kontrollmechanismen
    Während Akilah erzählt, geht in dem Restaurant plötzlich ein Alarmsignal los. Schnell ziehen sich Akilah und ihre beiden Kollegen neongelbe Warnwesten an. Es ist ein unangekündigter Probealarm, wie er hier oft vorkommt. Teil eines Nachbarschafts-Systems, bei dem mehrere Haushalte und Geschäfte eine gemeinsame Sicherheitseinheit bilden. Ein sozialer Kontrollmechanismus, bei dem die verbundenen Haushalte faktisch füreinander haften.
    "Es gibt immer zehn Familien oder Geschäfte, die gegenseitig auf sich aufpassen müssen. Wenn Nummer Fünf ein Problem hat, müssen von Nummer Eins bis Nummer Zehn alle kommen und gucken, was los ist. Die Polizei kommt auch sofort, wenn das Alarmsignal losgeht. Sie vergewissern sich dann, ob alle anwesend sind. Wer nicht kommt, muss ein Bußgeld zahlen."
    Ein Polizist in schwarzer Uniform tritt herein und schaltet das heulende Alarmgerät aus. Alltag in Yining, die Menschen hier sind stets in Alarmbereitschaft.
    Das Misstrauen zwischen Han-Chinesen und Uiguren wächst
    In den vergangenen Jahren kam es in der Provinz Xinjiang wiederholt zu Unruhen und terroristischen Anschlägen. Der chinesische Staat macht dafür extremistische Uigurische Gruppen verantwortlich und führt einen rigorosen Anti-Terrorkampf. Und er greift dabei immer radikaler in die Lebensgestaltung der muslimischen Uiguren ein. Das Misstrauen zwischen den in China dominanten Han-Chinesen und den Uiguren in Xinjiang ist über Jahrzehnte gewachsen. Sophie Richardson ist China-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
    "Die chinesische Regierung hat die muslimischen Turkvölker in Xinjiang schon lange mit Distanz und Ablehnung behandelt. Ihre Identität, also ihre Religion, Kultur und Sprache, gelten der Regierung in Peking als Beweis für politische Abtrünnigkeit und Separatismus."
    Ein muslimisches Paar geht an einer Polizeieinheit in Urumqi vorbei. 
    Urumqi in der Uiguren-Provinz nach Unruhen im Jahr 2009 zwischen Uiguren und Han-Chinesen. Polizeikräfte gehen an einem muslimischen Paar vorbei. (picture alliance / epa / Oliver Weiken)
    Mehrmals kam es zu Zusammenstößen von Uiguren mit chinesischen Sicherheitskräften. 2009 gab es während des Fastenmonats Ramadan in der Hauptstadt Urumqi fast 200 Tote. 2014 starben 90 Menschen, als Uiguren gegen ihre Unterdrückung protestierten. Ebenfalls vor vier Jahren haben Uigurische Terroristen im Bahnhof von Kunming im Süden Chinas ein Attentat mit 31 Toten verübt. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001 stellt China den Konflikt mit den Uiguren in den Kontext des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus.
    Momentaufnahmen von Normalität
    Trotzdem blitzt in einer Stadt wie Yining zwischendurch immer wieder Normalität auf. Am Straßenrand in der Uigurischen Altstadt schnitzt und schlägt ein Mann Eissplitter von einem großen Eisblock. Das Eis wird dann in einer Schale mit Joghurt und Zucker verrührt und ergibt Pao Bing – ein traditioneller Straßensnack. Die Menschen sitzen auf kleinen Hockern, unterhalten sich und essen den Joghurt. Im Baum hängt ein Radio.
    Nur wenige Meter weiter vom Eis-Joghurt-Stand steht die 260 Jahre alte Shaanxi-Moschee. Sie ist bewacht und von Zäunen umgeben. Über zweieinhalb Jahrhunderte war dieser Ort ein Mittelpunkt des religiösen Lebens in Yining, die Moschee ist Heimat der muslimischen Hui-Minderheit. Jetzt regelt ein großes, goldfarbenes Hinweisschild am Tor, wer hier alles nicht erwünscht ist. Darauf steht:
    "Mitglieder der Kommunistischen Partei und des Kommunistischen Jugendverbandes Chinas; Staatsbedienstete und pensionierte Beamte; Lehrer, Schüler, Studenten und Minderjährige; dürfen die Moschee nicht betreten."
    Beschränkung der Religion
    Im Hof der Moschee ist die chinesische Flagge gehisst. Durch den Zaun sieht man große rote Plakate mit kommunistischen und ideologischen Parolen. Am Eingang hängen 360-Grad-Kameras, mit denen die Regierung genau kontrollieren kann, wer die Moschee betritt. Es gibt kaum noch Aspekte des religiösen Lebens in Xinjiang, die von den Behörden als legitim angesehen werden. Der deutsche Forscher Adrian Zenz spricht von einer weitgehenden Beschränkung der Religion. Er forscht zu religiösen Minderheiten in China, auch zur Situation in Xinjiang.
    "Zum Beispiel ist ja auch der Besitz eines Korans verboten. Auch der Besitz von Gebetsteppichen wird als Kennzeichen religiösen Extremismus gewertet. Auch Gebete in der Familie, dass man zum Beispiel als Familienoberhaupt vor der Familie betet. Auch das ist explizit problematisch."
    Eigentum der Opfer des Anschlages auf die Bahnstation in Kunming 2014
    Eigentum der Opfer des Anschlages auf die Bahnstation in Kunming 2014 (picture alliance / Imaginechina)
    Ein Mann, der vor Shaanxi-Moschee steht und offenbar dazu gehört, möchte nicht mit uns reden. Schon gar nicht über Religion oder den Islam. Zu gefährlich, sagt er, zu diesen Themen müssten sie schweigen. Auf dem Kopf trägt er eine muslimische Gebetsmütze. Er lässt uns stehen und geht zum fahrenden Knoblauch-Händler.
    Im Namen von Sicherheit und Stabilität hat die chinesische Regierung nicht nur die Religionsfreiheit und kulturelle Selbstbestimmung der Muslime in Xinjiang immer weiter eingeschränkt. Sie geht noch einen Schritt weiter. In den vergangenen Jahren haben die Behörden ein Netz an Umerziehungslagern aufgebaut. Wie viele Inhaftierte es in diesen Lagern gibt, ist unklar. Die Schätzungen von westlichen Regierungen, Wissenschaftlern und Menschenrechtsorganisation reichen von 120.000 bis zu weit über eine Million Menschen.
    "Lernkurse" im Sinne der Partei - eigentlich Umerziehungslager
    Im Internet kursieren Videos, in denen Inhaftierte der Lager in blauen Einheits-Anzügen auf dem Boden sitzen und patriotische, chinesische Lieder singen müssen. Umerziehung durch politische Schulung und zur Loyalität gegenüber der Volksrepublik China und der Kommunistischen Partei. Der Islam soll raus aus den Köpfen der Menschen, die Partei soll rein in die Köpfe.
    "Lernkurse", so ist der unter den Leuten gebräuchliche Begriff für die Lager. Schon einfache religiöse Rituale oder der Kontakt zu Westlern können genügen, um in die Lernkurse geschickt zu werden. Die aber de facto Umerziehungslager sind, in denen die meisten für unbestimmte Zeit festgehalten werden. Kaum einer in Xinjiang traut sich, offen darüber zu reden. Ein Uigure und Taxifahrer in Yining spricht wenige Sätze dazu mit uns. Nicht ohne danach daran zu erinnern, dass wir - egal wer fragt - nur übers Essen geredet hätten. Aufnehmen dürfen wir während der Fahrt und nur mit dem Handy.
    "Es stimmt, wenn Familienangehörige in die Lernkurse geschickt werden, wissen wir nicht, wo sie sind und wann sie zurückkommen. Niemand sagt es Dir. Auch wenn Du Regierungsbeamte oder Mitarbeiter dieser Einrichtungen kennst, wird niemand es wagen, Dir etwas zu sagen. Sie könnten sonst ihre Arbeit verlieren und selbst in Haft kommen."
    Lieder für Staatsgründer Mao Zedong und Parteichef Xi Jinping
    Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat jetzt auf über 100 Seiten den bislang umfangreichsten Bericht zur Situation in Xinjiang vorgelegt. Titel: "Die ideologischen Viren ausrotten: Chinas repressive Kampagne gegen die Muslime in Xinjiang". Der Bericht basiert auf Interviews mit dutzenden Geflüchteten, die die Provinz Xinjiang mit ihren Familien verlassen haben und jetzt in Kasachstan, Kirgisien oder in der Türkei leben. Kairat Samarkand ist einer von ihnen, er war selbst in einem politischen Umerziehungslager in Xinjiang.
    "Wir mussten dort die chinesische Nationalhymne lernen und Lieder singen, in denen Staatsgründer Mao Zedong geehrt wird. Oder einen Song, in dem Staats- und Parteichef Xi Jinping ein tausendjähriges Leben gewünscht wird. In einem anderen Lied ging es um die großartige Geschichte Chinas. Die Regierung will alles Muslimische ausrotten: muslimische Schriften, Kleidung und den Islam an sich. Sie wollen eine homogene Nation, jeder soll und muss Chinese sein."
    Die Beweislage verdichtet sich
    Nicht nur Uiguren sind von den Repressionen betroffen, auch Angehörige anderer muslimischer Turkvölker wie Kasachen oder Kirgisen, die ebenfalls in Xinjiang leben. Offiziell werden diese Lager von der chinesischen Regierung geheim gehalten. Aber ihre Existenz sei zweifelsfrei belegt, sagt Xinjiang-Forscher Zenz.
    "Es gibt eine ganze Reihe offizieller Quellen dazu. Es gibt staatliche Medienberichte, vor allem in der Zeit 2013 bis 2016. Es gibt einiges auch an Regierungsdokumenten, es gibt Budgetberichte, wir haben Stellenausschreibungen. Und vor allem, interessanterweise, Projektausschreibungen. Und in den letzteren werden die Details und Feature dieser Umerziehungslager teilweise sehr genau beschrieben: zum Beispiel Sicherheitsausstattungen, die verschiedenen Gebäude und Teilbereiche. Und diese Beschreibungen lassen sich dann teilweise mit Satellitenaufnahmen noch mal verifizieren."
    Chinesische Panzer rollen durch Hotan im Juni 2014 
    Chinesische Panzer rollen durch Hotan im Juni 2014 (Imaginechina)
    Mitte August haben erstmals auch die Vereinten Nationen zu den politischen Umerziehungslagern in Xinjiang öffentlich Stellung bezogen. Gay McDougall, die Vorsitzende des UN-Komitees zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung in Genf: "Wir sind tief besorgt über die vielen und glaubwürdigen Berichte, dass die Kommunistische Partei Chinas die Autonome Uigurische Region Xinjiang in eine Art massives Internierungslager verwandelt hat. Im Namen der Bekämpfung von religiösem Extremismus und der Aufrechterhaltung sozialer Stabilität. Das geschieht unter völliger Geheimhaltung. Es wurde eine rechtlose Zone geschaffen, in der Angehörige der Uigurischen Minderheit und andere Muslime wie Staatsfeinde behandelt werden. Nur aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Herkunft."
    Keine Rechtsgrundlage für die Inhaftierung der Menschen
    Vor den Vereinten Nationen hat China daraufhin angegeben, dass Menschen in Schulungen gesteckt werden, die geringe Straftaten begangen haben. Eine klare Rechtsgrundlage für die Inhaftierung der Menschen gibt es aber nicht. Laut chinesischem Recht ist eine vorläufige Internierung nur für bis zu 15 Tagen vorgesehen. Allerdings hat der Parteisekretär von Xinjiang, Chen Quanguo, im Frühjahr 2017 eine neue Verordnung erlassen, die die Umerziehung explizit als Maßnahme vorschreibt. Und das pikanterweise, obwohl China die Umerziehung durch Arbeit 2013 bereits abgeschafft hat. Die Regierung in Peking sah sie damals als nicht mehr angemessen für einen Rechtsstaat an.
    "Das Problem an der Wurzel ausrotten"
    In der Hauptstadt Urumqi gibt es ganze Stadtteile, in denen nur noch Han-Chinesen wohnen. Und hier findet sich auch viel Verständnis für die Politik der harten Hand von Parteisekretär Chen gegenüber den Muslimen in Xinjiang. Ein Han-Taxifahrer in Urumqi erklärt uns, dass Maßnahmen wie die strenge Reglementierung eines Moscheebesuchs auch zum Wohle der Uiguren seien:
    "Kleine Kinder dürfen bei uns nicht in die Moschee gehen, weil sie das alles gar nicht verstehen. Und das ist richtig so. Dort könnten Leute versuchen, die Kinder zu beeinflussen, um sie in eine gefährliche Richtung lenken. In Urumqi dürfen nur diejenigen in die Moschee, die über 18 Jahre alt sind."

    Von den politischen Umerziehungslagern hat der Taxifahrer gehört, natürlich unter dem Namen "Lernkurse". Das seien doch Schulen, mit denen sich die Regierung um die Uiguren kümmere. Und das obendrein noch kostenlos.
    "Die Regierung ist echt gut. Sie bietet ihnen Essen, Unterkunft und führt sie auf den richtigen Weg, damit sie danach eine gute Arbeit finden können. Und nicht dem Extremismus verfallen, nicht klauen, keine Unruhe stiften und keine Gerüchte verbreiten. So lässt sich das Problem an der Wurzel ausrotten. Dann werden extremistische Anschläge in den kommenden Jahren nicht mehr passieren."
    Zwei Männer beten in der Idgar Moschee in der Stadt Kashgar
    Zwei Männer beten in der Idgar Moschee in der Stadt Kashgar (pictures alliance / dpa / Stephan Scheuer)
    Metall-Detektoren vor fast jedem Restaurant oder Hotel
    Der Nachtmarkt in der Stadt Kashgar, westlich der Taklamakan-Wüste. Hier drängeln sich die Besucher entlang der Garküchen und den vielen Ständen mit Nüssen und Trockenfrüchten. Es qualmt und dampft und riecht nach gegrilltem Fleisch. Es gibt Lammspieße oder Spieße mit Nieren oder Lunge. Auch scharf gewürzte, handgemachte Nudeln.
    Die Oasenstadt Kashgar mit ihren 400.000 Einwohnern gilt kulturhistorisch als eine der bedeutendsten islamischen Städte Zentralasiens. Fast 80 Prozent der Einwohner sind Uiguren. Auch darum gleicht wohl kaum eine andere Stadt in Xinjiang so sehr einem Hochsicherheitstrakt wie Kashgar. Auch wir werden hier rund um die Uhr von Sicherheitskräften begleitet. Sobald wir mit jemandem reden, wird er danach befragt. Schon um sich mit dem Auto der Stadt zu nähern, muss man unzählige Checkpoints überwinden. Die Metall-Detektoren stehen vor fast jedem Restaurant oder Hotel. In der Stadt gibt es im Abstand von wenigen hundert Metern kleine, bunkerhafte Polizeistationen, deren rote und blaue Lichter dauerhaft blinken. Die Dichte an Überwachungskameras ist enorm. Keine Gasse, die nicht überwacht wird.
    Wer als Uigure auf den Nachtmarkt möchte, muss durch eine eigene Sicherheitsschleuse, wird durchleuchtet und durchscannt. Als westlich aussehender Mensch oder als Han-Chinese darf man unkontrolliert einen anderen Eingang passieren.
    Umfassende Biometrie- und DNA-Datenbank
    In Kashgar wird am deutlichsten sichtbar, welches Ausmaß der Polizei- und Überwachungsstaat in Xinjiang angenommen hat. Selbst in einem traditionellen Teehaus hängen Kameras. Jeder Schritt der Uiguren wird hier mit Hilfe modernster Überwachungs-Technologien beobachtet. Jede Bewegung in der Region wird verfolgt. Die Sicherheitsbehörden der Prozinz bauen außerdem eine umfassende Biometrie- und DNA-Datenbank aller Bürgerinnen und Bürgern zwischen 12 und 65 Jahre auf. In dieser Datenbank werden Blutgruppe, Fotos des Gesichts, ein Iris-Scan, Fingerabdrücke und DNA-Proben gespeichert.

    Chinas Regierung nimmt zu alledem nicht konkret Stellung. Vom Sprecher des Außenministeriums in Peking, Geng Shuang, kommen nur allgemeine Floskeln: "Ich möchte deutlich machen, dass die Situation in Xinjiang sehr stabil ist: die Wirtschaft entwickelt sich gut, alle Minderheiten kommen harmonisch miteinander aus. Langfristige Stabilität und Sicherheit sind der gemeinsame Wunsch aller Minderheiten in Xinjiang."

    Human Rights Watch fordert, dass sich China vor der Weltgemeinschaft für die massiven Menschenrechtsverletzungen verantworten und mit Sanktionen belegt werden müsse. Ähnlich hat sich auch das UN-Menschenrechtsgremium geäußert. Die chinesische Regierung wirft westlichen Beobachtern vor, eine Fakten und Tatsachen zu verfälschen.
    Kunsthandwerker der Uiguren auf einem Markt in Kashgar in der autonomen Provinz Xinjiang
    Kunsthandwerker der Uiguren auf einem Markt in Kashgar in der autonomen Provinz Xinjiang (dpa/picture alliance/How Hwee Young)
    Uiguren und andere Muslime = potenzielle Staatsfeinde
    Auf Kritik oder Protest haben die Behörden in Xinjiang regelmäßig mit noch mehr Repression und Überwachung reagiert. Das autokratische China agiert hier mit der Kontroll- und Überwachungstechnologie des 21. Jahrhunderts. Alles im Namen von Stabilität, Kontrolle und Anti-Terrorismus. Eine Politik mit weitreichenden Folgen, warnt Xinjiang-Forscher Zenz.
    "Das was in Xinjiang aktuell durchgezogen wird, geht meiner Meinung nach klar in Richtung kultureller Genozid. Denn es ist einfach auch unklar, welche kulturellen Eigenheiten der Uiguren, außer ein paar Tänzen und Trachten, diese Maßnahmen eigentlich überleben sollen. Und hier geht es darum, dass die Identität im Kern des Menschen chinesisch sein muss. So eine Art pan-chinesische Identität."
    China vereint in Xinjiang zwei Dinge: den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus und ein Kontroll- und Umerziehungsregime gegen Uiguren und andere Muslime. Die werden dabei per se als potenzielle Staatsfeinde behandelt.