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Ukraine
"Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen"

Die Ukraine-Krise hat diplomatische Bemühungen auf vielen Ebenen ausgelöst. Horst Teltschik, ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, sieht die russische Gesprächsbereitschaft als ein gutes Zeichen. Nur wenn alle Akteure - auch die bewaffneten Milizen - an einem Runden Tisch teilnähmen, könne man nach einer Lösung des Konflikts suchen.

Horst Teltschik im Gespräch mit Christiane Kaess | 07.05.2014
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.
    Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    "Solange Gespräche zwischen Europa und Russland stattfinden, ist das ein Erfolg", sagte Teltschik. Die Forderungen von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, auch die prorussischen Milizen bei Friedensgesprächen mit einzuladen, sei sinnvoll, da sie in der Ostukraine zunehmend die Kontrolle übernähmen.
    Die aktuelle militärische Lage zeige aber, dass weder die ukrainische Armee noch die prorussischen Milizen in der Lage seien, die Situation für sich zu entscheiden. Deshalb müsse das Blutvergießen schnellstmöglich beendet werden.
    Teltschik sagte weiter, Russland erscheine nach außen hin zwar sehr einflussreich, mittelfristig könne das Land aber nur verlieren. Putins Projekt einer Eurasischen Union werde nicht erreichbar sein. Länder wie Kasachstan würden angesichts der Entwicklung in der Ukraine nachdenklich.

    Das Interview mit Horst Teltschik in voller Länge:
    Christiane Kaess: Gestern das Treffen der Außenminister des Europarates in Wien, heute reist der OSZE-Vorsitzende Didier Burkhalter nach Moskau für Gespräche, die internationale Diplomatie bemüht sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln um eine Lösung in der Ukraine-Krise.
    Am Telefon ist Horst Teltschik, langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemals außen- und sicherheitspolitischer Berater von Helmut Kohl. Guten Morgen.
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Teltschik, dass nach dem Treffen der Außenminister des Europarates gestern Russland Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, das ist gestern schon als Erfolg gewertet worden. Kann man hier tatsächlich noch von Erfolg sprechen?
    Teltschik: Ja solange überhaupt Gespräche stattfinden zwischen den Europäern und den Russen, ist das ein Erfolg. Es wäre tragisch, wenn dieser Gesprächsfaden abbrechen würde und damit die Entwicklung in der Ukraine völlig außer Kontrolle geraten würde.
    Kaess: Aber wichtiger wären doch die Gespräche zwischen Russland und Kiew, und da ist gestern die Bedingung gestellt worden von Moskau, dass die prorussischen Separatisten mit am Tisch sitzen müssen, und Kiew hat das erst einmal abgelehnt. Muss Kiew auf diese Bedingung eingehen?
    Teltschik: Ja, denken Sie einmal daran, welche Vorschläge aus dem Westen kommen. Unser Außenminister Steinmeier hat ja selbst bei seinen Vorschlägen davon gesprochen, im Grunde sogenannte Runde Tische einzurichten. Wenn man einen Runden Tisch einrichtet im Vergleich zu früheren Erfahrungen in Polen oder in der damaligen DDR, dann heißt das, dass alle Akteure an einem Tisch zusammenkommen. Und ich vermute sogar, dass Außenminister Lawrow darauf zurückgekommen ist und jetzt erwartet, dass man diese Kräfte einbezieht, die ja nun leider in der Ostukraine zunehmend die Kontrolle übernehmen, und von daher vermute ich, dass die ukrainische Regierung nicht umhin kommen wird, in diesen sauren Apfel zu beißen.
    Kaess: Aber, Herr Teltschik, wenn der Westen jetzt Kiew dazu drängen würde, auf diese Bedingung einzugehen, dann würde das aber auch gleichzeitig heißen, dass der Westen akzeptieren würde, dass bewaffnete Milizen sich mit Gewalt ihren Einfluss erkämpfen.
    Teltschik: Ja, das ist nun mal so. Sie haben anscheinend nach wie vor die Kontrolle über große Teile der Ostukraine. Es heißt zwar immer wieder, dass die Umfragen zeigen, dass nur 20 Prozent der Bevölkerung den Anschluss an Russland wollen, aber anscheinend haben diese 20 Prozent die Kontrolle, zumindest mit Waffengewalt, und die Armee, die ukrainische Armee ist bis zur Stunde nicht in der Lage, diese Kräfte zu entwaffnen, und die Polizei ist ein totaler Ausfall, wie überhaupt die Tatsache, dass ukrainische Soldaten gegen Ukrainer in der Ostukraine kämpfen, schon für sich makaber ist.
    "Natürlich sollten beide Seiten die Waffen niederlegen"
    Kaess: Finden Sie, der Westen sollte hier Einfluss nehmen auf die Regierung in Kiew, diese Anti-Terror-Operation zu stoppen? Diese Forderung kommt heute Morgen von dem Russland-Beauftragten der Bundesregierung, Gernot Erler. Der fordert jetzt ein Ende dieses Militäreinsatzes in der Ostukraine.
    Teltschik: Ja, natürlich sollten beide Seiten die Waffen niederlegen und das Kämpfen einstellen, denn es zeigt sich ja, dass die ukrainische Armee auch nicht in der Lage ist, die Kontrolle zu übernehmen, und es kommt nur zu bitterem Blutvergießen auf beiden Seiten. Das führt zu keinem Ergebnis. Ich glaube schon, die einzige Chance ist jetzt, wirklich den Vorschlag von Lawrow aufzunehmen und das Gespräch zwischen allen Seiten fortzuführen.
    Kaess: Und wenn wir noch mal kurz bei den Einflussmöglichkeiten des Westens auf die Regierung in Kiew bleiben - hat der Westen Einfluss?
    Teltschik: Ja, sicherlich hat der Westen Einfluss. Der Internationale Währungsfonds hat gerade 17 Milliarden für die Ukraine beschlossen als Wirtschaftshilfe. Die EU verspricht Hilfe. Die Amerikaner haben Hilfe zugesagt. Wenn diese Hilfe nicht geleistet wird, ist die politische Führung in Kiew sowieso am Ende.
    "Russland will einen gewissen Einfluss auf die Ukraine sicherstellen"
    Kaess: Dann schauen wir mal auf die andere Seite, Herr Teltschik. Die Annexion der Krim, dann die Aufstände im Osten der Ukraine, zuletzt in Odessa, und in Kiew fühlen sich die Menschen auch schon nicht mehr sicher. Will Russland die ganze Ukraine?
    Teltschik: Das glaube ich nicht. Ich bin der Meinung, dass Russland eine Kontrolle oder einen gewissen Einfluss auf die Ukraine sicherstellen will und die Wahlen am Ende dieses Monats, am 25. Mai, vermutlich verhindern will, solange sie nicht wissen, wer die neuen Kräfte sind, um den Einfluss zu behalten. Also es hilft nur eins: die Gespräche und den Dialog fortzuführen. Ich bin sowieso der Meinung, dass Russland zwar nach außen hin sehr stark und einflussreich erscheint, aber mittelfristig auch verliert.
    Kaess: Was genau verliert und woran machen Sie das fest?
    Teltschik: Ich mache das zum Beispiel an der Eurasischen Union fest. Dieses Ziel wird vermutlich nicht erreichbar sein, weil die Ereignisse in der Ukraine selbst Weißrussland und Kasachstan nachdenklich machen, ob eine Eurasische Union, die mehr ist als eine Zollunion oder Wirtschaftsunion, für sie das Ende der Unabhängigkeit bedeuten kann.
    Kaess: Und glauben Sie, in Russland sieht man das mittlerweile genauso?
    Teltschik: Nein. Ich glaube, dass Russland sich Illusionen macht über seine Dauereinflussmöglichkeiten auf Dauer. Russland wird, wenn sie die Politik mittelfristig nicht ändern, auch der große Verlierer sein.
    Politisch überflüssige Drohgebärden
    Kaess: Herr Teltschik, der oberste NATO-Kommandeur Philip Briedlove, der spricht davon, dass es eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa geben könnte. Das soll zumindest erwogen werden. Bisher ist darauf verzichtet worden, weil Russland als Partner gesehen wurde, und das sei jetzt anders. Was sagt uns das für die Zukunft in Bezug auf die russischen Beziehungen mit dem Westen?
    Teltschik: Ja, das ist immer die gleiche Erfahrung. Wenn die eine Seite Macht demonstriert, gibt es auf der anderen Seite in der Regel die konventionelle Antwort, wir müssen auch Macht demonstrieren. Ich verstehe, dass die baltischen Staaten besorgt sind, weil sie zum Teil große russische Minderheiten haben. Polen hat überhaupt keinen Grund, besorgt zu sein. Ich meine, wenn alle in der NATO und in der Europäischen Union sind, sind sie aus meiner Sicht sicher. Sonst können wir diese Bündnisse sowieso auflösen. Von daher sind das Drohgebärden, die ich eigentlich politisch für überflüssig halte.
    Kaess: Aber wenn Sie sagen, das sind Drohgebärden, glauben Sie auch nicht, dass das tatsächlich in die Tat umgesetzt werden wird?
    Teltschik: Ja, zumindest für den Übergang werden Maßnahmen getroffen. Zum Teil sind sie ja schon getroffen. Die Überwachungsflüge sind verstärkt worden, die amerikanische Truppenpräsenz ist bereits angeboten worden. Jetzt geht es darum, soll sie permanent sein, oder nur zeitweise. Also man versucht jetzt, Russland deutlich zu machen, haust Du mich, dann hauen wir Dich.
    Kaess: Reine Drohgebärden aber, glauben Sie, sind das?
    Teltschik: Ja, das sind zumindest Signale, die den Russen deutlich machen sollen, bis hierher und nicht weiter. Ich glaube nicht, dass das eine Lösung auf Dauer ist.
    "Schwierig zu entscheiden, wie soll man mit Russland umgehen soll"
    Kaess: Herr Teltschik, schauen wir zum Schluss noch kurz auf einen anderen Aspekt. Wie wirkt auf Sie eigentlich der Streit hierzulande? Da haben wir Die Linke als Russland-Versteher. Links-Fraktionschef Gregor Gysi verdächtigt die internationalen Militärbeobachter in der Ukraine sogar der Spionage. Der SPD ist der eigene Ex-Kanzler peinlich, weil er Party mit Putin macht, und die Union kann das noch nicht einmal scharf kritisieren, weil ihr eigener außenpolitischer Sprecher Philipp Mißfelder mit dabei war. Wie wirkt das auf Sie?
    Teltschik: Ja, das ist das übliche Getöse in Berlin zwischen einer übermächtigen Regierungskoalition und einer kleinen Opposition, die einfach sich zu Wort melden muss. Sonst geht sie noch völlig unter. Es ist im Augenblick schwierig zu entscheiden, wie soll man mit Russland umgehen. Russland oder Präsident Putin sind ja auch nicht besonders beweglich und zerstören vieles, was in den letzten Jahrzehnten aufgebaut worden ist. Dieses dumme Wort von Russland-Versteher zeigt ja auch, dass anscheinend die, die das Wort nutzen, es für besser sehen, wenn man nichts von Russland versteht. Es geht ja nicht um Putin als Person, sondern es geht darum, wie die Beziehungen Deutschlands und der Europäischen Union mit Russland dauerhaft gestaltet werden sollen. Da ist in der Vergangenheit vieles erreicht worden und es wäre sehr nachteilig, wenn wir das jetzt alles leichtfertig aufs Spiel setzen würden.
    Kaess: Horst Teltschik war das, ehemals Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemals außen- und sicherheitspolitischer Berater von Helmut Kohl. Danke für das Gespräch.
    Teltschik: Ja gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.