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Ukraine
Der Maidan wird wieder die gute Stube von Kiew

Obwohl es in der Ukraine inzwischen eine vorgezogene Präsidentschaftswahl gab, hielten einige wenige bis vor kurzem den Maidan besetzt. Nun gelang es Kiews neuem Bürgermeister, den Platz zu räumen. An die vergangenen Ereignisse soll bald ein Museum erinnern.

Von Sabine Adler | 19.08.2014
    Reparaturarbeiten am Maidan
    Reparaturarbeiten am Maidan (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Keine Sekunde lässt Roman Katschuk, Leiter des Havarie-Dienstes der Stadt Kiew, seine Männer aus den Augen. Drei stehen auf einer Hebebühne in 20 Metern Höhe, zwei klettern im Gerüst umher und zerlegen das Gerippe des Tannenbaums. Im August, bei weit über 30 Grad Hitze.
    Tannenbaum-Abbau auf dem Maidan
    Tannenbaum-Abbau auf dem Maidan (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Roman Katschuk weiß, wie sehr es die Gemüter erregt, dass nun das Wahrzeichen wie auch der Maidan selbst mit seiner Zeltstadt der Vergangenheit angehören.
    "Natürlich sind hier Gefühle im Spiel. Viele Leute wollten ihre Flaggen, die sie hier angenagelt haben, wieder haben und mitnehmen. Wir erklären ihnen, dass das alles ins Museum kommt. Wir sind ja eigentlich nur für das Technische zuständig."
    Zuletzt war der Tannenbaum mit ukrainischen Flaggen bedeckt. Alle schmutzig, mit Spuren vom Kampf auf dem Maidan.
    Mit Wasser soll der Ruß vom Pflaster gespült werden, an vielen Stellen fehlen Steine. Die hatten Demonstranten im Februar herausgerissen, um sich gegen die Polizei von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch zu bewaffnen.
    Die Rentnerin Larissa Smirnowa schaut auf die Reinigungskräfte.
    "Hier musste Ordnung geschaffen werden, denn diese Unordnung hat Leute angezogen, die mit dem Maidan nichts mehr zu tun hatten. Die Helden sind weg und die jetzt hier sind, sollten sich woanders eine Bleibe suchen. Wichtig ist, dass die Erinnerung bleibt."
    Der Verkehr fließt wieder
    Die Straßenbeleuchtung wird repariert, das Pflaster neu verlegt. Der Maidan ist die gute Stube der ukrainischen Hauptstadt. Die Ruine des in den dramatischen Tagen ausgebrannten Gewerkschaftshauses ist mit einer großen Reklamewand verkleidet, auf dem Kreschatik fließt wieder der Verkehr.
    "Das war es wert. Wenn ein Mensch eine unentdeckte Krankheit hat, die man findet und endlich behandelt, kann er gesund werden", sagt die Rentnerin Larissa Smirnowa, selbst Invalidin.
    "Der Maidan musste sein, jetzt kann die Ukraine gesunden."
    Der Tannenbaum, die Flaggen, Plakate, auf denen der russische Präsident Putin mit Hitler verglichen wurde, das Poster von Julia Timoschenko, von der heute keiner mehr spricht – alles wandert vorerst ins Gontscharow-Museum, solange es das Euro-Maidan-Museum noch nicht gibt. Olga Spadai schaut den Männern zu, die das Pflaster reparieren. Sie ist 43 Jahre alt, selbst Bauarbeiterin.
    "Ich bin sehr froh, dass das alles hier verschwindet. Wir sind aus Donezk hierhergekommen und haben gerade erfahren, dass unser Haus getroffen wurde. Das Dach soll völlig kaputt sein. Die oberste Etage, die neunte, ist weg. Wie soll man so etwas reparieren? Der Euro-Maidan hier musste weg. Denn als die Regierung fortgejagt war, kamen Leute auf den Maidan, die damit doch wenig zu tun hatten. Und das, was in Donezk vor sich ging, hätte man sofort beenden müssen. Dann hätten wir heute keinen Krieg. Ich verstehe bis heute allerdings nicht, wer in diesem Krieg der Feind sein soll. Das ist doch alles künstlich von Russland inszeniert."
    Olga Spadai ist als Flüchtling in Kiew zum Nichtstun verurteilt und fühlt sich völlig fehl am Platz.
    "Ich kann hier keinen Frieden finden. Ich gehe zurück nach Donezk, mir fällt die Decke auf den Kopf und dabei gibt es in Donezk jede Menge aufzubauen."
    Die Rückeroberung der Stadt sei nur noch eine Frage von Tagen, sagt sie und will es vor allem selbst glauben.
    Vor den Fotos der Helden des Maidan, die im eiskalten Winter gefallen sind, stehen nach wie vor Kerzen und Blumen. Wladislaw Reiburg, ein sportlicher muskulöser Mann, nimmt hinauf zum Hotel "Ukraina" zwei Stufen auf einmal. Braungebrannt im strahlend weißen Hemd sieht er aus wie ein Tourist. Der fröhliche Eindruck, den er macht, täuscht.
    "Das ist sehr traurig, ein Unglück für unser Land, mit diesen vielen Opfern und dem Krieg. Aber es war nötig, denn wir haben so diese schmutzigen korrupten Leute entfernt. Doch der Preis war sehr hoch. Die Opfer hier auf dem Maidan und jetzt im Krieg, das sind doch bestimmt schon 10.000 und ich vermute, dass das leider erst der Anfang ist. Plus der Verlust des Territoriums und jede Menge Verwirrung, weil keiner weiß, wohin das noch alles führt."
    Jeder Mann unter 60 kann seit der dritten Teilmobilmachung eingezogen werden. Wladislaw Reiburg ist Investmentbanker, 36 Jahre alt und scheint die Aufforderung des Wehrkreiskommandos nicht zu fürchten.
    "Im Krieg müssen alle Bürger das Land verteidigen. Alle, einschließlich der Frauen. Jeder, der Experte auf einem Gebiet ist, sollte sich einbringen. Es ist nicht gut, dass jetzt nur ausgewählte Leute eingezogen werden und nicht alle. Wer nicht kämpfen kann, sollte in der Versorgung der Armee arbeiten, in der Küche, im Lazarett. Ich warte darauf, dass endlich das ganze Land kämpft und unsere Heimat verteidigt und nicht wie bislang nur 10.000 Mann. Die Betriebe müssen auf Kriegswirtschaft umgestellt, die Grenze geschlossen, die Bevölkerung evakuiert werden. Es müssen Flüchtlingslager entstehen, für die Einwohner von Donezk und Lugansk wurde kein einziges Lager errichtet. Das allerwichtigste ist jetzt, die Bevölkerung zu schützen und den Feind zu vernichten."
    Noch immer spielt keine Musik auf dem Maidan. Die zahnlose Ukrainerin sitzt mit ihrer Geldschale unten am Metroeingang.

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