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Ukraine
Die politische Zerrissenheit der Kirchen

Die politischen Kämpfe in der Ukraine werden auch von den Kirchen ausgetragen. Ein Ableger der orthodoxen Kirche und die griechisch-katholische Kirche unterstützen die Forderungen der Demonstranten und beklagen die Nähe vieler traditioneller Orthodoxer zu Russland.

Von Florian Kellermann | 09.12.2013
    Es war vier Uhr am Morgen, als über 200 junge Menschen an die Tore des Michaelsklosters in Kiew schlugen. Die Studenten waren in Not: Berkut, eine Spezialeinheit der Polizei verfolgte sie, die Uniformierten hatten viele von ihnen geschlagen und getreten. Bruder Oleksandr Trofymljuk, Prorektor der geistlichen Akademie des Klosters, schreckte aus dem Schlaf.
    "Wir haben das Tor geöffnet und die Menschen hereingelassen. Die Polizisten kamen bis auf ungefähr 15 Meter heran und blieben stehen. Wir haben sofort Krankenwagen gerufen, damit die Verletzten versorgt und in die Klinik gebracht werden. Den Dagebliebenen haben wir Tee gekocht, sie waren völlig erschöpft und verängstigt. Der Patriarch hat ihnen erlaubt, in der Kirche zu übernachten, sie ist bis heute rund um die Uhr geöffnet, für alle, die beten oder sich einfach nur ausruhen wollen."
    Der brutale Polizeieinsatz gegen die Studenten vor einer Woche hat die Demonstrationen in Kiew erst richtig entfacht. Seitdem fordern die Menschen nicht mehr nur eine Annäherung der Ukraine an die EU. Sie verlangen auch den Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch.
    Kiewer Patriarchat kämpft um Anerkennung
    Dass die Demonstranten beim Michaelskloster Unterschlupf suchten, ist kein Zufall. Es gehört derjenigen Orthodoxen Kirche in der Ukraine, die sich 1992 vom Moskauer Patriarchen gelöst hat. Sie hat ein Patriarchat in Kiew gegründet und kämpft seitdem um die Anerkennung in der orthodoxen Welt. Erklärtes Ziel dieser Kirche sei es, dass auch der ukrainische Staat unabhängig wird von Russland, sagt Bruder Oleksandr.
    "Dieses Ziel erreichen wir, wenn die Ukraine irgendwann einmal der Europäischen Union beitritt. Erst dann ist die Gefahr gebannt, dass sie von einem Nachbarland wie eine Kolonie behandelt werden kann."
    Die Orthodoxe Ukrainische Kirche Kiewer Patriarchats, so ihr offizieller Name, unterstützt also auch die Losungen der Demonstranten. Gleiches gilt für die griechisch-katholische Kirche, die in der Westukraine besonders stark ist. Sie gehört zur katholischen Welt, ordnet sich also dem Papst in Rom unter, ihr Ritus gleicht jedoch dem der orthodoxen Kirchen.
    Mitten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz steht ein Zelt mit einer Ikone am Eingang, Vater Mykola Bytschok ist extra aus einem Kloster in Lemberg angereist.
    "Diese Kapelle steht genau auf einer der Stellen am Unabhängigkeitsplatz, wo Blut vergossen wurde. Ein Junge, der von der Polizei verprügelt wurde, hat sie uns gezeigt. Wir wollen mit dem Gebet diesen Platz von dem Bösen reinigen, das sich hier in den vergangenen Tagen ereignet hat."
    "Viele Geistliche sehen sich als politische Vertreter von Russland"
    Die politische Zerrissenheit der Ukraine spiegelt sich exakt im Religiösen wider. Auf der einen Seite die Orthodoxen Kiewer Patriarchats und die Griechisch-Katholischen, die eine EU-Annäherung wollen. Auf der anderen Seite die zweite Orthodoxe Kirche der Ukraine, die sich weiterhin dem Moskauer Patriarchen unterordnet. Sie unterstützt Präsident Viktor Janukowitsch, der aus der Ostukraine stammt, wo viele Menschen sich nach einem Bündnis mit Russland sehnen. Wie Janukowitsch sprach sich die Kirche Kiewer Patriarchats offiziell für eine EU-Integration aus, allerdings wie das Staatsoberhaupt eher halbherzig. Von ihr kam keine Stellungnahme zum brutalen Polizeieinsatz. Das berühmte Kiewer Höhlenkloster, das dem Moskauer Patriarchat untersteht, hätte seine Tore wohl nicht für die Demonstranten geöffnet, sagt Oleksandr Sagan, Religionsexperte der ukrainischen Akademie für Wissenschaften:
    "Viele Geistliche dieser Kirche sehen sich leider sich als politische Vertreter von Russland und machen das gegenüber den Gläubigen auch deutlich. Außerdem orientiert sich diese Kirche natürlich zu ihrer Metropole Moskau hin. Die russisch-orthodoxe Kirche lehnt es strikt ab, dass die Ukraine sich auf die EU zubewegt."
    Sollte sich die Ukraine tatsächlich der Europäischen Union anschließen, würde das langfristig auch den Streit der Kirchen beruhigen, meint Sagan. Dann werde es früher oder später zu einem Zusammenschluss der orthodoxen Kirchen kommen - wohl unter einem Kiewer Patriarchat. Das würden dann die Gläubigen erzwingen, die schon jetzt in der Mehrheit für eine EU-Integration seien.