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Ukraine
Dokumente belegen angeblich Janukowitschs Verbrechen

Von Florian Kellermann | 12.08.2014
    Viktor Janukowitsch
    Viktor Janukowitsch nach seinem Sturz als Präsident der Ukraine (dpa / picture alliance / Sergey Pivovarov)
    30 Kilometer nördlich von Kiew gibt es eine Parkanlage, die wie keine in der jüngeren ukrainischen Geschichte für Schlagzeilen sorgte. Meschihirja - ein riesiges Areal mit künstlichem Wasserfall, kleinen Wäldchen und einer langen Promenade am Dnjepr. Hier residierte der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch - in einem monströsen, kitschigen Gebäude am Hang, das Sowjet-Architektur mit finnischem Holzhausstil verbindet.
    Heute ist Meschihirja ein Ausflugsziel der Kiewer. Nichts erinnert mehr daran, was sich hier im Februar abspielte. Die Journalistin Anna Babinets war damals dabei.
    "Das war am Tag, nachdem Janukowitsch geflohen war. Wir waren gekommen, um zu sehen, was er nicht mehr hatte mitnehmen können. Da habe einige von uns bemerkt, wie da hinten, im künstlichen See, Dokumente schwimmen. Wir haben immer mehr Journalisten geholt und dann auch auch einige Taucher. Drei Tage lang haben wir die Dokumente in einem Bootsschuppen in der Nähe getrocknet und abfotografiert."
    Was die Aktivisten damals sicherstellten, etwa 200 Aktenordner, bildet die Grundlage für "Yanuleaks" - eine Internetseite, die Original-Unterlagen des ehemaligen Präsidenten veröffentlicht. Da steht etwa zu lesen, dass die Holzmöbel in der Residenz 1,6 Millionen Euro kosteten. Oder, dass Janukowitsch gern antike Geschenke annahm. Der Chef der Grenzbehörde, der bis heute im Amt ist, überreichte ihm etwa eine Ikone aus dem 19. Jahrhundert.
    Spinnennetz an Querverbindungen
    Anna Babinets führt durch das Haus, wo die Aktivisten damals übernachteten. Das Gästehaus von Meschihirja, auch Putin-Haus genannt. Doch ob der russische Präsident jemals hier logierte, ist unbekannt.
    Gerade beraten sich die Janukowitsch-Jäger wieder einmal, wie sie weiter verfahren sollen. Für sie fing die Arbeit mit den gefundenen Dokumenten nämlich erst an. Sie recherchieren seitdem, treffen die Personen, die in den Unterlagen auftauchen.
    "Ich habe mich um den Jagdklub von Janukowitsch gekümmert. Ihm haben die wichtigsten Personen im Staat angehört, auch Geschäftsleute, insgesamt 28 Personen, die einen Jahresbeitrag von umgerechnet 50.000 Euro bezahlt haben. Sie haben das Hobby des Präsidenten finanziert - und sind dafür ab zu eingeladen worden. Der Klub hatte etwa 100 Angestellte."
    Unter den Mitgliedern von Janukowitschs Jagdklub waren seine Vorgänger Leonid Kutschma und Leonid Krawtschuk sowie die Milliardäre Viktor Pintschuk und Vadiym Nowyntskyj. Andere Unterlagen führen zu wieder anderen Namen - und so ergibt sich ein ganzes Spinnennetz an Querverbindungen. Das ist die Sprengkraft der Unterlagen: Die Hinweise darauf, wer alles an Janukowitschs Verbrechen beteiligt war, an der Korruption, der Rechtsbeugung, dem schlichten Diebstahl. Die Journalisten halten manche ihrer Erkenntnisse zurück.
    "Es gibt Hunderte, die zu diesem Kreis gehörten, die Millionen an Schmiergeldern gezahlt oder bekommen haben. Die Staatsanwaltschaft hat uns gebeten, das nicht alles offenzulegen, aus Rücksicht auf die Ermittlungen. Wir achten das und warten ab. Aber wenn die Staatsanwaltschaft in einer angemessenen Frist nichts unternimmt, dann werden wir Druck machen, dann wird es zum Krieg kommen zwischen ihr und uns."
    Zum Dunstkreis gehörten nicht nur Abgeordnete
    Doch hat die neue ukrainische Machtelite überhaupt ein Interesse an der sogenannten Lustration, an der Aufarbeitung des alten Regimes? Der neue Präsident Petro Poroschenko äußerte sich bei einem Interview vor Kurzem ausweichend. Die beste Lustration sei doch die Parlamentswahl im Herbst, erklärte er. Dann würden die nicht mehr gewünschten Abgeordneten abgewählt. Aber eine Strafverfolgung ist das noch lange nicht - und zum Dunstkreis von Janukowitsch gehörten eben nicht nur Abgeordnete.
    Der Politologe Kost Bondarenko fürchtet, dass die allermeisten Nutznießer des Systems Janukowitsch unangetastet bleiben:
    "Es gibt gar nicht genug Fachleute, um sie alle zu ersetzen. Außerdem ist ja die Frage, bei wem man anfängt und mit welchen Kriterien. Irgendwie waren fast alle heutigen Entscheidungsträger mit der alten Staatsmacht verbunden, das gilt selbst für Ministerpräsident Arsenij Jazeniuk und amtierende Minister. Ich fürchte, dass einige den Begriff "Lustration" missbrauchen wird, um politische Gegner ins Abseits zu stellen. Eine echte Aufarbeitung der Vergangenheit kann es in der Ukraine nicht geben."
    Die Millionen, die auf dem Unabhängigkeitsplatz gegen Janukowitsch demonstrierten, wird diese Antwort kaum befriedigen. Die Journalistin Anna Babinets auch nicht: Sie will wenigstens, dass der engere Kreis um das ehemalige Staatsoberhaupt zur Rechenschaft gezogen wird.