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Ukraine
"Entsendung der Militärbeobachter sachlich überprüfen"

Nach der Freilassung der Militärbeobachter in der Ukraine plädiert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt für eine sachliche parlamentarische Aufarbeitung der Mission. Es müsse geprüft werden, inwiefern die Entsendung der Beobachter ein Beitrag zur Stabilisierung der Lage im Land gewesen sei.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Silvia Engels | 05.05.2014
    Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt
    Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt (dpa / Maurizio Gambarini)
    Sie sei daher ganz froh, dass die Bundesregierung selbst angekündigt habe, den Einsatz zu überprüfen, sagte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, im Deutschlandfunk. Zunächst einmal sei grunsätzlich jede Maßnahme zu begrüßen, die zu einer Stabilisierung der Lage in der Ukraine führe. Ob die Beobachtermission nun einen Beitrag dazu hätte leisten können, müsse nun ganz sachlich geklärt werden.
    Die Bundesregierung verteidigte die Beobachtermission als regulären Einsatz im Rahmen der OSZE. Allerdings kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auch an, dass der Einsatz unter Führung der Bundeswehr nachträglich überprüft werden solle: "Wir werden sicherlich die Situation nochmal analysieren müssen", sagte sie in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Die Beobachter - darunter vier Deutsche – sind nach achttägiger Geiselhaft freigelassen worden und Samstagabend in Berlin gelandet.
    Die Grünen stehen nicht uneingeschränkt hinter der Übergangsregierung
    Zu der Kritik, die Grünen stünden einseitig hinter der ukrainischen Regierung, meinte Göring-Eckardt: "Wir haben zunächst einmal die Maidan-Bewegung unterstützt." Dabei sei es um die Bürger und deren Freiheitsbestreben gegangen. "Dazu stehen wir." Die Grünen-Politikerin ergänzte, es sei aber klar, dass eine Übergangsregierung in einer solchen Situation wie derzeit auch Fehler mache. Deshalb könne man nicht uneingeschränkt sagen, dass man hinter dieser Regierung stehe. Es müsse jetzt alles daran gesetzt werden, dass die Präsidentschaftswahlen in der Urkaine am 25. Mai über die Bühne gehen können.

    Silvia Engels: Das Geschehen in der Ukraine bleibt unübersichtlich. In der südöstlichen Hafenstadt Odessa griffen gestern prorussische Kräfte das Polizeigebäude an. In Teilen des Ostens der Ukraine stehen sich nach wie vor Armee-Einheiten und Separatisten gegenüber - Teil der Offensive, mit der die Regierung in Kiew versucht, Kontrolle über besetzte Orte und Gebäude zurückzubekommen. Parallel dazu läuft diplomatisches Ringen weiter.
    Am Telefon ist nun Katrin Göring-Eckardt, sie ist Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Guten Tag, Frau Göring-Eckardt.
    Katrin Göring-Eckardt: Ja guten Tag! Ich grüße Sie.
    Engels: Greifen wir das jüngste Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und dem russischen Präsidenten Putin auf. Putin fordert, dass Kiew sich mit den prorussischen Separatisten zusammensetzt. Folgen Sie dieser Idee?
    Göring-Eckardt: Na ja, alles was Gespräche sind, ist ja erst mal positiv und ist erst mal gut. Aber die Voraussetzung dafür muss natürlich sein, dass die Separatisten auch von Russland aus eine klare Ansage bekommen, dass es um eine friedliche Beilegung und eine friedliche Lösung geht. Und natürlich: Wir müssen ja immer noch mal über die Grundlage reden, auch darum, dass am Schluss die Unabhängigkeit der Ukraine gewährleistet sein muss, und zwar von allen Beteiligten.
    Engels: Dass Russland hier einen Hebel in der Hand hat, wird insgesamt so gesehen. Wir schauen aber mal auf eine andere Fassette. Wie geschickt verhält sich denn Ihrer Ansicht nach in den letzten Tagen die Führung in Kiew in diesem Konflikt, der ja nun auch von Gewalt und Armee-Einheiten gekennzeichnet ist?
    "Ich glaube, dass es sinnvoll ist, erst mal alles zu tun, was eben nicht militärisch ist"
    Göring-Eckardt: Ja. Ich meine, natürlich hat die Kiewer Regierung sehr viel weniger Spielraum als beispielsweise der Kreml, und die Provokationen der Separatisten brauchten eine Reaktion. Ich glaube trotzdem, dass es sinnvoll ist, erst mal alles zu tun, was eben nicht militärisch ist, Gespräche zu führen, zu versuchen, dafür zu sorgen, dass man miteinander ins Gespräch kommt, dass man miteinander redet, wie gesagt: Wenn die Bereitschaft auch tatsächlich von beiden Seiten vorhanden ist, von beiden Seiten möglich ist, und dass die Kiewer Regierung alles daran setzen muss, dass die Wahlen am 25. Mai in einigermaßen Ruhe und überhaupt stattfinden können, liegt natürlich auf der Hand. Deswegen sage ich noch mal, alles was man friedlich tun kann, und wenn Russland dazu beiträgt, wenn der Kreml dazu beiträgt, dass auch die Separatistenseite überhaupt zu Verhandlungen, zu Gesprächen bereit ist, dann ist das natürlich der eindeutig bessere Weg.
    Engels: Wie beurteilen Sie denn in diesem Zusammenhang die Tragödie von Odessa, wo ja bei einem Brand vor allem prorussische Aktivisten starben und Übergangspremier Jazenjuk gestern erneut in Odessa Russland beschuldigte, für die Eskalation verantwortlich zu sein? Nun gibt es ja auch Stimmen von Journalisten, die sagen, die Faktenlage, wer hier verantwortlich sei, sei in diesem Fall nicht so eindeutig. Tut Jazenjuk gut daran, so zu argumentieren?
    Göring-Eckardt: Er hat ja gleichzeitig auch gesagt, dass die Frage, wie die Polizei dort gehandelt hat, sehr genau untersucht werden muss, und insofern: Ich glaube tatsächlich, dass niemand ganz genau wird nachvollziehen können, wer wann wo wen provoziert hat, zumal das ja eine sehr, sehr unübersichtliche Situation ist. Manche sprechen inzwischen von Bürgerkriegen und ich finde, dass deswegen die Idee, darauf zu setzen, dass man auch diese regionalen Konflikte regional bearbeiten muss – Frank-Walter Steinmeier hat ja gestern auf die Möglichkeit von Runden Tischen verwiesen -, eine sehr, sehr gute wäre, um aus diesen Eskalationsspiralen, die man vermutlich kaum noch zentral in irgendeiner Weise steuern kann, herauszukommen. Dazu gehört es aber eben auch ganz eindeutig, dass die russische Seite sich zu einer Befriedung bekennt und dass sie sich auch dazu bekennt, dass die Ukraine eigenständig bleiben kann.
    Engels: Frau Göring-Eckardt, Ihre Partei, die Grünen, hat sich ja in diesem Konflikt sehr früh und sehr deutlich hinter die Aktivisten auf dem Maidan in Kiew gestellt. Aus diesen Bewegungen ging ja die jetzige Übergangsregierung hervor. Wenn Sie die Entwicklung des Konflikts jetzt sehen, stehen Sie immer noch so uneingeschränkt hinter dem Handeln von Kiew?
    Präsidentschaftswahlen sollten stattfinden können
    Göring-Eckardt: Na ja, wir haben die Maidan-Bewegung unterstützt und haben gesagt, das sind Bürgerinnen und Bürger, die um ihre Freiheit kämpfen und die sehr deutlich gesagt haben, wir wollen eine europäische Perspektive. Da ging es ja auch noch gar nicht um einen Beitritt. Und insofern natürlich: Dazu stehen wir nach wie vor, dass diese Regierung eine starke Regierung ist. Dass diese Regierung ein Übergang ist, dass viele Kompromisse gemacht werden mussten schon allein bei der Zusammensetzung der Regierung, das ist völlig klar. Dass dabei Fehler passieren in einer so angespannten Lage und Situation, ist auch völlig klar. Deswegen kann man nicht davon reden, dass man uneingeschränkt für diese Regierung steht. Schon allein deswegen sollten ja auch die Präsidentschaftswahlen stattfinden können. Aber man kann davon reden, dass die Freiheitsbestrebungen, die auf dem Maidan mehrfach geboren worden sind und weitergeführt werden, zur Stärkung der Zivilgesellschaft ganz zentral ist, dass die Regierung übrigens auch Berater aus der Zivilgesellschaft in ihre Teams aufgenommen hat. Das ist erst mal was sehr Positives. Aber jeder wird sagen, die Lage ist absolut unübersichtlich und es ist eine Regierung, die versuchen muss, tatsächlich zu einer Stabilisierung zu kommen, und die versuchen muss, zu einer Befriedung tatsächlich beizutragen und dafür alles zu tun. Aber wir wissen auch, dass sie eine ganze Reihe unerfahrener Menschen sind und dass das nicht von einen Tag auf den anderen geht.
    Engels: Ist es Unerfahrenheit, oder ist möglicherweise dort auch der Wille zu deeskalieren nicht bei allen genügend vorhanden?
    Offensichtlich von Russland unterstützt
    Göring-Eckardt: Na ja, ich meine, es ist völlig klar: Wenn man sieht, innerhalb der Regierung gibt es auch einen rechten Sektor, wird man nicht sagen können, die wollen in allererster Linie deeskalieren. Das haben wir immer kritisiert und finden diesen Kompromiss, den die Regierung eingegangen ist, nicht besonders gut. Aber es ist in dieser Übergangszeit offensichtlich nicht anders möglich gewesen und man kann dann von außen immer sagen, wie man alles besser gemacht hätte. Aber wahrscheinlich ist das für diese Übergangsregierung auch eine extrem schwierige Situation, wo sie versuchen musste, die Kräfte zusammenzubringen, die dafür sorgen, dass zunächst mal dieses fürchterliche Regime von Janukowitsch ein Ende hat und dass man in eine Demokratisierung kommt. Ich glaube, auch von denen hat sich niemand vorgestellt, dass es eine derartige Eskalation gibt und dass es derartige Dauerprovokationen von Separatisten gibt, die ja nach wie vor in einem verdeckten Doppelspiel sozusagen von der russischen Seite ganz offensichtlich unterstützt werden.
    Engels: Die Kiewer Übergangsregierung war es ja auch, die die OSZE-Militärbeobachter bilateral eingeladen hat, die Gruppe, die dann später im Osten der Ukraine entführt wurde. Das ist also nicht diese multilaterale große OSZE-Beobachtermission. War es denn möglicherweise naiv von der Bundesregierung, in dieser Art und Weise der Kiewer Linie zu folgen und zuzustimmen, in diese umkämpfte Ostukraine mit Militärbeobachtern zu gehen?
    Göring-Eckardt: Ich bin ganz froh, dass die Bundesregierung jetzt sagt, man will diese Mission noch einmal auswerten. Aber wenn man deutlich macht, dass man alles tun will, um friedensstiftende Maßnahmen zu unterstützen, wenn man alles tun will, um diese Region zu stabilisieren, dann ist natürlich eine solche Beobachtermission erst mal ein Teil eines Versuchs von Stabilisierung und friedlicher Beobachtung, friedlicher Lösung. Insofern würde ich erst mal grundsätzlich sagen, dass man im Grunde immer sagen muss, man tut alles dafür, dass es zu einer friedlichen Lösung kommt. Und wer das jetzt kritisiert, muss natürlich auch sagen, was gibt es denn überhaupt für andere Mittel. Jetzt hat nach dem Gespräch mit Angela Merkel auch Putin gesagt, er ist der Auffassung, dass die OSZE da eine wichtige Rolle spielen muss. Auch da gilt natürlich, da darf man kein doppeltes Spiel spielen, weil man die OSZE natürlich sofort schwächt und entmachtet, wenn man auf der anderen Seite die paramilitärischen Separatisten verdeckt unterstützt.
    Engels: Alle Seiten stehen zu diesem multilateral organisierten OSZE-Missionen. Aber sollte sich Deutschland weiter an solchen bilateralen OSZE-Sondermissionen beteiligen?
    "Heilfroh, dass Geiseln freigekommen sind"
    Göring-Eckardt: Es gab eine Einladung der Kiewer Regierung. Wie gesagt, ich finde es richtig, dass das noch einmal überprüft und ausgewertet werden muss. Da stehe ich auch völlig klar dazu. Daraus muss man gegebenenfalls auch Konsequenzen ziehen. Das muss auch im Parlament natürlich entsprechend debattiert und besprochen werden, ob diese Art von Missionen tatsächlich zu einer Stabilisierung und zu einer Befriedung, zu einer echten Beobachtung geführt hat. Aber meine Kritik richtet sich erst mal nicht daran, dass man versucht, alles versucht, eine friedensstiftende Mission voranzutreiben. Sie haben gefragt, war das naiv, kann man das in Zukunft machen. Ich finde, das sollten wir mit einer Auswertung und mit einer klaren Beschreibung dessen, was dort tatsächlich passiert ist, sachlich tun und nicht jetzt nach dem Motto, das ist nun das gewesen, was zu einer weiteren Eskalation geführt hat. Daran glaube ich nun definitiv nicht. Natürlich muss auch so eine Mission unter Bedingungen stattfinden, die nicht dazu führen, dass am Schluss Geiseln genommen werden können und auf diese Art und Weise natürlich ein neues Erpressungspotenzial entsteht. Ich bin heilfroh, dass die Geiseln freigekommen sind und dass sie offensichtlich auch ohne irgendwelche Gegenbedingungen frei gekommen sind.
    Engels: Aber noch mal nachgefragt: Sollten solche bilateral organisierten OSZE-Sondermissionen demnächst immer mit einer parlamentarischen Befassung im Vorfeld einhergehen?
    Göring-Eckardt: Wir müssen parlamentarisch auswerten, was da passiert ist, und wir müssen uns dann darüber unterhalten, wie in Zukunft mit solchen Missionen umgegangen werden soll. Im Moment haben wir eine andere Regelung. Die standen auch bisher nicht in der Kritik. Die Frage ist, ist an dieser Stelle richtig gehandelt worden, muss man für diese Situation im Nachhinein sagen, hätte man etwas anders machen sollen, und muss man daraus auch Schlussfolgerungen ziehen grundsätzlicher Art, nach denen Sie fragen. Ich möchte erst eine ganz genaue Auswertung sehen, bevor ich sage, das muss in die eine oder andere Richtung gehen. Weil noch mal: Die OSZE dient immer dazu, als friedensstiftende Organisation auch bei solchen Missionen, auch bei dieser Art Missionen dafür zu sorgen, dass es Deeskalation gibt.
    Engels: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Wir sprachen mit ihr über die Ukraine-Politik und die Konsequenzen aus der OSZE-Militärbeobachtermission. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Katrin Göring-Eckardt wurde 1966 in Friedrichroda, Thüringen, geboren. Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen begann 1984 mit einem Studium der evangelischen Theologie, welches sie 1988 abbrach. Göring-Eckardt war 1989 Gründungsmitglied der Partei Bündnis 90. Seit 1998 ist sie Abgeordnete des Deutschen Bundestags und dort seit 2013 Fraktionsvorsitzende ihrer Partei.