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Ukraine-Flüchtlinge
"Wir wussten nicht, was Krieg bedeutet"

Tausende Menschen fliehen vor den Kämpfen in der Ostukraine. Auch die Ärztin Lana Mikhailova hat ihre Heimatstadt Donezk verlassen, als Militärkolonnen den Berufsverkehr in der Millionenstadt ablösten.

Von Tim Krohn | 26.08.2014
    Menschen am 10. August 2014 in einem Schutzraum in einem Krankenhaus in der umkämpften Großstadt Donezk, Ostukraine.
    Menschen in einem Schutzraum in einem Krankenhaus in der Großstadt Donezk. (AFP / DIMITAR DILKOFF)
    Lana Mikhailova ist raus, weg aus Donezk, nach über 40 Jahren. Eigentlich könnte die Millionenstadt im Osten der Ukraine Ärztinnen wie sie nur allzu gut gebrauchen. Aber vor zwei Wochen war endgültig Schluss. Mikhailova packte ihre Sachen und ging, flüchtete zu Verwandten nach Litauen.
    "Es ist schrecklich. Denn wir wussten nicht, was Krieg wirklich bedeutet. Wir konnten uns nicht daran gewöhnen."
    Die 44-jährige Sportmedizinerin aus Donezk ist nur eine von rund eintausend Kriegsflüchtlingen pro Tag. Die Vereinten Nationen sprechen mittlerweile von 3,9 Millionen Menschen, die unmittelbar von den Kämpfen in der Ukraine betroffen sind.
    "Die Menschen in Donezk stehen unter Schock. Keiner von meinen Arbeitskollegen, wirklich keiner hat sich vorstellen können, dass so etwas hier passieren kann. Immerhin ist Donezk ja eine Millionenstadt. Inoffiziell leben hier bis zu zwei Millionen Menschen. Und diese zwei Millionen hören jetzt ständig Schüsse und Explosionen, ohne genau zu wissen, wo und wen es gerade getroffen hat."
    Infrastruktur längst zerstört
    Der Krach der Panzer, der Raketenwerfer und Mörsergranaten macht mürbe. Marija, ihre 14-jährige Tochter, hätte enorme Stress-Symptome gezeigt, erzählt die Ärztin.
    "Als die Kämpfe noch auf die Vororte und den Flughafen begrenzt waren, hatten wir noch versucht, uns einzubilden, dass alles nicht so schrecklich sein wird. Dann aber ist die ganze Stadt abgestorben. Die Autos verschwanden, die Leute gingen weg. Wir haben gemerkt: Unsere Stadt ist besetzt. Als ich mit meiner Tochter auf unserem Balkon stand und die ganzen Militärkolonnen sah, da hatte ich begriffen: jetzt müssen wir abhauen."
    Lana Mikhailova ist aus Donesk nach Litauen geflohen.
    Lana Mikhailova ist aus Donesk nach Litauen geflohen. (ARD / Tim Krohn)
    Die Infrastruktur im Osten der Ukraine ist längst zerstört. Strom gibt es kaum noch und Wasser oft nur für ein paar Stunden. Mikhailova erzählt von ihren alten Nachbarn, wie sie mit Kanistern und Eimern losziehen, in der Hoffnung auf ein klein bisschen Wasser.
    "Panik entstand bei uns auch wegen der Lebensmittel. So gut es eben ging, haben wir alle Graupen, Fleisch, Salz und Zucker gehamstert. Jeder hat so viel nach Hause geschleppt, wie er es sich leisten konnte. Aber auch das geht jetzt nicht mehr. Die Bank-Automaten sind außer Betrieb, die Gehälter werden nicht ausgezahlt und die Regale sind leer. Unsere Banken hat man regelrecht ausgeraubt. Bewaffnete Banditen haben alles Geld mitgenommen, für die Revolution, haben sie gesagt."
    Rebellen an den Gesichtern erkennen
    Lana Mikhailova ist eine drahtige, sportliche Frau. Nichts an ihr wirkt wehleidig oder gar so, als würde sie vorschnelle Urteile fällen. Nur bei einer Sache wählt die Ärztin dann doch sehr deutliche Worte. Man müsse sich die selbst ernannten Separatisten doch nur einmal ansehen, meint sie: acht Jahre Schule, dann nur noch perspektivlose Leere. Ja, man könne die Banditen an ihren Gesichtern erkennen.
    "Die russischen Sender berichten das eine, die ukrainischen dann wieder das komplette Gegenteil. Wenn ich mich mit anderen unterhalte, merke ich sofort, wer welchen TV Sender geguckt hat."
    Zu viel Propaganda, zu viele Granaten. Mikhailova konnte nicht mehr. Mag sie auch noch so zupackend wirken, irgendwann war es genug. Die Frau aus Donezk will erst mal in Litauen bleiben. Und wann geht es zurück? Mikhailova schüttelt ihre blonden Haare. Keine Ahnung, meint sie. Nicht bevor dieser Wahnsinn zu Hause wirklich ein Ende hat.