Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ukraine
Folteropfer im Visier der Justiz

Die ukrainische Justiz verschärft ihren Kurs gegen Regierungsgegner. Der offenbar gefolterte Aktivist Bulatow wurde unter Hausarrest gestellt. Sein Fall sorgt weiterhin international für Empörung. Oppositionsführer Jazenjuk rechnet mit einem Einsatz der Armee in Kiew.

01.02.2014
    Ein Mann mit einem Fernglas beobachtet am 31. Januar 2014 von einer Barrikade der Opposition aus eine Straße in Kiew.
    Auch die Opposition in Kiew nimmt ihr Gegenüber ins Visier. (AFP/SERGEI SUPINSKY)
    Sein Bild ging am Freitagabend um die Welt und sorgte international für Empörung: Der nach eigenen Angaben verschleppte und gefolterte Oppositionsaktivist Dmitri Bulatow war in einem Dorf außerhalb Kiews aufgetaucht, nachdem er mehr als eine Woche als vermisst gegolten hatte. Im ukrainischen Fernsehen schilderte er seine Entführung durch Unbekannte. Seine Entführer hätten ihm ein Ohr abgeschnitten, sagte Bulatow. Nach eigenen Angaben wurde Bulatow während seines Martyriums mit verbundenen Augen grausam gefoltert. Dabei seien ihm auch Nägel durch die Hände geschlagen worden.
    Nun habe die ukrainische Justiz gegen Bulatow ein Verfahren wegen der Organisation von Massenunruhen eingeleitet, teilte das Innenministerium in Kiew mit. Ermittler beantragten Hausarrest für den 35-Jährigen. Polizisten bewachten Bulatow in der Klinik - angeblich zu dessen eigener Sicherheit, wie ukrainische Medien am Samstag berichteten.
    Ermittlungen gegen Timoschenko-Partei
    Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatte sich "entsetzt" über die Misshandlungen Bulatows geäußert und bezeichnete das Vorgehen gegen den Regierungsgegner als "inakzeptabel". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte die ukrainische Regierung auf, Bulatow eine medizinische Behandlung in Deutschland zu erlauben. Die USA verlangten Aufklärung der Foltervorwürfe , berichtet ARD-Korrespondent Ralph Sina aus Washington.
    Unterdessen wurde bekannt, dass auch der Geheimdienst SBU egen die Opposition wegen versuchten Staatsstreichs ermittelt. Bei einer Razzia in den Räumen der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko seien entsprechende Beweise gefunden worden, sagte ein SBU-Sprecher in einer Fernsehsendung.
    Jazenjuk warnt vor Militäreinsatz
    Der ukrainische Oppositionsführer Arseni Jazenjuk, in der Vaterlandspartei Stellvertreter von Parteichefin Timoschenko, rechnet mit einem Militäreinsatz gegen die proeuropäischen Proteste. Nach Jazenjuks Ansicht sei es "sehr wahrscheinlich", dass die Behörden zu einem "Szenario der Gewaltanwendung mit dem Einsatz der ukrainischen Armee" greifen werden, erklärte ein Parteisprecher am Samstag. Darüber habe der Oppositionsführer am Freitag auch am Rande der Sicherheitskonferenz in München bei einem Treffen mit Bundesaußenminister Steinmeier, Bundespräsident Joachim Gauck und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton gesprochen.
    Wie sich das Militär im ukrainischen Machtkampf positioniert, bleibt indes unklar. Am Freitag hatten sich erstmals Militärs in den Konflikt zwischen Opposition und Regierung eingeschaltet. Soldaten und Angestellte des Verteidigungsministeriums forderten Präsident Viktor Janukowitsch in einer Erklärung auf, "im Rahmen der aktuellen Gesetze dringende Schritte" zu ergreifen, um die Lage zu stabilisieren. Sie warnten, die Proteste drohten das Land zu spalten. Über den Hintersinn dieser Erklärung werde in der Ukraine jedoch gerätselt, berichtet DLF-Korrespondentin Sabine Adler . Die Ukraine verfügt über eine Wehrpflicht-Armee, ihr Einsatz im Inneren gilt daher als sehr unwahrscheinlich. Der Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, Kyril Savin, sprach im Deutschlandfunk von einer "Ruhe vor dem Sturm". Er erwartet für Sonntag den jüngsten Repressionen der Regierung zum Trotz erneute Massendemonstrationen.
    Kerry: USA und EU stehen auf der Seite des ukrainischen Volkes
    In einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat US-Außenminister Kerry derweil der ukrainischen Opposition Unterstützung zugesagt. Die Mehrheit der Ukrainer strebe nach Freiheit und Sicherheit, so Kerry. Sie wollten mit Partnern zusammenarbeiten, die ihnen helfen könnten, diese Erwartungen zu erfüllen. Kerry betonte, die USA und die EU stünden dem ukrainischen Volk in diesem Kampf zur Seite. Nirgendwo sonst sei das Streben nach einer demokratischen und europäischen Zukunft derzeit wichtiger als in der Ukraine. Dagegen warf der russische Außenminister Lawrow dem Westen vor, in dem Konflikt einseitig Partei zu ergreifen. Er fragte in München, wieso es keine Verurteilung der ukrainischen Demonstranten gebe, die Regierungsgebäude besetzten, Polizisten attackierten oder rassistische, antisemitische Slogans verwendeten. Ein solches Vorgehen werde von der Europäischen Union noch ermutigt, obwohl es in den Mitgliedstaaten sofort geahndet würde. Lawrow forderte die EU auf, enger mit Russland zusammenzuarbeiten.