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Ukraine
"Jetzt geht es darum, Blutvergießen zu verhindern"

Die EU müsse gemeinsam mit der russischen Regierung verhindern, dass die Lage in der Ukraine weiter eskaliere, forderte der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein im Deutschlandfunk. Sanktionen brächten die Menschen im Moment nicht an den Verhandlungstisch.

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Christine Heuer | 20.02.2014
    Porträt des EU-Parlamentariers Knut Fleckenstein
    Der SPD-Europaparlamentarier Knut Fleckenstein (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Christine Heuer: Die Waffenruhe in Kiew hat nur wenige Stunden gehalten. Es gibt wieder schwere Kämpfe zwischen Polizei und Demonstranten in der ukrainischen Hauptstadt und es fließt sehr viel Blut. In Kiew sind im Moment die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen zu Besuch, um zu vermitteln. Mit welchem Ergebnis, das wissen wir noch nicht. In Brüssel ist Knut Fleckenstein am Telefon. Er ist Europaabgeordneter der SPD und Vorsitzender der Delegation für die parlamentarische Kooperation zwischen Russland und der EU. Guten Tag, Herr Fleckenstein.
    Knut Fleckenstein: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Sind Sie - denn darüber wird ja auch jetzt immer gesprochen - für oder gegen Sanktionen?
    Fleckenstein: Das ist eine schwierige Frage. Ich neige dazu, diese Sanktionen jetzt nicht zu verhängen, weil ich glaube, in erster Linie kommt es darauf an, die Beteiligten in der Ukraine an einen Tisch wieder zu bekommen und weiterreden zu lassen, um gemeinsam eine Voraussetzung überhaupt zu schaffen, um Reformen oder die Zukunft zu gestalten in diesem Land. Und ob man das parallel mit Sanktionen hinbekommt, ich persönlich bin skeptisch. Aber was richtig und was falsch ist, weiß man ja immer erst hinterher leider.
    Heuer: Die Versuche, beide Parteien an einen Tisch zu bekommen und dann auch zu einer Lösung zu führen, die dauern ja jetzt schon Monate an. Das hat doch aber alles nicht wirklich gefruchtet, es wird ja immer schlimmer statt besser.
    Fleckenstein: Ich persönlich glaube wirklich, dass das von einer Seite alleine, auch von der EU-Seite alleine nicht bewerkstelligt werden kann. Wir sind Teil des Geschehens dort, Russland ist Teil des Geschehens dort, und ich glaube, dass es eine Chance auf Erfolg nur dann gibt, wenn sowohl die russische Regierung als auch die EU-Kommission und die entsprechenden Außenminister gemeinsam in Kiew versuchen, diese Initiative zu starten.
    "Die Frage ist, ob man nicht Herrn Lawrow braucht"
    Heuer: Der Versuch aber jetzt dieser drei europäischen Außenminister, der führt dann ja zu nichts. Wenn ich Ihnen folge, sind die Partei; ist ja nachvollziehbar.
    Fleckenstein: Ich glaube, dass man nichts unversucht lassen darf, und wenn Herr Steinmeier mit dem polnischen Außenminister, also dem direkten Nachbarn, und dem französischen Außenminister dort heute Morgen in Kiew erscheint, dann hat das sicherlich auch schon Eindruck gemacht dort. Aber die Frage ist, ob man nicht Herrn Lawrow dazu braucht, um gemeinsam das Blutbad wenigstens zu beenden.
    Heuer: Das ist richtig. Aber auch darüber reden wir seit Monaten, dass die Russen mit an einen Tisch müssen, dass es eine Einigung zwischen Russland und der Europäischen Union benötigt. Auch da ist ja nichts passiert.
    Fleckenstein: Ja, das bedauere ich sehr.
    Heuer: Und die EU kann jetzt nur weiter zuschauen, weil diese Versuche bislang ergebnislos geblieben sind?
    Fleckenstein: Nein. Die EU könnte diesen Weg immer noch gehen, wenn die russische Regierung dazu auch bereit ist. Ich will ganz deutlich sagen: Es geht um unterschiedliche Dinge. Jetzt geht es darum, Blutvergießen zu verhindern und nicht weiter diese Situation eskalieren zu lassen. Das kann man und muss man meiner Meinung nach gemeinsam mit der russischen Regierung versuchen, hinzubekommen. Dann geht es darum, wie in Zukunft einzelne Länder sich entscheiden, mit wem sie kooperieren wollen, in welche Freihandelszone sie hinein wollen. Das sind jeweils bilaterale Dinge, die die freien und unabhängigen Länder selbst entscheiden müssen. Da muss man nicht zu dritt sozusagen schachern. Und dann gibt es die Frage generell, wie man in der Gesamtregion, Herrn Putins Gedanken aufnehmend, mit der Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok miteinander umgeht.
    Demonstranten versammeln sich hinter brennenden Barrikaden in Kiew
    Die Waffenruhe in Kiew hielt nicht lange. In Kiew gibt es wieder Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten (afp / Bulent Kilic)
    Heuer: Herr Fleckenstein, dann aber die Frage, um mit dem ersten zu beginnen: Wie können Politiker, die nicht in der Ukraine sind, dazu beitragen, dass das Blutvergießen sofort beendet wird?
    Fleckenstein: Das ist sicherlich eine schwierige Aufgabe. Aber ich glaube, wenn wir gemeinsam mit der russischen Regierung auftreten, steigern wir unsere Gesamtglaubwürdigkeit. Schauen Sie, wenn wir dort auftreten, sagt die Regierung in der Ukraine doch, na ja, die haben sich so festgelegt auf der Seite der Opposition, das kann keine wirkliche Vermittlung sein, und wenn Herr Lawrow und Abgeordnete aus der russischen Staats-Duma das dort machen würden, wäre es sicherlich umgekehrt auch ein schräges Bild. Wenn man es gemeinsam versucht, hätte es vielleicht eine Chance. Aber, Frau Heuer, ich weiß es nicht, ich hoffe es nur.
    Heuer: Was schadet es denn, umgekehrt gedacht, Spitzenfunktionären in der Ukraine den Geldhahn zuzudrehen, oder den Weg zum Shopping nach Paris und London zu verbauen? Welchen Schaden kann das denn anrichten?
    "Sanktionen machen es schwieriger, Menschen an einen Tisch zu bekommen"
    Fleckenstein: Ich glaube, dass das keinen großen zusätzlichen Schaden anrichten kann, aber es bringt die Leute nicht an einen Verhandlungstisch im Moment.
    Heuer: Aber es könnte dazu doch beitragen, dass die ukrainische Regierung sich ernsthaft überlegt, wie sie die Situation jetzt befriedet und dann auch zu einer politischen Lösung beiträgt, an der die Protestierenden beteiligt werden.
    Fleckenstein: Ich kann das nicht ausschließen. Ich glaube nur, dass die Einführung von Sanktionen am Ende die Sache erschweren wird, alle an einen Tisch zu bekommen. Aber ich kann es Ihnen nicht sagen.
    Heuer: Sie klingen etwas ratlos, Herr Fleckenstein.
    Fleckenstein: Ich bin es, wenn ich diese Bilder sehe, und man überprüft sich ja immer selbst, dass man den Mund nicht zu voll nimmt. Es ist schon ziemlich zum Verzweifeln, was man da in Bildern sieht und auch bei Ihnen eben gehört hat. Aber wir müssen wirklich alles versuchen, und der Versuch, gemeinsam mit Russland eine Initiative zu starten, hat bisher meiner Meinung nach nicht stattgefunden.
    Heuer: Herr Fleckenstein, zum Schluss die Frage: Wie schätzen Sie das ein? Ist das ein Bürgerkrieg, den wir gerade erleben in der Ukraine?
    Fleckenstein: Nein, das ist es noch nicht! Gott sei Dank! Und ich hoffe, es wird auch keiner, weil, wie Ihre Korrespondentin ja richtig sagte, dann Bürger auf Bürger losgehen würden. Aber wenn wir nicht aufpassen, ist die Gefahr groß, dass daraus einer wird, und das gilt es in erster Linie zu verhindern, denn von einem Bürgerkrieg haben die Nachbarn der Ukraine nichts und die Menschen in der Ukraine werden furchtbar leiden.
    Heuer: Knut Fleckenstein, Europapolitiker der SPD, Russland- und Osteuropaexperte. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Fleckenstein.
    Fleckenstein: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.