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Ukraine
"Können Waffenabzug nicht bestätigen"

Die Ukraine verschwindet allmählich aus den öffentlichen Debatten in Deutschland. Aber die Lage im Konfliktgebiet ist nach wie vor angespannt, wie der stellvertretende Leiter der Beobachtermission der OSZE, Alexander Hug, im Interview mit dem Deutschlandfunk berichtet. Von einem Abzug von Panzern und anderen Waffen könne nicht die Rede sein.

Alexander Hug im Gespräch mit Doris Simon | 30.07.2015
    Alexander Hug, stellvertretender Leiter der Ukraine-Beobachtermission der OSZE.
    Alexander Hug, stellvertretender Leiter der Ukraine-Beobachtermission der OSZE. (imago/ITAR-TASS)
    Hug forderte die Konfliktparteien zu mehr Kooperation auf. Von der Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen auf beiden Seiden hänge die Umsetzung des Mandats der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ab. Es gebe zwar Waffenbewegungen bei den Rebellen, berichtete Hug. Man könne aber nicht sagen, ob diese Waffen entlang der Frontlinie oder davon weg bewegt würden.
    Als Grund dafür wies Hug auf die Bedingungen vor Ort hin. Man habe nicht überall Zugang zu den Kampfgebieten. Nach wie vor werde geschossen, sodass die OSZE-Beobachter immer wieder unter Feuer gerieten. Erst Anfang der Woche habe es einen Verletzten gegeben.

    Das Interview in voller Länge:

    Doris Simon: Am 17. Juli 2014 stürzte Flug MH17 der Malaysia Airlines über der Ostukraine ab, 298 Passagiere starben damals. Russland und die Ukraine geben sich seither gegenseitig die Schuld, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Nun wollte Malaysia gemeinsam mit den Niederlanden, Belgien, der Ukraine und Australien eine Resolution zur Einrichtung eines UN-Tribunals einbringen. Das Tribunal, das sollte die Umstände des Absturzes aufklären. Doch im Sicherheitsrat stemmte sich in der Nacht die russische Regierung dagegen.
    Das ist ein schwerer Schlag vor allem für die Angehörigen der 298 Toten des Absturzes. Aber nicht nur sie wollen genau wissen, was zum Absturz geführt hat und wer dafür verantwortlich war. Antworten gibt es ja längst, das Problem liegt eher darin, dass manche dieser Antworten ganz klar interessensgeleitet sind. Am Telefon ist jetzt Alexander Hug, der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, guten Morgen!
    Alexander Hug: Guten Morgen!
    Untersuchung von MH17-Absturz nicht Bestandteil des OSZE Mandats
    Simon: Herr Hug, hätte man die OSZE besser einbinden sollen in die Untersuchungen zu MH17? Hätte das unabhängigere, belastbarere Informationen gebracht?
    Hug: Die OSZE-Spezialmission in der Ukraine hat einen klar definierten Auftrag, der wurde der Mission durch die 57 Teilnehmerstaaten der OSZE gegeben und dieser Auftrag beruht auf zwei Hauptsäulen. Einerseits ist es das Berichten von der Sachlage vor Ort und andererseits das Faszilitieren von Dialog, was wir beides vor Ort auf der Absturzstelle unternommen haben. Wir haben berichtet, wie sich die Lage dort entwickelt hat, und wir haben durch unser Dialogmandat den Zugang zur Absturzstelle für diejenigen vermittelt, die dort Arbeiten vornehmen mussten. Die Untersuchungsaufgabe als solche ist nicht Bestandteil unseres Mandats.
    "Kein verifizierter Waffenabzug"
    Simon: Die Kampfhandlungen, Herr Hug, sind in den letzten Tagen zurückgegangen in der Ostukraine, aber es gibt ja keine Ruhe oder gar Frieden. Vor dem letzten Minsker Treffen hatte die russische Seite ja den Rückzug von Einheiten angekündigt. Können Sie diesen Rückzug so bestätigen?
    Hug: Was wir sehen zurzeit, ist die Bewegung auf der Rebellenseite von Panzern und anderen, kleinerkalibrigen Waffen entlang und auch weg von der Kontaktlinie. Aber das ist kein Abzug und auch kein verifizierter Abzug. Um das so verifizieren zu können, benötigten wir ein Abzugsregime. Das heißt, wir bräuchten da die Kooperation von derjenigen Seite, die einen Abzug vornimmt, sodass wir dann sicherstellen können, dass wir nicht nur die Bewegung von Waffen sehen, sondern auch feststellen können, dass Waffen abgezogen werden und auch abgezogen bleiben.
    Simon: Und diese Kooperation von der prorussischen Seite haben Sie bisher nicht?
    Hug: Wir haben Zugang, nicht überall, aber was wir zurzeit bestätigen können, ist, dass sich Waffen bewegen. Ob die sich entlang der Kontaktlinie bewegen oder davon weg und dann auch weg bleiben, das können wir nicht bestätigen.
    "Beide Seiten haben bis heute nicht das Feuer vollständig abgestellt"
    Simon: Wie weit können Sie im Augenblick überhaupt Ihr Mandat erfüllen? Sie sind ja sehr vorsichtig in Aussagen, aber man kann ja sagen, dass Sie regelmäßig behindert werden auf beiden Seiten!
    Hug: Das ist so. Ich muss noch mal klar feststellen, dass die Seiten – das heißt, die ukrainische Armee und die Rebellenstreitkräfte – sich entschieden haben, im Februar nochmals, dass sie das Feuer einstellen werden und die Waffen abziehen werden. Unsere Aufgabe ist es, den Fortschritt in diese Richtung der Seiten zu dokumentieren, darüber zu berichten.
    Wir unternehmen vieles, um diese Aufgabe wahrzunehmen, die Seiten haben jedoch bis heute noch nicht das Feuer vollständig abgestellt oder die Waffen abgezogen. Es ist in der Tat so, dass unsere Arbeit dadurch erschwert wird, dass die Sicherheitslage immer noch sehr undurchsichtig ist, und in den letzten Tagen kamen wieder Patrouillen unserer Beobachtermission unter direktes Feuer und wir hatten auch den ersten Verletzten am Montag in Schirokino.
    Simon: Gehen Ihre Patrouillen weiter, trotz des Beschusses?
    Hug: Wir haben unsere Bewegungen eingeschränkt vor allem in diesen Gebieten, wo wir unter Feuer kamen, unter direktes Feuer kamen, aber in den verbleibenden Gebieten bewegen wir uns so, wie das die Sicherheitslage uns ermöglicht.
    "Unsere Beobachter stehen direkt an der Kontaktlinie"
    Simon: Aber was hat das dann für einen Sinn? Sie sollen beobachten, Sie haben Ihre Mission, aber da, wo es zur Sache geht, da können Sie natürlich aus Sicherheitsgründen, wie Sie gerade schildern, nicht sein. Was hat dann diese Mission für einen Sinn in dieser Situation?
    Hug: Wir sind auch an den Stellen vor Ort, wo gekämpft wird, und die Vorkommnisse vom letzten Sonntag in Schastja, wo wir unter direktes Feuer kamen, sind Zeugen davon, dass wir uns in diesen Gebieten bewegen, wo gekämpft wird. Wenn es zu einem Zwischenfall kommt, müssen wir uns dann aus diesem speziellen Gebiet kurz zurückziehen, um sicherzustellen, dass wir eine Untersuchung durchführen können, dass solche Vorfälle in diesem Gebiet nicht stattfinden.
    Es ist aber falsch zu sagen, dass wir uns ganz zurückziehen. Und nochmals, die Vorkommnisse von dieser Woche und auch viele andere Fälle sind Zeugen davon, dass unsere Beobachter direkt an der Kontaktlinie stehen und dort auch immer wieder unter direktes Feuer kommen.
    Simon: Herr Hug, Sie haben uns ja genau Ihre Vorgaben erläutert. Wünschen Sie sich manchmal, brauchen Sie eigentlich ein stärkeres Mandat?
    Hug: Die OSZE-Spezialbeobachtermission hat ein klar definiertes Mandat. Was sie benötigen ist das Commitment und die Zusage der beiden Seiten, dass die Seiten unternehmen, wozu sie sich verpflichtet haben. Das heißt vor allem das Einstellen des Feuers und das Abziehen der Waffen. Sollte das geschehen und wenn dieser Wille auch direkt umgesetzt wird vor Ort, dann wird auch die Arbeit der Mission ermöglicht.
    "Bereitschaft auf beiden Seiten, die Kampfhandlungen weiterzuführen"
    Simon: Sie haben ja viele russische Mitarbeiter in der OSZE, ukrainische nicht, die gelten als Kriegspartei, die Russen nicht. Klappt da eigentlich in Ihrer Mission die Zusammenarbeit reibungslos?
    Hug: Das stimmt nicht genau so. Wir haben russische Mitarbeiter, das sind etwa fünf Prozent, sogar ein bisschen weniger, fünf Prozent aller Beobachter, und wir haben über 200 ukrainische Mitarbeiter. Das sind keine Beobachter, aber das sind Mitarbeiter.
    Simon: Aber keine Beobachter.
    Hug: Keine Beobachter. Das ist auch der Fall in anderen Missionen der OSZE, in diesen Feldoperationen nimmt der Gaststaat nicht an der Beobachtungsaufgabe selbst teil, das ist nicht nur der Fall in der Ukraine, das ist auch sonst wo der Fall. Unsere Zusammenarbeit mit ukrainischen Behörden funktioniert sehr gut und wir haben da enge Zusammenarbeit mit allen relevanten Ministerien auf ihrer Ebene, auf der ministerialen Ebene in Kiew, aber auch in den entsprechenden Auslägern im Feld und anderen Kontakten selbst.
    Simon: Herr Hug, gehen Sie eigentlich nach dem, was Sie derzeit sehen, davon aus, dass es noch mal den Versuch geben wird, Gebiet zu erobern von der einen oder anderen Seite?
    Hug: Was wir sehen zurzeit, ist eine Bereitschaft auf beiden Seiten, die Kampfhandlungen weiterzuführen, sollte das notwendig werden. Wir sehen große Ansammlungen von militärischem Material entlang der Kontaktlinie, wir sehen sogenannte Trainingslager entlang der Kontaktlinie, darüber haben wir ausführlich berichtet. Das ist besorgniserregend. Wir sehen aber nicht, dass sich die Kontaktlinie bewegt, die ist ziemlich statisch zurzeit. Wir werden aber weiterhin die Beobachtungen anstellen und werden auch früh Warnungen ausrufen, sollten wir sehen, dass sich hier etwas in Richtung einer Verschiebung der Kontaktlinie bewegt.
    Simon: Alexander Hug war das, der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine. Herr Hug, vielen Dank!
    Hug: Besten Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.