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Ukraine-Konflikt
"Die Zeit läuft aus"

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann hat vor einem Scheitern der diplomatischen Initiative von Angela Merkel und Francois Hollande im Ukraine-Konflikt gewarnt. Die deutsche Position gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sei dann möglicherweise nicht mehr zu halten, sagte er im DLF.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Gerd Breker | 06.02.2015
    Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann
    Weder die Russen, noch die Ukraine, noch der Westen dürften als Verlierer vom Platz gehen, sagte der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann im DLF. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    "Die Zeit läuft aus, in der wir unsere diplomatische Position aufrecht erhalten können", sagte Wellmann. "Es wird Waffenlieferungen geben, wenn es nicht konkrete Schritte gibt." Der Frage nach deutschen Waffenlieferungen ließ er unbeantwortet: "Wir haben ja schon Defensivausrüstung geliefert, Schutzwesten und Helme", betonte Wellmann im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Das ist Sache der Fachleute und der Verbündeten." Da mit Russland eine Atommacht die Aufständischen im Osten der Ukraine unterstütze, müsse man sehr vorsichtig sein.

    Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande nun eine neue Friedensinitiative unternommen hätten, hält der CDU-Politiker für ein gutes Zeichen. "Es gibt ja seit geraumer Zeit Signale und Gespräche im Hintergrund", meinte er. "Ich glaube nicht, dass die wichtigsten europäischen Staatsführer nur auf das Prinzip Hoffnung setzen und da hinfahren."

    Er hoffe nun auf konstruktive Schritte, um das Blutvergießen zu stoppen. Dafür müsse man eine Situation erzeugen, in der keiner als Verlierer vom Platz gehe. Möglich seien die bereits vorgeschlagene Freihandelszone zwischen Russland und der Europäischen Union oder Visa-Erleichterungen. "Aber die Bedingung ist, dass das Töten aufhört", sagte Wellmann. Russland müsse aufhören, Krieg zu führen und die Separatisten im Osten der Ukraine mit Munition, Logistik, Treibstoff und Geheimdienstinformationen zu unterstützen. "Würde das gestoppt werden, wäre der Spuk innerhalb einer Woche vorbei."

    Das Interview mit Karl-Georg Wellmann in voller Länge:
    Gerd Breker: Die Aktion ungewöhnlich zu nennen, ist eine vorsichtige Umschreibung. Der Krieg in der Ukraine ist zur Chefsache geworden. Völlig überraschend ist der französische Staatspräsident gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel zu einer Friedensmission nach Kiew geflogen und sie werden am Nachmittag zu Präsident Putin aufbrechen. Der Krieg in Europa, der Krieg in der Ukraine besorgt die beiden. Es geht darum, mindestens einen Waffenstillstand zu erreichen. Die Vereinbarungen von Minsk können dabei allerdings nur als Grundlage dienen.
    Gestern hatte Präsident Putin schon mitteilen lassen, er sei zu ernsthaften Verhandlungen bereit. Dennoch birgt die Reise der beiden Friedensstifter Merkel und Hollande Risiken, denn anders als üblich ist sie wenig vorbereitet. Sie muss erst noch ausgearbeitet werden. Vor einer guten halben Stunde hat sich die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, zu ihrer Mission geäußert:
    Angela Merkel: "Wir sind davon überzeugt, dass es keine militärische Lösung dieses Konfliktes geben wird. Wir wissen aber auch, dass es völlig offen ist, ob es uns gelingt, eine Waffenruhe zu erreichen durch diese Gespräche. Wir können nur das tun, was in unserer Kraft steht - die Dinge sind im Fluss – und versuchen, alles was wir einbringen können für eine Lösung dieses Konflikts, insbesondere für eine Beendigung des Blutvergießens, einzusetzen."
    Breker: Am Telefon sind wir verbunden mit Karl-Georg Wellmann, CDU-Bundestagsabgeordneter. Er ist im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe. Guten Tag, Herr Wellmann.
    Karl-Georg Wellmann: Ich grüße Sie.
    Breker: Ein hohes Risiko, was die beiden da eingehen.
    "Wir müssen zu einer vernünftigen Lösung mit den Russen kommen"
    Wellmann: Na ja. Es gibt ja seit geraumer Zeit auch Signale, es gibt viele Gespräche im Hintergrund, wie man diese Krise bewältigen kann. Ich glaube nicht, dass die beiden wichtigsten europäischen Staatsführer, Frau Merkel und Herr Hollande, nur auf das Prinzip Hoffnung setzen und da hinfahren. Ich glaube schon, es gibt gewisse Hoffnungen, dass man konstruktiv einen Schritt weiterkommt, um das Töten und Blutvergießen zu beenden.
    Breker: Aber es ist sozusagen der letzte Versuch? Danach eigentlich nur mehr Krieg, mehr Gewalt.
    Wellmann: Ja die Diplomatie darf nie aufhören. Irgendwann muss man ja miteinander reden. Dieser Krieg ist ja für Russland auch sehr nachteilig. Russland ist weltweit isoliert, die Wirtschaft leidet stark und das Ansehen Russlands in der Welt hat sehr stark gelitten. Deshalb muss man das versuchen. Aber ich sage auch ganz klar: Die Zeit läuft aus.
    Wir haben uns aus guten Gründen bisher gegen Waffenlieferungen an die ukrainische Armee eingesetzt oder ausgesprochen. Ich weiß nicht, wie lange wir das noch durchhalten, diese Position. Deshalb sage ich, wir müssen zu einer vernünftigen Lösung mit den Russen kommen. Sonst können wir unsere Position dauerhaft nicht halten.
    Breker: Was können Angela Merkel und Hollande anbieten? Denn das Völkerrecht ist ja nicht biegbar.
    Wellmann: Es gibt ja seit geraumer Zeit darüber Gespräche und es gibt auch Konzepte, die hin und her ausgetauscht werden. Man muss eine Situation erzeugen, wo keine der drei Parteien, weder die Russen, noch die Ukrainer, noch der Westen, als Verlierer vom Platz gehen. Und da gibt es viele Ideen, Sie haben ja schon eine genannt, das ist die Freihandelszone, die auch Russland einbezieht, von der Russland erhebliche ökonomische Vorteile hätte, wir übrigens auch. Wir machen das ja nicht aus Spaß.
    Es ist daran zu denken, das Visa-Regime aufzuheben oder mindestens zu erleichtern, auch im Interesse Russlands. Es ist daran zu denken, Regelungen zu finden über den strategischen Energietransport, der ja über die Ukraine läuft, und verschiedenes anderes mehr. Aber Bedingung ist natürlich, dass das Töten aufhört, dass die Russen aufhören, Krieg zu führen und die Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen.
    "Ukraine-Mitgliedschaft in EU darf nicht zur Diskussion stehen"
    Breker: Und im Ergebnis, Herr Wellmann, darf sich Aggression lohnen?
    Wellmann: Nein, natürlich nicht. Gucken Sie in das furchtbare 20. Jahrhundert und dann sehen Sie, womit das endet. Wenn wir anfangen, Gebiete, die einmal zu einem bestimmten Land gehört haben mögen, wieder mit Gewalt zu verschieben, angefangen von deutschen Ostgebieten über das Osmanische Reich bis zum 30-jährigen Krieg, dann öffnen wir die Büchse der Pandora und das ist nicht das Ziel.
    Unser Konzept nach diesem schrecklichen Zweiten Weltkrieg war das einige Europa, dass Grenzen überflüssig werden, dass es egal ist, ob Straßburg französisch oder deutsch ist, oder Stettin polnisch oder deutsch. Dieses ist keine Kategorie mehr und dazu müssen wir in ganz Europa kommen.
    Breker: Stellt sich aber auch, Herr Wellmann, die Frage, was eigentlich mit der Souveränität der Ukraine ist. Was ist denn mit solchen Forderungen, wie man sie hören kann, sie solle nicht in die Europäische Union und sie solle auch nicht in die NATO? Ist das akzeptabel?
    Wellmann: Nein. Die Ukraine entscheidet selbst, welcher staatlichen Organisation sie angehört. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union darf nicht zur Diskussion stehen. Übrigens war Russland früher auch immer auf dieser Position und hat gesagt, EU ja, aber NATO nein. Und Sie erinnern sich: 2008 waren es die Norweger und die Deutschen, die verhindert haben, dass Georgien und die Ukraine in die NATO kamen. Das war damals schon klug gedacht. Darüber kann man reden, wenn die Sicherheit der Ukraine auf andere Weise sichergestellt werden kann.
    Aber über die Orientierung, die europäische Orientierung der Ukraine, dort wird man nicht reden können. Aber wir müssen natürlich reden über die Kompatibilität zwischen EU und Putins Zollunion und der Eurasischen Wirtschaftsunion. Darüber muss man reden, das ist versäumt worden in der Vergangenheit.
    Breker: Wenn diese Mission scheitern sollte, Herr Wellmann, kann man dann die Amerikaner noch davon abbringen, den Ukrainern Waffen zu liefern?
    Wellmann: Ich fürchte nicht. Ich habe ja vorhin gesagt, die Zeit läuft aus, in der wir unsere diplomatische Position aufrecht erhalten können. Wir haben aus vielen guten Gründen gesagt, es gibt keine militärische Option und Waffen können wir nicht liefern. Aber diese Position wird auf Dauer nicht zu halten sein. Das heißt, es wird Waffenlieferungen an die ukrainische Armee geben, wenn es nicht nur Reden, sondern konkrete Schritte gibt, mit denen die Russen gemeinsam mit uns nachweisen, dass Frieden möglich ist.
    "Es ist Russland, was Krieg in der Ostukraine führt"
    Breker: Die militärische Überlegenheit der Separatisten, Herr Wellmann, die ist, glaube ich, inzwischen unbestritten. Muss man nicht ohnehin etwas dagegen tun?
    Wellmann: Na ja. Die Separatisten sind ja deshalb so stark, weil die Russen sie unterstützen: mit massiven Waffen- und Munitionslieferungen, mit Treibstoff, mit Logistik, mit Geheimdienstinformationen. Es rollen ja ständig Transporte, Truppentransporte in die Ukraine aus Russland. Es ist Russland, was Krieg in der Ostukraine führt. Würde das gestoppt werden, der Zufluss, wäre der Spuk innerhalb von einer Woche vorbei.
    Ein Blick auf die Landkarte zeigt, woher der Nachschub der Separatisten nur kommen kann. Und weil es Russland ist und weil Russland Nuklearmacht ist, müssen wir sehr vorsichtig sein, und es hat keinen Zweck, aus patriotischer Begeisterung oder aus dem berechtigten Bauchgefühl heraus zu sagen, wir führen da mal eben Krieg und schicken NATO-Truppen hin. Deshalb ist die Situation so kompliziert und so brenzlig.
    Breker: NATO-Truppen können wir nicht schicken, aber eben halt Waffen. Auch deutsche Waffen?
    Wellmann: Das weiß ich nicht. Wir haben ja schon Defensivausrüstung geliefert: Schutzwesten, Helme und so etwas. Das ist Sache der Fachleute dann und am Ende der Verbündeten. Ich glaube, ich sehe eher, dass die Amerikaner liefern. Selbst die Weißrussen, die ja nicht zur NATO gehören, haben schon Ausrüstungsgegenstände, nämlich Lastwagen an die ukrainische Armee geliefert. Also es sind nicht allein die Amerikaner, die auf diesem Standpunkt stehen.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das Karl-Georg Wellmann, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Herr Wellmann, ich danke für dieses Gespräch.
    Wellmann: Danke Ihnen! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.