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Ukraine-Konflikt
"Minsk II ist wahrscheinlich gescheitert"

Es sehe sehr danach aus, als ob das neue Abkommen von Minsk gescheitert sei, sagte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff im DLF. Die Gefechte um Debalzewe seien ein klarer Bruch der Waffenruhe. Die EU müsse herausfinden, ob es noch den Willen zu einer friedlichen Lösung gebe. Sonst müssten neue Sanktionen geprüft werden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.02.2015
    Alexander Graf Lambsdorff (Stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments, FDP) in der ARD-Talkshow GÜNTHER JAUCH
    Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europa Parlament (imago/Müller-Stauffenberg)
    Lambsdorff sagte, die schärfste mögliche Strafmaßnahme sei eine Abkopplung Russlands vom Swift-Abkommen und damit vom internationalen Zahlungsverkehr. Das sei derzeit aber unwahrscheinlich. "Ein Schritt darunter wäre ein Öl-Embargo, weil die Einnahmen aus Öl-Exporten ungefähr 45 Prozent des russischen Staatshaushaltes sind."
    Der FDP-Europapolitiker sagte weiter, er halte Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine für "keine gute Idee." Die jüngsten Aussagen von US-Vizepräsident Joe Biden ließen aber darauf schließen, dass die USA zu diesem Schritt greifen könnten. Biden hatte angekündigt, dass Russland den Bruch der Waffenruhe mit einem höheren Preis bezahlen werde.
    Kritik an Griechenland
    Zudem kritisierte er die griechische Regierung für ihr Verhalten im Schuldenstreit. Die derzeitigen Ankündigen, wonach Athen doch noch einen Antrag auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms stellen wolle, bewegten sich "auf der Ebene von Gerüchten". Das Ganze sei derzeit noch sehr nebulös. Lambsdorff betonte, die griechische Regierung strapaziere mit ihrem Verhalten die Nerven, die Geduld und den guten Willen all ihrer Partner.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Bundesfinanzminister Schäuble hat hier im Deutschlandfunk Anfang der Woche noch einmal darauf hingewiesen, aus gegebenem Anlass: 2015 ist kein Schaltjahr. Schlussfolgerung: Der Februar hat 28 Tage. Weitere Schlussfolgerung für den Rettungsschirm für Griechenland - jetzt zitiere ich wieder den Finanzminister, von gestern allerdings: am 28., 24 Uhr, is over. Dann läuft das bisherige Hilfsprogramm für Griechenland aus. Die Euroländer wollen das Hilfsprogramm verlängern, Griechenland hätte auch gerne weitere Unterstützung, aber über die Konditionen herrscht Streit, zugespitzt und verhärtet jetzt über Tage und Wochen. Wir wollen darüber sprechen mit dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, mit dem FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Wie schätzen Sie die Ankündigungen der griechischen Regierung ein?
    Graf Lambsdorff: Diese Ankündigungen bewegen sich zurzeit auf der Ebene von Gerüchten. Die griechische Regierung hat in einem Hintergrundgespräch erklärt, sie könnte sich vorstellen, heute eine Verlängerung des Kreditprogramms zu beantragen. Aber gleichzeitig hat sie deutlich gemacht, dass, wenn sie das täte, sie parallel nicht die Verlängerung der Sparauflagen mitbeantragen würde, sondern stattdessen ein Moratorium verlangt für Gesetzgebung, die unter Umständen schwierig sein könnte für die Kreditgeber. Das Ganze ist so nebulös im Moment noch, dass es sehr schwer ist zu sagen, ob das Ganze wirklich substanziell ist und belastbar, zumal Premierminister Tsipras parallel dazu gestern angekündigt hat, eine ganze Reihe von Gesetzesentwürfen im griechischen Parlament einzubringen, die zum Teil jedenfalls definitiv den Auflagen des Sparprogramms widersprechen.
    "Syriza macht die gleichen Versprechungen wie Vorgängerregierungen"
    Schulz: Welchen Reim machen Sie sich auf diesen Gesprächsdeal? Man saß gestern ja den ganzen Tag in Brüssel zusammen und jetzt gibt es diese Informationen, gestreut an die griechische Presse. Was sind das für Gespräche?
    Graf Lambsdorff: Diese griechische Regierung - das muss man so deutlich sagen - strapaziert die Nerven, strapaziert die Geduld und strapaziert auch den guten Willen all ihrer Partner in einer Art und Weise, wie das in dieser Form in Brüssel im sogenannten Ecofin, also im Rat für Wirtschafts- und Finanzfragen, noch nie der Fall war. Und das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Finanzminister gestern in Brüssel war in der Tat bei dieser Ratsformation, dort nichts Vernünftiges erklären konnte - auch sein Ruf als großer Ökonom hat dort sichtbar gelitten, wie man von Teilnehmern hört -, aber gleichzeitig in Athen in Hintergrundgesprächen Dinge gestreut werden, die im Grunde in Brüssel auf den Tisch, und zwar in belastbarer Form auf den Tisch gehört hätten. Also mit anderen Worten: Alle anderen Partner sind inzwischen wirklich mit den Nerven sehr angespannt und warten jetzt auf einen substanziellen belastbaren Vorschlag.
    Schulz: Aber gleichzeitig ist es doch so, dass es Syriza offensichtlich auch um das Eingeständnis zu gehen scheint, dass der Sparkurs, so wie er Athen aufgedrängt wurde in den letzten Jahren, dass der eine Sackgasse war. Warum tut sich die Eurogruppe so schwer mit diesem Eingeständnis?
    Graf Lambsdorff: Na ja, das Problem ist ja, dass das Ganze, was Syriza da vertritt, vorne und hinten nicht richtig zusammenpasst. Syriza kommt sehr neu, frisch, modern, linksextrem, wenn man so will, auch rüber, aber ist ja gewählt worden wegen Versprechungen. Genau die gleichen Versprechungen haben die Vorgängerregierungen auch immer gemacht, also die Sozialdemokraten und die Christdemokraten, Pasok und Nea Dimokratia, einen riesigen öffentlichen Dienst zu erhalten, ineffiziente Staatsbetriebe auf Dauer zu beatmen, keine Privatisierungen durchzuführen. All diese Versprechungen haben ja Griechenland in diese Krise hineingeführt. Das Sparprogramm ist der Versuch, der Krise Herr zu werden. Das Sparprogramm ist ja nicht die Ursache der Krise, sondern der Versuch, diese Krise zu bewältigen. Insofern passt das vorne und hinten nicht zusammen, was Syriza hier erklärt, und das sehen wirklich alle Partner so, unabhängig davon, wer jeweils die Regierung stellt.
    "Syriza macht genau das Gegenteil dessen, was erforderlich ist"
    Schulz: Aber die Arbeitslosigkeit und auch die Wirtschaftsleistung, die sind doch erst mal - also Arbeitslosigkeit sprunghaft gestiegen - Wirtschaftsleistung in den Keller gegangen. Kann man das als Erfolg bezeichnen?
    Graf Lambsdorff: Na ja, natürlich kann man das zunächst einmal nicht als Erfolg bezeichnen, wenn das Wachstum einbricht. Aber das Wachstum, dass das eingebrochen ist, hat natürlich auch damit zu tun, dass zunächst im öffentlichen Dienst Entlassungen vorgenommen worden sind, dass dort keine Neueinstellungen vorgenommen worden sind, wie das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer der Fall war. Hier findet gerade etwas statt; das ist eine Strukturanpassung, die ist sehr schmerzhaft. Und da verschließen wir auch die Augen nicht davor, dass das gewisse Härten mit sich bringt. Nur wenn Sie sich in die Sitzung hineinbegeben mal geistig und sich vorstellen, was sagt denn der portugiesische Finanzminister, was sagt der irische Finanzminister oder der spanische, dort hat man solche Programme gemacht, dort hat man diese Anpassungsprogramme durchgezogen, umgesetzt, das war auch sehr schmerzhaft, und dort wächst die Wirtschaft wieder und das ist letztlich die einzige Art und Weise, wie sie nach vorne kommen, nämlich durch Wachstumsimpulse, durch einen selbsttragenden Aufschwung. Aber das, was Syriza vorschlägt an wirtschaftspolitischen Maßnahmen - und da kommt ja die Skepsis der anderen auch her -, ist das exakte Gegenteil. Das ist Umverteilungspolitik, das ist eine Stärkung des Staatssektors, das ist genau das Gegenteil dessen, was erforderlich ist.
    Schulz: Sagt der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, hier bei uns im Deutschlandfunk. - Wir wollen und müssen auch noch auf die Entwicklung in der Ukraine schauen. Auch an Sie die Frage: Ist Minsk II gescheitert?
    Graf Lambsdorff: Es sieht sehr danach aus. Wenn tatsächlich die kriegerischen Auseinandersetzungen in Debalzewo so verlaufen, wie wir das hören und auch sehen, dann ist das Abkommen von Minsk wahrscheinlich nicht mehr das Papier wert, auf dem es steht. Es ist dann ein ganz sichtbarer klarer Bruch einer Waffenruhe. Die Russen hatten von vornherein erklärt, dass sie diese Stadt nicht als Teil dieser Waffenruhe betrachten, aber das geht ja nicht, sondern die Waffenruhe sollte für das gesamte Gebiet gelten. Das was dort zurzeit passiert ist in der Tat eine Mischung aus russischer Aggression und dem selbstständigen Handeln von separatistischen Verbänden. Ich kann verstehen, wenn die Ukrainer, aber leider jetzt auch die Amerikaner zunehmend angespannt werden und neue Maßnahmen erwägen.
    Sanktionen gegen Russland: SWIFT-Ausschluss oder Öl-Embargo?
    Schulz: Die Ukrainer wollen das Kämpfen ja auch nicht einstellen. - Was hat Europa denn jetzt noch im Köcher?
    Graf Lambsdorff: Nun, ich glaube, man wird sich zusammensetzen müssen und fragen, ob es tatsächlich den politischen Willen gibt in Moskau und bei den Separatisten, hier zu einer Befriedung der Situation zu kommen, zu einem Ende der kriegerischen Handlungen. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist die Frage, ob es möglich ist, neue Sanktionen einzuführen. Es wird dann davon geredet, ob man Russland vom internationalen Zahlungsverkehr abkoppelt. Das wäre das SWIFT-Abkommen, die Aufkündigung der russischen Teilnahme am SWIFT-Abkommen, so wie man das mit dem Iran gemacht hat. Das gilt allerdings allseits als eine so scharfe Sanktion, dass man davor zurückschreckt. Ein Schritt darunter wäre ein Öl-Embargo, weil die Einnahmen auf Ölexporte ungefähr 45 Prozent des russischen Staatshaushaltes sind. Auch das ist eine Diskussion, die jetzt beginnen wird. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Waffenlieferungen keine gute Idee sind, aber wenn ich höre, dass der Vizepräsident Joe Biden der USA, der in München noch deutlich gesagt hatte, dass er hier die Option sich zwar offenhält, aber Waffenlieferungen nicht unmittelbar in Aussicht nimmt, jetzt in einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko deutlich davon redet, Russland werde einen höheren Preis bezahlen müssen, dann fürchte ich fast, dass die Amerikaner unter Umständen zu diesem Schritt greifen werden.
    Schulz: Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des Europäischen Parlaments und hier bei uns im Deutschlandfunk im Interview heute Morgen. Danke Ihnen.
    Graf Lambsdorff: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.