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Ukraine-Konflikt
"Minsker Abkommen bleibt die einzige Gesprächsgrundlage"

Die Friedensvereinbarung von Minsk sei vielleicht zu ambitiös gewesen, sagte der Historiker Andreas Umland im DLF. Nach seiner Einschätzung ist vor allem Moskau für das Scheitern des Abkommens verantwortlich. Der Kreml habe kein Interesse, zu einer Beruhigung der Lage beizutragen. Eine Alternative zum Minsk-Abkommen sei aber nicht in Sicht.

Andreas Umland im Gespräch mit Peter Kapern | 05.06.2015
    In der Region um Donezk gab es heftige Gefechte, auch mit schweren Waffen.
    In der Ostukraine gibt es wieder heftige Gefechte. (AFP PHOTO/ALEKSEY FILIPPOV)
    Peter Kapern: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird sich mit der Lage in der Ukraine beschäftigen. Das Gremium wird, davon darf man ausgehen, dazu aufrufen, das Abkommen von Minsk zu retten und endlich in vollem Umfang umzusetzen. Aber ist diese Vereinbarung nicht längst in den jüngsten Gefechten geradezu zerschossen worden? Das habe ich kurz vor der Sendung den Historiker und Ukraine-Kenner Andreas Umland gefragt, der an der Universität in Kiew unterrichtet.
    Andreas Umland: Nun, den Eindruck hatte man vorher schon, dass diese Umsetzung des Abkommens schwierig sein würde. Es ist vielleicht auch in gewisser Hinsicht zu ambitiös gewesen, obwohl natürlich es doch viele Ukrainer gibt, die selbst mit diesem Abkommen unzufrieden waren, und nun sieht es tatsächlich so aus, dass zumindest eine Befriedung erst mal noch nicht erreicht werden kann. Trotzdem bleibt dieses Minsker Abkommen zurzeit die einzige Gesprächsgrundlage. Man müsste im Grunde ein neues Abkommen schließen, aber auch das würde wahrscheinlich sehr schwierig sein.
    Kapern: Dieses Minsker Abkommen muss gewissermaßen gerettet werden, obwohl es gescheitert ist. Woran ist es gescheitert?
    Umland: Ja. Ich denke, letztlich ist der Grund dafür zwar nicht ausschließlich, aber doch hauptsächlich in Moskau zu suchen. Dort werden die entscheidenden Beschlüsse getroffen, diese Separatisten in der Ostukraine werden von dort versorgt, gesteuert, ausgerüstet, unterstützt, und wahrscheinlich liegt es daran, dass Moskau kein Interesse daran hat, hier zu einer Beruhigung beizutragen.
    "Jetzt beobachten wir gerade wieder eine Eskalierung"
    Kapern: Haben Sie denn auch eine Erklärung dafür, warum die relative Ruhe, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten gesehen haben, ausgerechnet jetzt zu Ende gegangen ist?
    Umland: Es hat ja immer Wellen gegeben, wo man manchmal gedacht hat, dass es eskalieren würde und dass es in einen großen Krieg ausbrechen könnte, und dann wieder andere Wellen, wo man dachte, jetzt würde es sich nun endgültig beruhigen und wir würden bald wieder tatsächlichen Frieden haben. Im Grunde bricht dieses Muster nicht aus der vorherigen Geschichte im Jahr 2014 aus. Jetzt beobachten wir gerade wieder eine Eskalierung und alle fragen sich natürlich, wie weit das gehen wird. Das kann mit politischen Fragen zu tun haben, dass nun ausgerechnet diese Eskalierung es wieder gibt. Es kann aber auch einfach mit technischen Fragen zu tun haben, dass es quasi erst eine Umgruppierung geben musste, bevor es dann wieder eine militärische Umgruppierung geben musste, bevor es dann wieder zu einer Eskalation kommt.
    Kapern: Petro Poroschenko, der Präsident der Ukraine, hat heute in seiner Rede zur Lage der Nation vor diesem großen Krieg, den Sie eben ansprachen, vor einer massiven russischen Invasion gewarnt. Ist das tatsächlich mehr als der Versuch, die Ukraine in Alarmstimmung zu halten?
    Umland: Es ist sehr schwer, das Moskauer Verhalten zu interpretieren und eindeutige Voraussagen zu treffen. Ich denke, sicherlich das Hauptziel Moskaus ist, die Ukraine in diesem Schwebezustand zu halten und auch das Geschäftsklima, das Investitionsklima zu unterwandern. Aber es gibt auch Falken in Moskau, die möchten einen Korridor aus dem Donbass bis zur Krim schlagen, um das logistische, dieses infrastrukturelle Problem, was jetzt die Krim hat, auf diese Art und Weise zu lösen. Welche Fraktion da nun im Kreml gerade die Oberhand gewinnt, ist sehr schwer zu sagen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es einen wirklich großen Krieg gibt, denn das wäre politisch und wirtschaftlich sehr teuer für Putin.
    "Die Gesellschaft ist sehr ungeduldig"
    Kapern: Gleichzeitig hat Petro Poroschenko heute vor dem Parlament einräumen müssen, dass die Wirtschaftsreformen und der Kampf gegen die Korruption nicht vorankommen. Wie wird das in der Ukraine aufgenommen?
    Umland: Das wird sicherlich sehr kritisch aufgenommen und ich bin aus diesem Grund, weil es diesen Druck aus der Zivilgesellschaft gibt, weil es auch viel Druck im Parlament gibt, von den internationalen Partnern der Ukraine gibt, alles in allem trotzdem relativ optimistisch, dass sich über die kommenden Jahre hinweg dann letztlich doch ein einigermaßen funktionsfähiges und weniger korruptes Staatssystem in der Ukraine herausbildet, weil jetzt die Gesellschaft sehr ungeduldig ist. Der Krieg hat insofern vielleicht auch eine der ganz wenigen positiven Wirkungen, dass jetzt die Menschen sehr ungeduldig geworden sind und nicht mehr warten wollen und nicht mehr auf Reformen verzichten wollen.
    Kapern: Ist es dieser Ungeduld geschuldet, dass Petro Poroschenko seinen Ukrainern heute in Aussicht gestellt hat, das Land könne bis zum Jahr 2020 ein EU-Beitrittskandidat sein?
    Umland: Nun, das ist eine Diskussion, die in der Ukraine schon sich über zwei Jahrzehnte hinzieht, und alle Regierungen, alle Parlamente der Ukraine haben immer dieses Ziel vor Augen gehabt. Poroschenko spricht viel darüber, weil es eines noch jener Themen ist, mit denen er noch Kapital schlagen kann. Aber so eine eindeutige Voraussage zu treffen, ist natürlich schwierig, zumal es keine Mitgliedschaftsperspektive vonseiten der Europäischen Union, zumindest keine offizielle bisher gibt. Das Ziel ist sicherlich gut und wenn sich die Ukraine in diese Richtung bewegt, dann kann man das nur begrüßen.
    Kapern: Sagt der Historiker Andreas Umland, der an der Universität in Kiew unterrichtet. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.