Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Ukraine-Konflikt
"Natürlich streiten wir. Schließlich geht es um Krieg"

Der Konflikt in der Ukraine ist mehr als 2.000 Kilometer weit weg. Aber er betrifft auch Menschen, die in Deutschland leben. Besonders in der russischsprachigen Community wird häufig darüber gestritten, wer Recht hat. Das wird zur Zerreißprobe für Freundeskreise und Familien.

Von Wlada Kolosowa | 21.11.2014
    Eine Frau in Donezk in den Trümmern ihres Hauses, das bei Kämpfen zerstört wurde.
    In Donezk wurde bei Kämpfen ein Haus zerstört: Der Krieg führt auch zu Konflikten in Deutschland. (AFP / Alexander Khudoteply)
    "Die Jungs in unserer Straße, sie spielen wieder Krieg, bespritzen sich mit Wasser, wer trocken bleibt, der siegt. Wer trocken bleibt, der siegt..."
    Noch vor einem Jahr war es undenkbar für Viktor Hoffmann, solche Lieder zu schreiben. Mit vierzehn zog er aus dem russischen Syrtykwar nach Deutschland. Sein Markenzeichen sind humorvolle Lieder, über Buchstabensuppe etwa, oder verlorene Schlüsselbunde. Offene politische Botschaften waren nie sein Ding. Seit Maidan ist es anders:
    "Als ich das Video mit den Snipern gesehen hab - diese, diese Erschießungen der Demonstranten - da hatte ich drei Lieder an einem Tag geschrieben sogar. Eins hieß Sniper, eins heißt die Helden - das ist ein Kinderlied, aber auch über Krieg - und eins heißt der Waffenexporteur."
    Widersprüchliche Bilder im Netz
    Hoffmann erzählt, dass der Krieg ihn deshalb besonders aufwühlt, weil er den Bildern aus der Ukraine nicht entkommen kann. Oft sind sie widersprüchlich: Die Fotos in sozialen Netzwerken bieten zwei Versionen des Konflikts - abhängig davon, ob seine prorussischen oder seine proukrainischen Freunde sie posten. Hoffman weiß von Liebesbeziehungen und Freundschaften, die an dem Meinungskonflikt zerbrochen sind. Bei Familienfeiern, bei denen mehrere Generationen zusammen kommen, wird jetzt oft über die Ukraine geschwiegen.
    "Wenn man bedenkt, dass die Eltern in der Sowjetunion sozialisiert worden sind und die Kinder aber eine ganz andere Sicht auf die Welt bekommen, weil sie hier aufwachsen, da kann es schon auch gewisse Streitpunkte geben. Zum Beispiel die Älteren, sie schauen russische Nachrichten, die sich von den deutschen Nachrichten stark unterscheiden."
    Für Genia Markova sind Gedichte ein Mittel, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Bis sie 16 war, lebte sie in Kiew. In Deutschland unterrichtet Markova Sprachen. Nebenbei organisiert sie Poetry Slams, und außerdem gestaltet sie das Ruberoid mit - ein Berliner Festival für Künstler mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Auf dem Programm stehen Theater, Musik, Lesungen. Das erste Ruberoid fand noch im Russischen Haus statt, einer Kultureinrichtung des russischen Staates in Berlin. Das zweite Ruberoid sagte das Russische Haus ab, wenige Monate nach der Krimkrise. Man wolle keine Plattform für politische Parolen bieten, hieß es.
    Für das Ruberoid, das nun Anfang November stattfand, mussten die Künstler einen anderen Ort suchen. Mit politischen Aussagen hielten sich viele aber auch hier zurück - vielleicht auch deshalb, weil bei 1.000 Gästen unterschiedliche Ansichten aufeinander treffen. Wie schnell Meinungskämpfe aus dem Ruder laufen können, sieht Markova in Diskussionen auf Facebook: "Da postet natürlich einer was, und dann plötzlich kommen Kommentare, die dann so ausufern. Die virtuellen Freundschaften haben sich dann aufgelöst und als Folge, auch richtige Freundschaften waren dann zu Ende."
    Die Emotionen kochen hoch
    Und oft kochen die Emotionen nicht nur im Netz hoch, sondern auch in den eigenen vier Wänden. Zum Beispiel bei russisch-ukrainischen Ehepaaren. Der russische Maler Dmitri Wrubel arbeitet und lebt seit 19 Jahren mit der ukrainischen Künstlerin Victoria Timofeeva zusammen, seit vier Jahren in Berlin. Wrubel wurde in Deutschland durch den Bruderkuss bekannt - das wohl berühmteste Bild der Eastside-Gallery, auf dem sich Honecker und Breschnew küssen. In ihrer letzten Bilderserie mischt das Künstlerpaar Internet-Memes wie Lolcats mit Kriegssymbolik. Wem die Waffen in den Bildern gehören, will Wrubel aber nicht spezifizieren:
    "Hier sieht man zwei wunderschöne Katzen, die eine Art Selfie von sich machen. Hinter ihnen sieht man verschwommen einen Mann, der eine Kalaschnikow trägt. Wer er ist - ein Kämpfer der Nationalgarde, ein Kämpfer der Republik Donezk, oder ein russischer Soldat - das erschließt sich nicht. Aber es passiert etwas im Hintergrund unseres Alltaglebens."
    Wrubel ist gegen den Krieg, er will bei dem Ukrainekonflikt keine Partei ergreifen. Seine ukrainische Frau steht aber hinter der Bewegung, die vor genau einem Jahr auf dem Maidan anfing. So schwappt der Konflikt aus der Ukraine auf den heimischen Küchentisch.
    "Natürlich streiten wir uns. Schließlich geht es um Krieg! Sein Echo erreicht unsere Familie. Wir sind verschiedener Meinung. Aber im Gegensatz zu dem realen Krieg prügeln wir uns nicht. Wir schreien einander auch mal an, aber dann ist es auch wieder gut."