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Ukraine-Konflikt
"Putin ist in Wirklichkeit völlig isoliert"

Bei den Russen sei Wladimir Putin so beliebt wie nie zuvor, sagte Knut Fleckenstein (SPD), stellvertretendes Mitglied der EU-Russland-Delegation im Europaparlament, im Deutschlandfunk. Doch für seine Politik zahle er international einen hohen Preis. Der Westen müsse ihm mit weiteren Wirtschaftssanktionen drohen.

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.08.2014
    Porträt des EU-Parlamentariers Knut Fleckenstein
    Der SPD-Europaparlamentarier Knut Fleckenstein (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Es müsse sowohl Sanktionen als auch weitere Gespräche mit Russland geben, sagte Knut Fleckenstein (SPD), stellvertretendes Mitglied der EU-Russland-Delegation im Europaparlament, im Deutschlandfunk. Die russische Regierung müsse wissen, dass der Westen zwar weit von einem militärischen Engagement entfernt sei, aber in Erwägung ziehe, breitere Teile der russischen Wirtschaft von den westlichen Finanzmärkten abzuhängen, sagte Fleckenstein.
    Der Europaparlamentarier zeigte Verständnis für Ängste der baltischen Staaten, Polens und Tschechiens vor einem russischen Übergriff. Neue Nato-Basen in Osteuropa seien jedoch nicht nötig. "Ich sehe gar keine Gefahr für irgendein Nato-Land, dass Russland einen Übergriff in irgendeiner Form in Planung hat", so Fleckenstein. Genauso wenig angezeigt sei ein Nato-Beitritt der Ukraine - auch unter Rücksichtnahme auf Russland.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Eine Dringlichkeitssitzung der OSZE und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – die Ukraine-Krise ist wieder an die Spitze der internationalen Diplomatie gerutscht. Die Außenminister der Europäischen Union beraten heute dazu in Mailand und der EU-Gipfel morgen in Brüssel wird sich damit beschäftigen. Es wird bereits über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland diskutiert. Unterdessen hat der russische Präsident Wladimir Putin sich in der Nacht zu Wort gemeldet. Am Telefon mitgehört hat Knut Fleckenstein. Er sitzt für die SPD im Europaparlament und er ist dort stellvertretendes Mitglied der EU-Russland-Delegation. Guten Tag.
    Knut Fleckenstein: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Fleckenstein, Putin ruft die Separatisten dazu auf, einen Korridor für die eingeschlossenen ukrainischen Soldaten freizugeben, und die Separatisten sagen, ja, wir tun das. Ist das jetzt der eindeutige Beweis, dass Russland direkten Einfluss auf die Separatisten hat?
    Fleckenstein: Dieses Beweises hätte es nicht bedurft, weil wir wissen seit Langem, dass russisches Material, russische Waffen und auch russisches Militär in welcher Form auch immer in der Ostukraine die Separatisten unterstützt. Aber es ist richtig, es ist ein weiteres Zeichen, auch wenn es eine gute Maßnahme ist, diesen Korridor zu bilden.
    "Ich glaube nicht, dass er eine Annexion von weiteren Gebieten im Blick hat"
    Kaess: Und wenn Putin jetzt in seinem Statement aus der letzten Nacht die Separatisten lobt und von einem „Neurussland" spricht, wie würden Sie das deuten? Was will er? Will er doch die Annexion weiterer Gebiete der Ukraine?
    Fleckenstein: Ich glaube, er will - Ich weiß es nicht, natürlich, aber ich glaube nicht, dass er eine Annexion von weiteren Gebieten im Blick hat. Ich könnte mir eher vorstellen, dass er eine Situation schaffen will, in der am Ende der Verhandlungen eine gestärkte russische Minderheit steht und die klare Zusage, dass die Nato sich nicht an die russische Grenze weiterbewegt.
    Kaess: Nun ist es ja so, dass vor drei Tagen sich der ukrainische Präsident Poroschenko und Putin noch in Minsk die Hände geschüttelt haben, und danach hat Poroschenko gesagt, Russland habe einem Friedensplan zugestimmt. Würden Sie denn im Moment Worten aus Moskau noch irgendeinen Glauben schenken?
    Fleckenstein: Ich muss das.
    Kaess: Warum?
    Fleckenstein: Weil bei aller Gefahr und auch bei allen schlechten Erfahrungen die Reaktion, wenn ich es auf gar keinen Fall mehr tun würde, ja wäre, ich muss mit ihnen nicht reden. Aber wir müssen mit Russland im Gespräch bleiben, ohne die Achtung zu verlieren und aufmerksam zu sein, weil ich fest davon überzeugt bin, dass nur über solche Gespräche der Konflikt sich lösen lässt.
    "Beides hat bisher leider nichts gebracht"
    Kaess: Bisher haben die Gespräche allerdings nichts gebracht. Muss also die Europäische Union jetzt weiter sanktionieren?
    Fleckenstein: Was haben denn die Sanktionen bisher gebracht?
    Kaess: Deswegen die Frage: Muss es weitere dort geben, oder bringen die gar nichts?
    Fleckenstein: Ich glaube, beides hat bisher leider nichts gebracht. Aber es muss beides weiter geben. Zum einen, was die Sanktionen angeht, muss die russische Regierung wissen, dass wir zwar weit davon entfernt sind und nicht vorhaben, in irgendeiner Form militärisch uns zu engagieren, aber dass es durchaus weitere Schritte auf der wirtschaftlichen Sanktionsleiter gibt, wie zum Beispiel doch breitere Teile der russischen Wirtschaft von den westlichen Finanzmärkten abzuhängen.
    Kaess: Wir fragen uns ja alle, Herr Fleckenstein, warum diese Sanktionen bisher überhaupt keinerlei Wirkung auf Russland hatten. Wir haben jahrelang über den Einfluss russischer Oligarchen auf den Kreml berichtet. Kann es sein, dass dieser Einfluss der Oligarchen auf Putin gar nicht mehr so stark ist, wie jetzt der der russischen Nationalisten?
    Fleckenstein: Ich glaube, man muss in erster Linie sehen, dass der russische Präsident eine große Zustimmung zu seiner Politik im eigenen Land erfährt, und das sehen auch die Oligarchen. Nie in seiner politischen Laufbahn war Wladimir Putin so beliebt bei der Bevölkerung wie im Moment, und das ist eine von der Innenpolitik wesentlich geprägte Politik, die er da treibt. Das ist ein hoher Preis, den er verlangt, und auch vor allem, den er bezahlen muss, denn in Wirklichkeit ist er völlig isoliert.
    "Näher an die Europäische Union mit all den Vorteilen"
    Kaess: Sie haben gerade angesprochen, was uns allen ja bekannt ist, dass der Westen militärische Mittel in dieser Krise ausgeschlossen hat. Nun hat der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk – da haben uns zumindest Meldungen erreicht – gesagt, dass er sein Land auf eine Nato-Mitgliedschaft vorbereiten will. Wie sollte das Bündnis denn reagieren?
    Fleckenstein: Ich bin der Meinung, das Bündnis kann in dieser Frage nur ganz klar reagieren. Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist nicht auf der Tagesordnung und ist nicht in der nächsten Zeit in irgendeiner Form vorgesehen.
    Kaess: Unter Rücksichtnahme auf Russland?
    Fleckenstein: Auch! Auch, ja!
    Kaess: Und das reicht für die nächsten Jahre als Perspektive?
    Fleckenstein: Nein! Es gibt ja eine andere Perspektive, nämlich immer näher an die Europäische Union mit all den Vorteilen für alle, nicht nur für die Ukraine, auch für uns heranzukommen.
    Kaess: Auch das will ja Moskau nicht und empfindet das als Provokation.
    Fleckenstein: Nein. Aber ich glaube, dass man unterscheiden muss zwischen den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, wo man immer auch Lösungen finden kann, wie zum Beispiel jetzt Frau Ashton und andere auch in Minsk das diskutiert haben mit der russischen Seite, oder ob es um eine Ausdehnung eines militärischen Bündnisses geht.
    Kaess: Die Nato diskutiert ja neue Nato-Basen in Osteuropa. Was sollen die in der derzeitigen Situation bringen?
    Fleckenstein: Da müssen Sie den Nato-Generalsekretär anrufen.
    Kaess: Was können Sie sich vorstellen?
    Fleckenstein: Nichts.
    Kaess: Das heißt, diese Diskussion sollte abgebrochen werden und man sollte nicht mehr weiter darüber sprechen?
    Fleckenstein: Ich habe Verständnis dafür, dass aufgrund der Geschichte die baltischen Staaten, Polen, vielleicht auch Tschechien besondere Ängste haben, und vielleicht muss man darauf ein bisschen Rücksicht nehmen. Aber ich sehe überhaupt gar keine Gefahr für irgendein Nato-Land, dass Russland da einen Übergriff in irgendeiner Form in der Planung hat.
    "Sehr schwierig ist, mit den Separatisten zu verhandeln"
    Kaess: Was macht Sie da so sicher?
    Fleckenstein: Weil es keinen Hinweis dafür gibt. Null! Zero!
    Kaess: Aber wir haben immerhin Hinweise oder Fakten, dass Russland im Moment relativ unberechenbar ist mit seinem Vorgehen.
    Fleckenstein: Das stimmt. Aber ich glaube, das ist doch eine deutlich noch andere Qualität, noch schlimmere Qualität, ob man ein Nato-Land sozusagen angreift, wo es eine vertragliche Verpflichtung aller anderen gibt zu reagieren, oder ob man es bei einem Drittstaat sozusagen dann macht.
    Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch ganz kurz mal auf die andere Seite, denn Putin fordert ja von Kiew eine Waffenruhe und mit den Separatisten zu verhandeln. Ist das eine ernst gemeinte Forderung, glauben Sie, und sollte Kiew das auch tatsächlich tun?
    Fleckenstein: Ich weiß, dass das sehr, sehr schwierig ist, mit den Separatisten zu verhandeln, weil es natürlich schwer vorstellbar ist, dass aufständische Rebellen sozusagen plötzlich gewählten Regierungsvertretern nach den Wahlen am 26. Oktober zumindest zusammensitzen und verhandeln. Ich weiß keine Lösung. Aber ich weiß, dass es ohne die Vertreter der russischen Minderheiten auch in den umkämpften Gebieten kein einheitliches, friedliches Land geben wird, Ukraine, in dem alle sich zuhause fühlen. Deshalb muss man nach Wegen suchen. Dass das nicht gerade Oberkommandierende und Scharfschützen sind, das kann ich mir natürlich gut vorstellen.
    Kaess: ..., sagt Knut Fleckenstein. Er ist für die SPD im Europaparlament und er ist dort stellvertretendes Mitglied der EU-Russland-Delegation. Danke für dieses Gespräch heute Mittag.
    Fleckenstein: Gerne! Danke schön! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.