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Ukraine-Konflikt
"Russland schafft weiter Unruhe"

Wie in Südossetien, Abchasien oder Transnistrien ist Russland an einem sogenannten eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine interessiert, sagte der Politologe Gerhard Simon im DLF. Deswegen setze der Kreml alles daran, die Situation im Donbass weiter zu destabilisieren.

Gerhard Simon im Gespräch mit Jonas Reese | 14.11.2014
    Pro-russische Rebellen gehen am 13.10.2014 bei einer Kontrollstelle nahe Donezk, Ukraine; in Position.
    Pro-russische Rebellen gehen am 13.10.2014 bei einer Kontrollstelle nahe Donezk, Ukraine; in Position. (picture alliance / dpa / Alexander Ermochenko)
    Christoph Heinemann: Die Fronten in der Ukraine sind verhärtet. Die Friedensbemühungen zwischen Kiew und den prorussischen Separatisten stecken fest. Beobachter hoffen auf ein Krisengespräch von Kreml-Chef Putin mit US-Präsident Obama jetzt beim G20-Treffen in Australien an diesem Wochenende. Wir haben vor einer halben Stunde darüber berichtet. In der Ostukraine werden die Kämpfe immer heftiger und immer lauter wird die Kritik an Russlands mutmaßlichen Hilfen für die Moskautreuen Separatisten. Die OSZE berichtet über Truppenbewegungen an der ukrainisch-russischen Grenze und darüber sprach mein Kollege Jonas Reese mit dem Osteuropa-Experten Gerhard Simon, Professor am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie in Köln.
    Jonas Reese: Herr Simon, was braut sich da zusammen?
    Gerhard Simon: Das Schlimme ist, dass wir das nicht genau wissen, und es ist ja auch ganz merkwürdig. Die OSZE sieht das, die dortigen ukrainischen Soldaten und offiziellen Personen sehen das auch. Aber irgendwie ist die russische Regierung blind. Die hat offenbar ihre Brille vergessen, denn die sieht das nicht, und sie bestreitet ja nach wie vor, dass da irgendwelche russischen Soldaten überhaupt sich in der Ukraine befinden. Nun hat es ja solche Vorfälle immer mal wieder gegeben in den letzten Monaten. Das heißt, mehr Truppen werden zusammengezogen, teilweise auf russischer Seite, teilweise auf ukrainischem Territorium. Es wird dadurch Nervosität erzeugt, auf ukrainischer Seite werden Verteidigungsvorbereitungen getroffen. Manchmal wird dann wirklich geschossen, manchmal geht es dann wirklich sozusagen zur Sache, aber nicht immer, und das ist das Problem. Militärische Vorbereitungen, die Dislozierung von militärischen Einheiten widerspricht für sich genommen schon den Minsker Vereinbarungen. Aber das Herumfahren von Panzern ist natürlich noch nicht das Schießen aus den Panzerkanonen. Ob es dahin kommt, wissen wir nicht.
    Reese: Und dass sich dahinter nicht die russische Seite verbirgt, das halten Sie für sehr unwahrscheinlich?
    Simon: Das halte ich für ausgeschlossen. Wer soll es denn sein? Vom Mond kommen ja doch selten grüne Männchen, die bei uns die Unruhe stiften, zumal wir seit Monaten wissen, dass es doch so ist. Und die wirklichen Gefahren für eine neue militärische Eskalation gehen davon aus, dass mehr oder weniger reguläre russische Einheiten eingesetzt werden in der Ukraine. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass dieser sogenannte Volkssturm, das heißt die Bewaffneten, die da aus der Region selbst kommen, auch militärisch gar nicht in der Lage sind, der ukrainischen Armee jetzt entgegenzutreten. Die ukrainische Armee ist ja im letzten halben Jahr doch deutlich verstärkt worden und ist heute viel mehr in der Lage, sich zu wehren, als das im April der Fall war.
    Reese: Welche Strategie verfolgt Moskau oder Russland? Ist es dann wirklich schon die Vorbereitung auf erneute kriegerische Auseinandersetzungen, oder was verbirgt sich dahinter Ihrer Meinung nach?
    "Die russische Taktik zielt darauf, Unruhe zu schaffen"
    Simon: Ich denke, die russische Taktik zielt zunächst mal darauf, Unruhe zu schaffen, den Nervositätspegel hoch zu halten, die ukrainischen Streitkräfte, aber auch die ukrainische Politik nicht zur Ruhe kommen zu lassen, uns auch nicht, einschließlich des Deutschlandfunkes, uns sozusagen immer in Anspannung zu halten. Diese Anspannung ist ja auch gegeben, selbst dann, wenn schlussendlich nichts Schreckliches passiert.
    Reese: Aber wozu dann im Endeffekt? Wozu uns hier möglichst im Deutschlandfunk auch unruhig zu halten, die Lage in der Ukraine instabil zu halten? Wozu?
    Simon: Das ist ein Selbstzweck. Das ist das Ziel. Das ist das Ziel der russischen Politik, die Ukraine nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
    Reese: Nach dem Vorbild Transnistrien, Südossetien oder auch Abchasien, einen eingefrorenen Konflikt zu schaffen?
    Simon: Genau! Genau das!
    Reese: Beim Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ab diesen Freitag jetzt in Australien, in Brisbane, könnte es auch zu einem persönlichen Gespräch von Russlands Präsident Putin und Angela Merkel kommen. Um was müsste es da Ihrer Meinung nach gehen?
    Simon: Es müsste darum gehen, Putin noch einmal und nachdrücklich darauf festzulegen, die Minsker Vereinbarungen einzuhalten, und die Bundeskanzlerin hat das ja immer wieder auch getan und versucht, die russische Politik festzulegen auf das, was da in Minsk vereinbart worden ist. Leider ist das bisher nicht gelungen.
    Reese: Soll Angela Merkel auch mit schärferen Sanktionen drohen?
    Simon: Wenn sie kann, wenn sie da genügend Rückendeckung in Europa hat, dann sollte sie das machen. Ich fürchte nur, das ist nicht der Fall. Schärfere Sanktionen werden erst dann in Europa durchsetzbar sein, wenn es wirklich, was wir ja nicht wünschen können, zu einem neuen Waffengang, einem schwerwiegenden Waffengang im Donbass kommt, wenn das, was wir befürchten, eintritt, was wir aber nicht wollen können, und natürlich auch, wofür niemand ist. Solange das aber nicht geschieht, oder anders formuliert, solange es nicht zu einer weiteren militärischen Eskalation dort im Kriegsgebiet kommt, wird man wahrscheinlich die europäischen Regierungen nicht dazu überreden können, Sanktionen zu verschärfen.
    Heinemann: ..., sagt Professor Gerhard Simon von der Universität Köln. Die Fragen stellte mein Kollege Jonas Reese.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.