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Ukraine-Konflikt
"Russland will weiter destabilisieren"

Der geplanten Videokonferenz der ukrainischen Führung mit den Separatisten steht Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im auswärtigen Ausschuss, skeptisch gegenüber. Er rechne nicht mit einem handfesten Ergebnis der Gespräche, sagte er im DLF. Und das liege vor allem an einem Akteur, der offenkundig kein Interesse an einer Beilegung des Konflikts habe.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Silvia Engels | 15.07.2014
    Wrackteile einer ukrainischen Transportmaschine, in der Region Lugansk aufgenommen.
    Am Montag wurde ein ukrainisches Transportflugzeug von einer Rakete getroffen (STEPHANE ORJOLLET / AFP)
    Russland wolle die Lage in der Ostukraine weiter destabilisieren, sagte Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, im DLF. Das sehe man an der Tatsache, dass die russische Seite die Separatisten in der Ostukraine nach wie vor mit schwerem Kriegsgerät unterstütze. Von daher rechnet Wellmann nicht damit, dass die geplante Videokonferenz zwischen Kiew, den Separatisten und Vertretern Russlands und der OSZE ein handfestes Ergebnis hervorbringt.
    Für die Ankündigung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, die eigene Armee besser auszurüsten, äußerte Wellmann Verständnis. Poroschenko verteidige lediglich sein Land in einem Krieg. Trotz aller Skepsis seien Gespräche miteinander sinnvoll. Russland müsse verständlich gemacht werden, dass es selbst am meisten von stabilen Verhältnissen in der Ukraine profitiere. Vor allem wirtschaftlich. Schon jetzt seien Investoren wegen des Konflikts massenweise abgeschreckt und wendeten sich von Russland ab.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Gestern Abend erklärte Bundesaußenminister Steinmeier von Jordanien aus, Vertreter der ukrainischen Regierung und Russlands würden sich heute unter Vermittlung der OSZE zu einer Video-Schaltkonferenz mit Vertretern der Separatisten zusammenfinden. Anschließend seien auch direkte Gespräche geplant. Das Ziel sei ein Waffenstillstand. Mittlerweile hat auch die ukrainische Seite die geplanten Gespräche bestätigt. Vorher war allerdings viel telefoniert worden.
    Am Telefon ist Karl-Georg Wellmann. Für die CDU sitzt er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und er ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Wellmann!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen!
    Engels: Was erfahren Sie denn zurzeit über die Lage in der Ostukraine?
    Wellmann: Dass es genau so ist, wie Ihre Reporterin berichtet hat. Es gibt Krieg in der Ostukraine und es sterben Menschen, und das ist furchtbar. Und deshalb ist es richtig, dass jetzt gesprochen werden soll.
    Engels: Heute sollen die Gespräche also beginnen, zwischen Ukraine, Separatisten, Russland und OSZE, zunächst per Videokonferenz. Was erwarten Sie davon?
    Wellmann: Ich bin skeptisch, weil dieser Konflikt von Russland geschürt wird. Wir haben eben gehört von Ihrer Reporterin, wie schwere Waffen eingesetzt werden. Separatisten haben solche Waffen nicht, sie werden aus Russland in das Land gebracht. Die kann man nicht im Supermarkt kaufen. Und wenn Russland - dort liegt der Schlüssel -, wenn Russland nicht aufhört, diesen Konflikt zu schüren, wird er weitergehen. Ich fürchte, Russland hat immer noch das Interesse zu destabilisieren. Das hat mit Energieinteressen zu tun, das hat mit politischen Interessen zu tun und da muss die Lösung gefunden werden. Alleine mit den Separatisten wird es nicht gehen.
    Engels: Auf der anderen Seite wirkte auch der ukrainische Präsident Poroschenko in den letzten Tagen nicht sehr kompromissbereit. Statt Gespräche zu suchen, hat er versucht, die Großoffensive voranzutreiben. War das denn sonderlich klug?
    Wellmann: Na ja, sein Land wird angegriffen in einem asymmetrischen Krieg. Das muss man verstehen, das kann man nicht einfach passieren lassen. Sonst geschieht das, was schon auf der Krim passiert ist. Sonst wird die Ukraine einen Teil ihres Territoriums verlieren an Russland. Deshalb gibt es bei uns Verständnis dafür, dass er sich wehrt und versucht, diesen Konflikt abzuwenden.
    Eine kriegerische Situation, hinter der Russland steckt
    Engels: Das heißt, Sie fürchten nach wie vor, dass Russland tatsächlich daran interessiert ist, die Ukraine faktisch und auch letztendlich juristisch zu spalten?
    Wellmann: Daran gibt es keinen Zweifel. Sie müssen nur die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti sich anhören bis heute. Die sprechen von Neurussland, die sprechen von der Republik von Donnezk. Die russische Haltung ist klar: Sie wollen die Separatisten anerkennen und wollen die Abspaltung mindestens der zwei Provinzen Lugansk und Donnezk, und keiner weiß, ob sie mehr wollen. Es wird in der russischen Führung auch offen davon geredet, die gesamte Ukraine zu befreien. Rogosin hat das gerade gesagt. Das ist das Szenario und deshalb hat es keinen Sinn, gut zuzureden und zu sagen, na ja, die werden schon aufhören, sondern das ist im Moment eine kriegerische Situation, hinter der Russland steckt.
    Engels: Auf der anderen Seite hat Russland aber auch nun eine alte Forderung des Westens erfüllt und der OSZE Inspektionen an der Grenze zur Ukraine erlaubt. Zum Teil geht es hier auch wieder um Gespräche. Sehen Sie da keine Ansatzpunkte, dass auch Russland an einer friedlicheren Lösung interessiert ist?
    Wellmann: Gespräche sind immer gut und man muss alles tun und alles ausloten, wie die Bundesregierung das ja auch tut und die OSZE, um zu sprechen, um zu versuchen, den Konflikt diplomatisch zu entschärfen. Aber solange Russland es zulässt, dass Söldner, schweres Gerät - schweres Gerät heißt Panzer, heißt Flugabwehrraketen, heißt Artillerie, Raketenwerfer haben wir gestern im Fernsehen gesehen -, solange Russland das nicht stoppt, wird es diesen Konflikt geben und wird er nicht aufhören.
    Engels: Welche Schritte verlangen Sie gegenüber Russland?
    Wellmann: Russland hat schon erheblich gelitten durch die faktisch eingetretenen Wirtschaftssanktionen, und wenn das nicht aufhört, dieser Versuch der Russen, die Ukraine zu destabilisieren, dann wird es zu weiteren Wirtschaftssanktionen kommen müssen. Daran führt kein Weg vorbei.
    Man muss sich wehren können
    Engels: Nun ist es auch so, dass der ukrainische Präsident Poroschenko gerade eine massive Aufrüstung seiner Armee angekündigt hat. Kann das denn noch im Sinne der westlichen Staatengemeinschaft sein?
    Wellmann: Er hat keine massive Aufrüstung verlangt; er hat den staatlichen Rüstungskonzern angewiesen, die Armee vernünftig auszustatten. Und das muss auch sein! Man muss sich wehren können. Wir haben ja auch eine gut ausgestattete Bundeswehr, die verhindern soll, dass es zu Konflikten kommt in Europa. Dieses muss man der ukrainischen Regierung zugestehen. Die führen ja diese Auseinandersetzung nicht aus Spaß, sondern um die Integrität ihres Landes vor ausländischen Invasoren zu schützen.
    Engels: Sie verlangen Bewegung von Russland. Das haben Sie mehrfach deutlich gemacht. Gibt es denn umgekehrt etwas, was man von westlicher Seite nun Russland auch anbieten müsste, damit sich die Situation in Richtung friedlicher Lösung bewegt?
    Wellmann: Ja natürlich! Das Konzept ist ja längst fertig. Russland würde sehr profitieren, würde selbst sehr profitieren, wenn es zu einer Entspannung kommt und zu einer völligen Neuregelung der Verhältnisse in diesem Osteuropa. Die Vorteile für Russland liegen auf der Hand. Von der Befreiung vom Visa-Regime bis zu einer Freihandelszone mit Russland, bis zu Investitionen kann man sich sehr viel vorstellen. Russland wäre vor allem das Land, was profitiert, wenn es zu einer vernünftigen Regelung kommt und wenn Russland zum Verhandlungstisch zurückkehrt.
    Die Menschen wollen keinen Konflikt mit Russland
    Engels: Nun ist es so, dass Sie Russland als zentralen Akteur sehen. Daneben gibt es aber auch durchaus eine Gruppe der Separatisten, die ja auch schon vor diesem Konflikt durchaus ein gewichtiges Wort in der Ukraine immer mitgesprochen haben. Macht es sich Kiew zu einfach, wenn es immer beschreibt, lediglich gegen Terroristen zu kämpfen, weil man mit diesen Menschen einfach auch sprechen und verhandeln muss?
    Wellmann: Sie hatten am 25. Mai Präsidentenwahlen in der Ukraine und die Menschen haben sich auch in den östlichen Provinzen mehrheitlich für Poroschenko ausgesprochen. Poroschenko, der offen von einer Westbindung gesprochen hat. Das heißt, die Menschen wollen zwar keinen Konflikt mit Russland; sie wollen aber als Ukrainer in einer unbeschädigten Ukraine leben. Insofern ist es völlig klar, dass die Ukraine stabilisiert und ökonomisch entwickelt werden muss, und unser Wunsch ist, dass das gemeinsam mit Russland passiert. Russland selbst würde am meisten davon profitieren.
    Engels: Was muss - und damit kommen wir zum Anfang unseres Gesprächs zurück - bei diesen Videokonferenz-Gesprächen heute herauskommen, damit es wenigstens zu einem Waffenstillstand kommt?
    Wellmann: Na ja, man muss sehen, dass man den Konflikt entschärft, dass das Schießen aufhört. Poroschenko hat ja den Separatisten schon weitreichende Zugeständnisse gemacht. Er hat gesagt, er gewährt freien Abzug, sie können sich nach Russland, wo sie herkommen, zurückziehen. Er gewährt auch eine Amnestie für alle die, die die Waffen niederlegen. Aber ich meine, das ist nun das Mindeste, was passieren muss, dass die Separatisten aufhören, Krieg zu führen gegen die eigenen Brüder, gegen das eigene Land.
    Engels: Karl-Georg Wellmann. Für die CDU sitzt er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und er ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Wellmann.
    Wellmann: Vielen Dank zu Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.