Aus den Feuilletons

Gentrifizierung durch Architektur

04:15 Minuten
Das Kulturzentrum in Arles von Frank Gehry sieht aus wie zerknülltes Butterbrotpapier.
Schöne Architektur produziere Gewinner und Verlierer, schreibt die "Welt". © imago / Travel-Stock-Image
Von Paul Stänner · 29.06.2021
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Gentrifizierung hat viele Gesichter: Im südfranzösischen Arles haben sich die Grundstückspreise in der Nähe eines Kulturzentrums verdreifacht, das vom Stararchitekten Frank Gehry entworfen wurde, schreibt die "Welt". Aber schön sei das Gebäude schon.
Der große Frank Gehry hat im südfranzösischen Arles ein – wie er sagt – "römisches Bauwerk" errichtet. Meist sehen die Gebäude des amerikanischen Stararchitekten aus, als habe Gehry seinen Entwurf wie Butterbrotpapier zusammengeknüllt und dann dem Bauleiter gesagt: Mach es genau so!
Es ist leicht zu erkennen, dass keines der römischen Bauwerke in Arles aussieht wie Gehrys Gebäude, das sich ganz und gar unrömisch wie ein wuchtiger metallener Fels aus der gleichförmigen Landschaft ockerfarbiger Dächer erhebt.
In der WELT schreibt Martina Meister über dieses aufregende Projekt, war es doch eine Milliardärin, die ihre Liebe zur Stadt auf eine Art ausdrückte, die das kleine Arles nicht zurückweisen konnte.
"Der Turm" – so nennt die Goldfee den funkelnden Gehry-Gipfel – "soll Hoffnung verkörpern, ein Archipel darstellen, in dem alles möglich ist."
Schöne Zukunft in spektakulärer Architektur, aber Martina Meister verschweigt nicht, dass die Kulturschickeria bereits preistreibend Einzug gehalten hat und sich die Grundstückpreise verdreifacht haben.
"Die Mutation wird Gewinner und Verlierer mit sich bringen", schreibt sie. Aber dafür glänzt nun unweit römischer Ruinen ein schillernder Turm der Hoffnung.

Zu links für die Linkspartei?

Früher hätten in Deutschland die Verlierer solcher Gentrifizierung eine antikapitalistische linke Partei zu Hilfe gerufen, aber die scheint sich gerade eben zu zerlegen.
"Wer links ist, fliegt raus bei der Linkspartei", notiert Thomas Thiel in der FAZ. Natürlich geht es um Sahra Wagenknecht und ihr Buch, in dem sie gegen die Lifestyle-Linke wettert, und das ihrer Partei so sauer aufgestoßen ist.
Das kommentiert die FAZ: "Mit dem Ausschlussverfahren sagt die Partei, dass auch sie sich gemeint fühlt." Mitfühlend fragt die eher der Wirtschaft nahestehende FAZ, ob sich Die Linke den Verlust von Wagenknecht überhaupt leisten könne:
"Das Parteiausschlussverfahren ist umso unglaubwürdiger, als die Partei ein parasitäres Verhältnis zu Wagenknecht unterhält. Sie nährt sich von ihrem Auftritt, ihrer Eloquenz, ihrer Bildung, ihrem Vermögen, Parteipolitik theoretisch zu begründen." Hat die FAZ recht, brechen für Die Linke magere Jahre an.

Doku über die Pandemie

"Im Frühjahr 2020, als die Covid-19-Pandemie mit aller Wucht Europa erreicht hatte, fasste Dokumentarfilmer Volker Heise den Entschluss: "Ich muss jetzt mal sammeln", schreibt der TAGESSPIEGEL über Heises Film "Schockwellen", den die ARD zeigt. Es lobt der TAGESSPIEGEL: "Der Autor und sein Team kommentieren die Bilder nicht, die Montage erzeugt durchschlagende Aussagekraft."
"Diese herausragende Dokumentation wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten geben kann", findet die SÜDDEUTSCHE. Und:
"Der Film zeigt, dass einige Personen sehr früh das ganze Ausmaß der Gefahr erkannten. Aber wie, in welchem Medium hätten sie formulieren können, was zu erwarten ist? Die Wahrheit der Wissenschaft und der Exekutive ist im kakofonen Chor der sozialen und der nonstop billige Meinung sendenden elektronischen Medien nur eine Stimme unter vielen."
Autor Nils Minkmar wirft angesichts dieser Umstände pessimistisch gleich alles über Bord: "Aber der Schock der Pandemie, dieser Film erinnert daran, ist auch eine philosophische Lehre in existenzieller Bescheidenheit: Wir wissen, dass wir nichts wissen und sind mit all unserer technologischen und wissenschaftlichen Kompetenz in gewisser Hinsicht nicht weiter als Sokrates in Sandalen."
Was bei uns Nachfahren des alten Griechen sogleich die Frage aufwirft: Hätte der Weise sich impfen lassen, wenn er nur einen Impfstoff gehabt hätte? Was gleich zu der Antwort führt: Wir haben einen Impfstoff und sind folglich weiter als Sokrates in Sandalen.
Damit wünschen wir ihnen einen mutationsarmen, sandalenwarmen Restsommer.
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