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Ukraine-Konflikt
"Sind auf dem Weg zum Kalten Krieg"

In der Ost-Ukraine gehe wieder der Eiserne Vorhang hinunter, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), im Deutschlandfunk. Das Europaparlament sei ratlos angesichts des Verhalten Russlands, weil man nicht wisse, wann der Punkt komme, an dem Kremlchef Putin kehrt mache, sagte Brok.

Sandra Schulz im Gespräch mit Elmar Brok | 03.09.2014
    Es gebe offensichtlich einen Persönlichkeitswandel von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, er setze auf die alten Ziele des Imperialismus. Dies sei verbunden mit angeblich russischen Werten, die es zu verteidigen gebe.
    Brok ergänzte, es erschwere die Durchsetzungsfähigkeit von Demokratien, wenn man es mit solchen Leuten zu tun habe. Europa wolle keine Eskalation, sondern signalisieren, dass man an den Verhandlungstisch gehen wolle.

    Sandra Schulz: Wir sprechen mit Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
    Elmar Brok: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Nachgedacht haben Sie über diese Frage ja jetzt schon seit langem. Aber eine Antwort gibt es auch heute Morgen nicht, oder?
    Brok: Nein. Eine Antwort habe ich nicht, denn das ist in der Tat die zentrale Frage: Was bewegt Putin, womit kann er bewegt werden, dass er mit der Aggression Schluss macht, mit Krieg Schluss macht, aus der Ukraine abzieht und den Menschen die freie Entscheidung über ihre Zukunft selber überlässt.
    "Völkerrechtswidrige Haltung nicht akzeptieren"
    Schulz: Es wird jetzt über eine Verschärfung der Sanktionen nachgedacht, noch einmal nachgedacht. Welche Optionen gibt es denn, die Putin treffen und nicht die Menschen in Russland, die russische Bevölkerung?
    Brok: Nun, wir haben entschieden, dass wir nicht militärisch tätig sind. Es werden keine Waffen geliefert, es werden keine Soldaten geschickt. Die NATO, die Europäische Union, ihre Mitgliedsländer haben gesagt, wir wollen keinen militärischen Konflikt und auch nicht, in einen solchen verwickelt zu sein. Man kann aber eine solche völkerrechtswidrige Haltung, wie Putin sie vornimmt, nicht akzeptieren, die Krim zu übernehmen. Ganz offenkundig – das wurde ja auch in dem Interview deutlich – gibt es reguläre Soldaten, und zwar nicht erst seit letzter Woche, sondern seit längerer Zeit bereits, um in der Ostukraine zu kämpfen, gegen den Willen eines anderen Landes. Darauf muss man ja antworten, und friedliche Maßnahmen sind eben nur in diesem Zusammenhang möglich mit solchen Sanktionen. Wenn beispielsweise jetzt darüber nachgedacht wird, dass man im Finanzsektor etwas tut, trifft das ja nicht unmittelbar die Bevölkerung, sondern soll vor allen Dingen diejenigen schädigen, die auf solche Entscheidungen im Kreml Einfluss nehmen können.
    Schulz: Aber sind solche Sanktionen für die Finanzmärkte, die Sie ja schon ins Gespräch gebracht haben, sind deren Folgen für die europäischen Märkte denn zu kalkulieren?
    Brok: Nein. Das ist natürlich auch ein Risiko für die Europäische Union. Aber nicht militärisch tätig zu werden, ist immer noch billiger, wenn ich diesen Begriff dafür benutzen darf, als militärisch tätig zu sein. Wir wollen ja keine Eskalation. Wir wollen signalisieren, es ist zu teuer, Krieg zu führen, und wir wollen signalisieren, dass wir gern an den Verhandlungstisch gehen und dass die Ukrainer an den Verhandlungstisch gehen können, dass Putin die Entscheidungen einer demokratisch gewählten Regierung und eines demokratisch gewählten Präsidenten anerkennt, in welcher Weise ein Land organisiert wird.
    "Wir sind ratlos"
    Schulz: Elmar Brok, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie klingen jetzt in den Antworten, die Sie geben, ratlos. Ist die EU ratlos?
    Brok: In einer gewissen Weise haben Sie Recht. Wir sind ratlos insofern, weil wir nicht wissen, wo der Punkt ist, dass Putin zur Umkehr gebracht worden ist. Und deswegen wird immer bei den Sanktionen eine Schippe draufgelegt, um zu sehen, wo man diesen Punkt erreicht. Wir sind aber schon ziemlich pessimistisch, denn offensichtlich ist das Interesse des eigenen Volkes für Putin nicht wichtig, denn es geht hier um alte imperiale Vorstellungen. Er redet von Novorossia. Das ist ein Kolonialbegriff aus dem 18. Jahrhundert, um andere Gebiete aufzunehmen. Und wie er davon weggebracht werden kann, wissen wir nicht. Gleichzeitig ist das verbunden mit schwülstigen, angeblich christlichen russischen Werten, die verteidigt werden müssen, und das scheint so zu sein, dass solche Vorstellungen offensichtlich alles andere überlagern. Manche sagen, er ist bereit, dass der Lebensstandard der russischen Bevölkerung um 10, 20, 30 Prozent zurückgeht. Das ist ihm nicht wichtig. Das ist eine Denkungsart, die uns völlig fremd ist.
    Schulz: Aber ist das ein tragbarer Zustand für Außenpolitik, Ratlosigkeit?
    Brok: Nein. Ich könnte natürlich sagen, wir treffen eine Entscheidung, liefern Waffen und sogar Verbände dort, aber das wollen wir ja nicht. Hier hat eine Demokratie, wie es der Westen ist, eine schwerere Situation als ein Diktator, dem die Interessen des Volkes nicht interessieren, der die Medien weitestgehend in der Hand hat, der Unterdrückung vornimmt. Natürlich hat man es dann immer leichter, sich mit solchen Positionen durchzusetzen, weil er nicht wirkliche demokratische Rechenschaft geben muss, und das erschwert die Durchsetzungsfähigkeiten von Demokratien, wenn man es mit solchen Leuten zu tun hat. Das ist eine alte geschichtliche Erfahrung.
    "Dieselbe Methode wie in einem Kalten Krieg"
    Schulz: Aber die europäische Haltung, auch die Haltung in der NATO, die ist ja durchaus gespalten. Was macht Sie denn so sicher, dass sich am Ende nicht doch die Stimmen durchsetzen, die zumindest eine größere militärische Robustheit fordern?
    Brok: Die Robustheit heißt, dass NATO-Mitglieder geschützt werden, und deswegen wird die Diskussion jetzt durchgeführt, ob man nicht in der Lage ist, die östlichen NATO-Gebiete, Polen, die baltischen Staaten, zu stärken, ihnen das Gefühl zu geben, dass hier Solidarität besteht. Denn ein Angriff auf diese Gebiete würde ja den Vollzug des NATO-Vertrages, die automatische Beistandsverpflichtung mit sich bringen. Wir wären dann im Krieg. Und deswegen soll Russland signalisiert werden, dann wird es wirklich zu gefährlich. Das ist im Prinzip dieselbe Methode wie in einem Kalten Krieg, nämlich deutlich zu machen, ...
    Schulz: Ist der zurück, der Kalte Krieg?
    Brok: Ich fürchte ja, dass wir auf dem Weg sind. Was jetzt gegenwärtig in der Ostukraine abläuft, ist so etwas, dass man an einer bestimmten Stelle, tausend Kilometer entfernt von der alten Stelle, wieder den Eisernen Vorhang heruntergehen lässt und Menschen hinter diesem Eisernen Vorhang verschwinden.
    Schulz: Warum ist es nicht gelungen, nach den Jahren der Partnerschaft, einer zumindest strategischen Partnerschaft, Russland so stark einzubinden, dass sich diese Entwicklung jetzt hätte verhindern lassen?
    Brok: Hier gibt es offensichtlich einen Persönlichkeitswandel von Putin. Ich hoffe, das geht nicht so weit. Ich hoffe, dass die Mutter, die Sie interviewt haben Recht hat, dass doch noch Reaktion besteht und da eine Positionsveränderung in Moskau stattfindet. Aber Putin hat wohl eingesehen, dass da eine Politik die Modernisierung des Landes nicht möglich macht, und deswegen setzt er auf die alten Ziele von Imperialismus und Beglückung anderer Regionen, die er dann in seinen Bereich aufnehmen will.
    Schulz: Der CDU-Politiker Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament und hier heute in den „Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.
    Brok: Ich danke, Frau Schulz.