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Ukraine-Konflikt
"Wollten uns ein Bild von den Akteuren machen"

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hat ein Treffen mit dem ukrainischen Separatistenführer Alexander Sachartschenko verteidigt. Im DLF sagte er, er habe wissen wollen, wie die Separatisten zum Minsker Abkommen ständen. Die Rebellen hatten die humanitäre Hilfsaktion für ihre Propagandazwecke benutzt.

Andrej Hunko im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.02.2015
    Andrej Hunko von der Linksfraktion
    Der Linken-Politiker Andrej Hunko hat in der Ukraine den Separatistischenführer Alexander Sachartschenko getroffen. (imago stock&people / Christian Mang)
    "Vertreter der Europäischen Union" - so hatten die Separatisten die Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Wolfgang Gehrcke (Linke) auf ihrer Homepage bezeichnet. Die beiden waren in die Ostukraine gereist, um dort 28 Tonnen Medikamente für Kinderkrankenhäuser zu übergeben.
    Während der Aktion kam es auch zu einem Treffen mit Separatistenführer Alexander Sachartschenko. "Wir haben gesagt, wir streben es nicht an, aber wenn es dazu kommt, dann gehen wir dem auch nicht aus dem Weg", so Hunko im DLF. Beide Politiker hätten wissen wollen, wie die Separatisten zu dem Minsker Abkommen stehen. "Das heißt natürlich nicht, dass wir politisch übereinstimmen oder ihn anerkennen. Wir haben das gemacht, ohne zu sagen, wir erkennen jetzt die sogenannte Volksrepublik Donezk an." Der humanitäre Einsatz habe für die Linken-Politiker aber im Vordergrund gestanden.
    Neutralität der Ukraine wichtig
    Der Ukraine-Konflikt lässt sich nach Einschätzung Hunkos nur durch Entspannungs- und Deeskalationspolitik lösen. Die Ukraine müsse zunächst neutral bleiben, um die Spannungen zwischen dem Westen und Russland abzubauen. Er sehe auf beiden Seiten allerdings Stimmen, die den Konflikt weiter befeuern würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die Feuerpause in der Ostukraine ist brüchig. Beobachter berichten, dass nach der Einnahme des Ortes Debalzewo durch die Separatisten die Kämpfe abgeflaut seien. Aber es bleibt unübersichtlich.
    Der ukrainische Präsident hat gestern einen Vorschlag gemacht. Petro Poroschenko hat eine EU-Polizeimission unter UN-Mandat für die Ostukraine ins Gespräch gebracht. Russland lehnt das ab, auch Berlin ist zurückhaltend. Die EU und die NATO haben die prorussischen Rebellen aufgefordert, das haben wir gerade gehört, OSZE-Beobachter endlich zuzulassen.
    Inzwischen ist in Donezk zum ersten Mal ein Hilfskonvoi der Vereinten Nationen eingetroffen. Vorher waren zwei Bundestagsabgeordnete der Linken von Russland aus mit vier Lastwagen voller Hilfsgüter (28 Tonnen, Medikamente für Kinderkrankenhäuser) in die Ostukraine gereist, in das Gebiet, das von den Separatisten kontrolliert wird oder prorussisch besetzt ist, je nach Lesart.
    Und die Separatisten haben die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen: Auf ihrer Internetseite Novorossia.su - das muss man nicht übersetzen - veröffentlichten die Aufständischen ein Foto des Separatistenführers Sachartschenko mit den Außen- und Europapolitikern der Linkspartei Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko. Letzterer ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Andrej Hunko: Schönen guten Morgen.
    Heinemann: Wieso haben Sie sich mit dem prorussischen Warlord getroffen?
    Hunko: Erst mal muss ich sagen, wir haben nicht 28 Tonnen an Medikamenten da hingebracht, sondern nur sieben. Es waren vier kleine LKW, aber es waren nur sieben Tonnen. Das ist irgendwie eine Fehlmeldung, die unterwegs ist.
    Wir haben ja verschiedene Wege geprüft, wie wir nach Donezk kommen, oder ursprünglich wollten wir nach Golowka. Das war aber nicht möglich wegen der Kampfhandlungen am Samstag dort und wir mussten letztlich unter praktisch Sicherheitsschutz von den Separatisten dort hinfahren von Rostow am Don aus, also von der russischen Seite aus. Alle anderen Wege waren nicht möglich.
    Und als wir in Donezk ankamen, gab es das Angebot zu einem kurzen Gespräch mit Sachartschenko. Wir hatten uns vorher darüber verständigt und haben gesagt, wenn es dazu kommt, wir streben es nicht an, aber wenn es dazu kommt, dann gehen wir dem auch nicht aus dem Weg, und haben das wahrgenommen und haben ihn vor allen Dingen nach der Umsetzung der Minsker Vereinbarung gefragt.
    Heinemann: Aber Sie hätten schon nein sagen können, Russisch Niet.
    Hunko: Es war keine Bedingung seitens der Separatisten, aber wir haben gesagt, wir gehen ihm da nicht aus dem Weg. Wir wollen wissen - das war ein Tag nach den Minsker Verhandlungen -, wir wollten wissen, ob er auch bereit ist, das umzusetzen, und wir wollten uns auch ein Bild von den Akteuren machen.
    Das heißt natürlich nicht, dass wir politisch übereinstimmen oder dass wir ihn anerkennen. Das haben wir auch ganz klar gesagt. Wir haben das gemacht, ohne zu sagen, wir erkennen jetzt die sogenannte Volksrepublik Donezk an.
    "Wir machen jetzt keine Aussage darüber, wer den Krieg begonnen hat"
    Heinemann: Herr Hunko, Ihnen ist schon klar, dass Alexander Sachartschenko mit dafür verantwortlich ist, dass die Medikamente, die sieben Tonnen, die Sie angeliefert haben, dringend gebraucht werden.
    Hunko: Er ist mit dafür verantwortlich, dass sie gebraucht werden, genauso wie natürlich auch die verschiedenen Kriegsparteien dafür verantwortlich sind.
    Ich habe auch mit Poroschenko geredet, mit Turzinow, die ja, wenn man so will, auch dafür verantwortlich sind, dass die sogenannte Anti-Terror-Operation gestartet worden ist letztes Jahr im April. Aber wir haben gesagt, jetzt ist die humanitäre Hilfe im Vordergrund, und wir machen jetzt keine Aussage darüber, wer den Krieg begonnen hat dort und wer verantwortlich ist.
    Heinemann: Bei Ihnen wird gerade gepfiffen im Hintergrund. - Steht Alexander Sachartschenko, der Separatistenführer, zu Minsk?
    Hunko: Ich habe ihn gefragt, ob er Minsk umsetzen will. Er hat gesagt, es wird Auseinandersetzungen um Debalzewo geben. Das sei nicht geregelt worden in Minsk. Und ich habe ihn auch gefragt, wie das mit den Wahlen ist, die ja auch in Minsk vereinbart worden sind, und da hat er gesagt, dass er auch zu Neuwahlen bereit ist. Aber auch da hat er gesagt, dass es wahrscheinlich Interpretationsdifferenzen im Detail geben könnte.
    Heinemann: Geben eigentlich die Separatisten inzwischen offen zu, dass Russland an diesem Krieg aktiv teilnimmt?
    Hunko: Was heißt aktiv teilnimmt? Es ist nicht so, wir sind ja auch durch die Gegend gefahren, dass dort russisches Militär sichtbar ist.
    Heinemann: Das sagen Fachleute aber anders. Zum Beispiel der ehemalige NATO-General Klaus Naumann sagt ganz klar, man sieht russische Waffen, die die Ukraine nie gehabt hat.
    Hunko: Ich kann nur sagen, dass wir das nicht gesehen haben. Ich habe jetzt nicht gesagt, dass es das nicht gibt.
    "Unser Hauptanliegen war, dass dieser Waffenstillstand umgesetzt wird"
    Heinemann: Geben denn die Separatisten zu, dass sie von Russland militärische Hilfe bekommen beziehungsweise auch russische Soldaten mit im Einsatz sind?
    Hunko: Danach haben wir sie jetzt nicht direkt gefragt. Das war allerdings auch sehr kurz.
    Heinemann: Warum nicht?
    Hunko: Weil es zu kurz war und weil wir vor allen Dingen nach Minsk gefragt haben.
    Es war ja die Situation einen Tag nach dem Waffenstillstand und unser Hauptanliegen war, dass dieser Waffenstillstand umgesetzt wird und dass er hält. Deswegen haben wir bei dem sehr kurzen Gespräch vor allen Dingen danach gefragt.
    Heinemann: Und haben Sie die Separatisten in Siegesstimmung angetroffen?
    Hunko: Nein. Das war ja auch keine Situation wie vielleicht jetzt gestern - ich habe die Bilder auch gesehen - in Debalzewo. Mich hat das auch abgestoßen. Nein, nein, das war ganz ruhig, sehr konzentriert, beherrscht. Da war keine komische Stimmung in diesem Sinne da.
    Heinemann: Herr Hunko, Sie haben auf Ihrer Internetseite geschrieben, nur eine neutrale Ukraine biete den Menschen eine Zukunft.
    Hunko: Ja.
    Heinemann: ist das die Rückkehr zur begrenzten Souveränität?
    Hunko: Nein! Aber es ist, glaube ich, eine Anerkennung einer Realität, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine, der ja auch im Raum steht, dass der die Spannungen mit Russland weiter verschärfen würde. Ich denke, es ist die Situation, dass man auf Entspannung, auf Deeskalation setzen muss und letztlich auch auf eine neutrale Ukraine.
    Heinemann: Sollte man diese Entscheidung nicht den Ukrainern überlassen?
    Hunko: Man kann natürlich darüber diskutieren, aber auch das war in der Ukraine bis zuletzt immer sehr umstritten. Die Hälfte des Landes war dafür, die Hälfte des Landes war dagegen.
    Wenn man in dieser Situation versucht, das durchzusetzen, dann provoziert man weitere bürgerkriegsähnliche Situationen in der Ukraine.
    Aufrüstung ist "der falsche Weg"
    Heinemann: Sie haben mit Bezug auf die Ukraine außerdem geschrieben: "Diese wird es nur geben, diese Zukunft, wenn diejenigen im Westen zurückgedrängt werden, die die Ukraine zu einem Frontstaat eines großen Krieges gegen Russland ausbauen wollen."
    Wer, bitte schön, möchte im Westen einen großen Krieg gegen Russland führen?
    Hunko: Es gibt ja zum Beispiel jetzt die Debatten um weitere Aufrüstung der Ukraine, um die Waffenlieferungen in den USA. Ich denke da an die US-Senatoren, die hier weiter zuspitzen wollen. Ich glaube, dass das der falsche Weg ist.
    "Es gibt sowohl im Westen als auch im Osten Kräfte, die den Konflikt eskalieren"
    Heinemann: Herr Hunko, schauen Sie nicht in die falsche Himmelsrichtung? Kann das vielleicht sein? Verhält sich Russland gegenwärtig nicht etwas kriegerischer als der Westen?
    Hunko: Ich schaue in beide Himmelsrichtungen. Ich finde es falsch, den Konflikt nur auf die russische Seite zu reduzieren und nur auf Putin zu reduzieren. Es gibt sowohl im Westen als auch im Osten Kräfte, die den Konflikt eskalieren.
    Heinemann: Da sehen Sie keinen Unterschied?
    Hunko: Ich sehe schon Unterschiede, aber ich sehe auf beiden Seiten sehr starke Kräfte in diese Richtung. Da sehe ich wirklich nicht nur Putin als einzigen Akteur.
    Heinemann: Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Hunko: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.