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Ukraine-Krise
Diplomatie statt Eskalation

Eine Aufrüstung an den Außengrenzen der NATO sei ein "völlig falsches Signal", sagt Agnieszka Brugger, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk. Sie fordert eine diplomatische Lösung.

Agnieszka Brugger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.03.2014
    Agnieszka Brugger, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion
    "Wir müssen jetzt über diplomatische, zivile Maßnahmen diskutieren und nicht über die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder über die Aufrüstung an den NATO-Außengrenzen", fordert Agnieszka Brugger (Grüne). (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Christoph Heinemann: Nach dem Anschluss der Krim hat der Kreml die Halbinsel als russisches Gebiet in die Landkarte auf der Internetseite von Präsident Wladimir Putin aufgenommen. So schnell geht das. Die ukrainische Führung hat unterdessen den Rückzug der eigenen Truppen von der Krim angeordnet.
    US-Präsident Barack Obama und die anderen Staats- und Regierungschefs der führenden sieben Industriestaaten, die sogenannten G7, beraten heute in Den Haag über die Ukraine-Krise. Ursprünglich wollten Spitzenpolitiker von 53 Staaten über den Schutz von Nuklearmaterial vor Terroristen sprechen. Das wird auch geschehen. Vorher allerdings natürlich überlagert die Krise nach dem Anschluss der ukrainischen Krim-Halbinsel an Russland dieses Treffen.
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen setzt angesichts der Krise auf eine starke Rolle der NATO. Jetzt ist es für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt, sagte die CDU-Politikerin dem "Spiegel".
    – Am Telefon ist Agnieszka Brugger, Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für Abrüstung. Guten Tag.
    Agnieszka Brugger: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Frau Brugger, sollte die NATO an den östlichen Außengrenzen der Allianz jetzt demonstrativ Flagge zeigen?
    Brugger: Nein. Ich glaube, das wäre ein völlig falsches Signal. So eine Aufrüstung an den Außengrenzen der NATO ist natürlich auch für Russland immer der Vorwand, ebenfalls auf der anderen Seite aufzurüsten. Ich glaube, hier wird eher eine Eskalationsspirale in dieser Form in Gang gesetzt, und das ist für mich derzeit das völlig falsche Zeichen.
    "Militärische Eskalation auf jeden Fall vermeiden"
    Es geht darum, jetzt den Weg der Diplomatie zu stärken und eine militärische Eskalation auf jeden Fall zu vermeiden in Europa, und deshalb, finde ich, hat die Verteidigungsministerin von der Leyen an dieser Stelle sehr unverantwortlich mit ihrer Eskalationsrhetorik gehandelt.
    Heinemann: Muss man Wladimir Putin nicht daran erinnern, dass die NATO auch ein militärisches Bündnis ist?
    Brugger: Ich glaube, dass weiß Wladimir Putin sehr genau, dass die NATO ein militärisches Bündnis ist, aber der Ball liegt bei der EU. Das ist der zentrale Akteur, um diesen Konflikt mit Russland zu lösen. Da braucht es ein klares Zeichen und klare Ansagen an die russische Seite. Die sind ja auch mit der Inkraftsetzung der zweiten Stufe der Sanktionen, gezielte Sanktionen gegen Regierungsmitglieder, erfolgt.
    Auch die dritte Stufe steht im Raum und das sind, glaube ich, die wirklich wichtigen Antworten, und nicht, so scheint es jedenfalls - - Ursula von der Leyen war um ihre Medienpräsenz besorgt und stellt hier jetzt Forderungen auf, die verunsichern, die im Sinne der wirklich ernsten Lage eher zur Destabilisierung beitragen würden. Deshalb, finde ich, sollte sie wirklich eher die Außenpolitik vielleicht doch dem Außenminister Steinmeier überlassen, denn jetzt ist besonnenes Handeln erforderlich.
    "Von der Leyens Forderungen verunsichern und destabilisieren"
    Heinemann: Sie erkennen offenbar klare Ansagen. Aber aus russischer Sicht klappt Annexion doch prima.
    Brugger: Man muss zum Beispiel sehen: Die Sanktionen sind nicht zahnlos. Auch allein die Androhung von Wirtschaftssanktionen ist etwas, was Wirkung zeigt. Viele Firmen haben schon ihre Investitionsentscheidungen in Russland zurückgenommen. Das haben wir von der IHK. Aber es gibt auch noch weitere Maßnahmen. Zum Beispiel könnte die EU – und das fordern wir als Grüne – auch ein Waffenembargo gegen Russland verhängen und auch Deutschland sollte seine Exportentscheidungen, was Rüstungsgüter und Kriegswaffen an Russland angeht, dringend revidieren.
    Nach einigem Zögern ist die Bundesregierung dem ja auch nachgekommen und liefert zum Beispiel kein Gefechtsfeld-Zentrum mehr, das zur Ausbildung russischer Streitkräfte gedient hätte, und da sieht man, dieses Symbol und diese Reaktion wurde in Russland schon sehr verstanden, da hat auch dann der russische Verteidigungsminister reagiert, und jetzt muss man schauen, wie man aus der Gesamtlage heraus, auch wenn man die Annexion der Krim nicht mehr rückgängig machen kann, wieder auf den Weg der Diplomatie kommt und da sind, glaube ich, sehr klare und deutliche Zeichen gesendet worden.
    "Steinmeier fährt verantwortungsvolleren Kurs"
    Trotzdem muss es auch immer die Möglichkeit geben, wieder zu Gesprächen und zu mehr Gemeinsamkeiten zurückzutreten, und da finde ich den Kurs, den Herr Steinmeier gemacht hat, weitaus verantwortungsvoller als das, was von der Leyen am Wochenende von sich gegeben hat. Sie hat ja auch nicht gesagt, was sie konkret meint. Auch das ist völlig unverantwortlich angesichts der ernsten Lage, die wir in Europa haben.
    Heinemann: Die Krim haben Sie schon aufgegeben, haben Sie gerade gesagt. Wie sollte denn die westliche Staatengemeinschaft reagieren, sollte Russland Truppen in die Ostukraine schicken?
    Brugger: Der Drei-Stufen-Plan, was die Sanktionen der EU angeht, ist da ja relativ klar. Sollte Russland weiter andere Regionen destabilisieren wollen, dann geht es natürlich darum: Dann steht die Ostukraine derzeit sehr stark im Fokus. Dann geht es aber auch zum Beispiel um Transnistrien. Dann muss über die dritte Stufe der Sanktionen nicht nur gesprochen werden, sondern dann müssen diese auch folgen und umgesetzt werden, Wirtschaftssanktionen.
    Ich habe das Gefühl, dass nicht allen klar ist, welche Dimensionen Wirtschaftssanktionen gegen Russland eigentlich hätten, und das ist wirklich ein sehr, sehr hartes Mittel mit großen Konsequenzen, und ich glaube wirklich, allein die Androhung von Wirtschaftssanktionen kann durchaus eine Wirkung an dieser Stelle zeigen.
    "Wirkung von angedrohten Wirtschaftssanktionen wird unterschätzt"
    Heinemann: Vielleicht wäre ein schärferes Schwert noch eine ganz andere Option, nämlich sollte die Ukraine vielleicht rasch an die NATO herangeführt werden.
    Brugger: Ich glaube, auch das wäre etwas, was derzeit nicht zur Beruhigung der Lage beitragen würde, sondern wieder neue Gegenreaktionen auf russischer Seite provozieren würde. Ich glaube, es ist wichtig, dass die EU – und das hat sie auch ganz klar gemacht – einfach sagt, diese völkerrechtswidrige Annexion der Krim akzeptieren wir in dieser Form nicht, das hat Folgen, wir verteidigen an dieser Stelle auch das Völkerrecht, aber eben mit diplomatischen und zivilen Mitteln, und auch weitere Stufen der Sanktionen, die im Raum stehen, sind hier sehr wichtig.
    Das ist, glaube ich, an der Stelle der richtige Weg, um nicht über eine mögliche Aufrüstung in Europa, die wirklich dann eine militärische Spirale der Aufrüstung in Gang setzt, an dieser Stelle in den Blick zu fassen.
    "Versäumte Chance des gemeinsamen Weges mit Russland"
    Heinemann: Aber hat nicht gerade die Annexionspolitik Russlands die Ostausdehnung der NATO nachträglich gerechtfertigt und bestätigt?
    Brugger: Ich glaube, in den letzten Jahren sind viele Chancen versäumt worden, mehr mit Russland gemeinsam auch über europäische Sicherheit zu diskutieren und hier auf einen gemeinsamen Weg zu kommen. Es gab ja durchaus auch immer Impulse für eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur. Da hat man Moskau von europäischer und NATO-Seite eher immer belächelt.
    Oder die NATO hat ja beschlossen, ein Raketenabwehrsystem auch in Europa zu installieren, das für sehr viel Verunsicherung auf russischer Seite gesorgt hat, das mit keinem ernsthaften Kooperationsanspruch verbunden war. Das sind Zeichen, die sicherlich im Nachhinein sich als vertane Chancen erweisen, gemeinsam mit Russland auf einen besseren Weg zu kommen. Trotzdem rechtfertigt das alles natürlich in keinster Weise das, was Putin derzeit auf der Krim getan hat.
    Heinemann: Gemeinsam mit Russland auf einen besseren Weg, sagen Sie. Die Linke fordert die Auflösung der NATO und die Schaffung eines neuen Sicherheitssystems unter Einbeziehung Russlands. Hat die Linke die bessere Sicherheitspolitik?
    Brugger: Nein, das glaube ich auf keinen Fall. Die Linke oder einige linke Politiker haben sich mit ihren Äußerungen zur Ukraine eindeutig diskreditiert, wenn sie versuchen, die Bewegung der Menschen auf dem Maidan für mehr Frieden und Mitbestimmung und Freiheit als rechte Bewegung kategorisch zu diffamieren, und das haben wir als Grüne auch klar zurückgewiesen.
    "EU ist zentraler Akteur, um auf den Weg der Diplomatie zurückzufinden"
    Aber ich glaube, auch die Forderungen der Linken, was die NATO angeht, sind nicht besonders zielgerichtet. Trotzdem ist klar: Man muss mit Russland wieder gemeinsam auf einen Weg kommen, ohne in irgendeiner Art und Weise zu relativieren, was dort derzeit passiert, in der Ukraine und auf der Krim. Derzeit ist, glaube ich, jetzt nicht angesagt, gemeinsam über eine europäische Sicherheitsarchitektur zu diskutieren.
    Aber es geht darum, auf den Weg der Diplomatie zurückzufinden, militärische Eskalation in Europa zu vermeiden, und hier ist die EU der zentrale Akteur. Es geht auch um eine starke OSZE-Beobachtermission. All das sind jetzt wichtige Maßnahmen. Die Gesprächskanäle mit Russland über eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur sind natürlich erst mal an dieser Stelle jetzt nicht mehr aktuell.
    Heinemann: Frau Brugger, hat die Krim-Krise rot-rot-grüne Regierungsträume zerplatzen lassen?
    Brugger: Na ja, wir sind ja noch nicht bei 2017 angelangt.
    Heinemann: Wir sind aber schon bei 2014!
    Brugger: Das stimmt. Natürlich gibt es durchaus Differenzen und auch Unstimmigkeiten in der rot-rot-grünen Positionierung, was die Außenpolitik angeht. Aber das sind auch Themen, die wir auch gemeinsam mit den Abgeordneten in verschiedenen rot-rot-grünen Foren diskutieren, und man darf jetzt auch nicht die Äußerungen einzelner Abgeordneter der Linkspartei zur offiziellen Position der Linkspartei erklären.
    Heinemann: Waren aber ziemlich prominente Vertreter der Linkspartei, die das gesagt haben. Sie sprechen von Differenzen, Unstimmigkeiten, da finden Sie relativ schwache Worte.
    Brugger: Nein. Ich finde, ich habe das auch bisher öffentlich auch sehr stark zurückgewiesen. Ich habe die Äußerung von Herrn Gerke zum Beispiel als unterirdisch bezeichnet. Ich glaube, da muss man in der Sache auch klar sein. Trotzdem sollte man dann auch differenzieren. Ein Gregor Gysi hat anderes im Bundestag gesagt, als ein Wolfgang Gerke im Vorfeld in der Presse geäußert hat.
    "Abstruse Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht"
    Natürlich gibt es da Differenzen und da waren wir Grüne auch sehr klar. Trotzdem ist das für mich jetzt noch nicht der Punkt, wo man 2014 schon sagen kann, Rot-Rot-Grün kann niemals 2017 eine realistische Option sein. Das Feld der Außen- und Sicherheitspolitik bleibt natürlich eins der zentralen Problemfelder und da gibt es viele Differenzen. Da wird man aber in den nächsten Jahren schauen, ob man an dieser Stelle zusammenkommt oder nicht.
    Heinemann: Frau Brugger, kurz zum Schluss: Der frühere NATO-General Ramms sagt heute in einer Zeitung, wir brauchen die Wehrpflicht, Deutschland kann die Landesverteidigung im Bündnisfall anders nicht gewährleisten. Sollte Deutschland vorübergehend oder dauerhaft zur Wehrpflicht zurückkehren?
    Brugger: Das halte ich für eine wirklich abstruse Forderung an dieser Stelle. Mir scheint, dass hier einige ganz schnell wieder in die Kalte-Kriegs-Rhetorik zurückfallen wollen und die Wehrpflicht …
    Heinemann: Wehrpflicht ist ja nicht Kalter Krieg!
    Brugger: Na ja, die Begründung der Wehrpflicht war natürlich die damalige sicherheitspolitische Lage, eine mögliche Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Ostblock und der NATO. Ich glaube nicht, dass es jetzt richtig wäre, sowohl als Signal an die Partner nach Russland, aber auch in die deutsche Gesellschaft zu sagen, wir brauchen jetzt wieder die Wehrpflicht, weil wir ansonsten die Landes- und Bündnisverteidigung nicht sicherstellen können.
    Das ist nicht der Eindruck, den ich von der Bundeswehrreform habe, bei aller Kritik, die man wiederum daran äußern kann, und ich halte das wirklich für ein völlig falsches Signal und auch in der Lage für unangemessen. Wir müssen jetzt über diplomatische, zivile Maßnahmen diskutieren und nicht über die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder über die Aufrüstung an den NATO-Außengrenzen.
    Heinemann: Agnieszka Brugger, Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für Abrüstung. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Brugger: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.