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Ukraine-Krise
"Lawrows Vorschlag noch mal prüfen"

Der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Wolfgang Gehrcke, drängt auf eine Verhandlungslösung für die Ostukraine. Alles, auch ein Referendum für den Osten des Landes, sei besser als ein Bürgerkrieg, sagte der Linken-Politiker im Deutschlandfunk.

Wolfgang Gehrcke im Gespräch mit Gerd Breker | 14.04.2014
    Wolfgang Gehrcke
    Wolfgang Gehrcke ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken. (dpa / picture alliance / Bodo Marks)
    Der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Wolfgang Gehrcke, spricht sich dafür aus, dass eine internationale Kontaktgruppe schnell zusammen kommt, um eine Verhandlungslösung für die Ostukraine zu finden. Man sollte den Vorschlag des russischen Außenministers Lawrow über ein föderatives System für die Ukraine noch einmal prüfen, sagte Gehrcke im Deutschlandfunk. Alles sei besser als ein offener Bürgerkrieg. Ein Referendum für den Osten der Ukraine könnte Teil dieser Lösung sein.
    Zugleich kritisierte er den ukrainischen Anti-Terror-Einsatz. Der Übergangsregierung in Kiew fehlt dafür nach seiner Einschätzung die nötige demokratische Legitimation. Gehrcke fügte hinzu, auch die Entwaffnung der prorussischen Demonstranten müsse über Verhandlungen erzielt werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Gerd Breker: Das Ultimatum ist abgelaufen. Die Übergangsregierung in Kiew hat den Einsatz von Militär in der Ostukraine angedroht. Die prorussischen Besatzer in den Städten der Ostukraine sind schwer bewaffnet, es könnte blutig werden, wenn nicht noch eine Verhandlungslösung gefunden wird, und die könnte bestehen in einem Referendum, was der Übergangspräsident heute angeboten hat.
    Die Entwicklung in der Ukraine wird nicht nur als Bedrohung für die Weltwirtschaft gesehen, sie ist auch eine Bedrohung für den Frieden. Offenbar sehen das alle Seiten so. Der Weltsicherheitsrat hat sich in einer Sondersitzung in der Nacht auf Wunsch Moskaus damit befasst und so dokumentiert, dass Moskau mit seiner Einschätzung, die Übergangsregierung in Kiew sei an dieser Eskalation alleine Schuld, alleine dasteht. Der Westen, allen voran die USA, sehen Präsident Putin als Anstifter und Lenker der Unruhen nach der Krim nun in der Ostukraine.
    Außenminister Frank-Walter Steinmeier gehört zu denen, die in der Entwicklung in der Ukraine von Beginn an vor Gewalt gewarnt haben. Doch auch er gehört mehr zu den Zuschauern, denn zu den Handelnden. Er appelliert an Moskau, er hofft auf Einsicht und betont immer wieder, dass eine Eskalation auch nicht im Interesse von Russland sein kann. Steinmeier besucht derzeit China, sonst - wir haben es gehört - ein regelmäßiger Partner Russlands bei internationalen Konflikten. Diesmal jedoch nicht.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Gehrcke.
    Wolfgang Gehrcke: Schönen guten Tag.
    Breker: Ein Referendum für den Osten der Ukraine, ist das aus Ihrer Sicht der Weg, der Königsweg zu einer friedlichen Lösung?
    Gehrcke: Möglicherweise nicht der Königsweg, aber alles ist besser als ein offener Bürgerkrieg, dieser sogenannte Anti-Terror-Einsatz und bewaffneter Widerstand. Wenn man ein Paket daraus macht, könnte man eine ganze Reihe Dinge erreichen. Diese Kontaktgruppe muss schnell zusammentreten. Man muss den Lawrow-Vorschlag, den russischen Vorschlag auf ein föderatives System wirklich abklopfen. Da sind die letzten Worte noch nicht gesagt und dazu kann natürlich auch eine Abstimmung im Osten der Krim gehören. Das könnte ein Paket werden und damit eine Alternative zur Gewalt.
    Breker: Herr Gehrcke, es wird ja immer wieder diskutiert, wer sind denn eigentlich diese Separatisten, und sind unter den Separatisten nicht auch zahlreiche Provokateure, die von Moskau gesteuert werden. Wie sehen Sie das?
    Gehrcke: Das wird man aus der Ferne nicht genau beurteilen können. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass die Demonstranten des Maidan pauschal als prowestlich, vom CIA gesteuert und bewaffnet dargestellt werden. Genauso wehre ich mich über dieses pauschale Bild im Osten. Da sind sehr viele Menschen, denen es einfach sozial schlecht geht, die eine Verbesserung wollen, die auch nicht wollen, dass eine neue Mauer gen Russland aufgebaut wird. Ich weiß es im einzelnen nicht, aber ich weiß ganz genau, dass Gewalt keine Antwort ist.
    "Entwaffnung wäre wichtig"
    Breker: Wir wissen auch, dass diese Separatisten bewaffnet sind. Woher kommen die?
    Gehrcke: Ja, die Frage habe ich seit Langem. Woher kommen eigentlich die Waffen in allen Teilen der Ukraine? Zu meinem Verhandlungspaket - ich war ja gerade in Moskau und habe auch dafür geworben - würde gehören, dass man den Staat in die Lage versetzt, die Waffen insgesamt einzusammeln, sowohl in der Westukraine als auch in der Ostukraine. Das staatliche Gewaltmonopol muss wieder hergestellt werden und natürlich sind einzeln bewaffnete Menschen, die weiß Gott was mit ihren Waffen an Unheil anrichten, überhaupt keine Alternative. Die Entwaffnung wäre wichtig und eine genaue Aufklärung, wie die Bewaffnungen zustande gekommen sind, halte ich auch für wichtig. Das möchte ich schon wissen, übrigens auch von der Bundesregierung.
    Breker: Nur wer, Herr Gehrcke, soll die Entwaffnung der Milizen vornehmen?
    Gehrcke: Das muss in Verhandlungen geklärt werden. Wenn die Kontaktgruppe einen Sinn macht - das war ja ein Vorschlag der drei Außenminister von Polen, Frankreich und des deutschen Außenministers; der hat sich durchgesetzt, Russland hat es akzeptiert. Die OSZE geht mit 500 Beobachtern in die Ukraine, mit bis zu 500 Beobachtern. Natürlich wird man auch eine internationale Vereinbarung zustande bringen können, wenn alle es wollen, dass die Entwaffnung entweder vom Staat selber - das ist dann der Haken, dass gewählt werden muss, dass eine wirklich legale Regierung im Amte ist -, oder von einer internationalen Organisation durchgeführt wird. Ich messe der OSZE im Moment ganz hohe Bedeutung bei.
    Breker: Herr Gehrcke, verstehe ich Sie richtig, dass Sie finden, die Übergangsregierung hat nicht das Recht, die Separatisten zu entwaffnen, sondern Sie finden, es müsste erst gewählt werden und die dann gewählte Regierung, die dürfte dann die Entwaffnung von Milizen vornehmen?
    Gehrcke: Nein. Man kann immer pragmatische Lösungen finden. Nur es ist in der Tat so: Die Übergangsregierung ist nicht legal im Amt. Das ist bekannt. Die entsprechenden Quoren sind nicht erreicht worden. Es sagen viele, Revolution ist eben Revolution, aber ich setze mehr auf Rechtsstaatlichkeit. Und egal welche Regierung es ist, sie muss ein starkes Votum haben, eine starke Unterstützung haben, damit ihre Maßnahmen auch greifen. Das fehlt in der Ukraine.
    Breker: Wäre es aus Ihrer Sicht hilfreich, Herr Gehrcke, wenn Russland seine Truppen von den Grenzen der Ukraine abziehen würde?
    Gehrcke: Ja selbstverständlich! Auch da möchte ich eigentlich mehr Informationen haben. Ich habe meinen Moskauer Gesprächskollegen im Außenministerium und unter den Kollegen im russischen Parlament immer gesagt, ihr müsst doch ein Eigeninteresse daran haben, der Welt nachzuweisen, dass ihr, wenn es stimmt, wie ihr behauptet, euere Truppen längst zurückgezogen habt, dass es keine Truppenmassierung gibt. Truppenmassierungen sind immer eine Drohgeste und Moskau sollte alles vermeiden, was als Drohung verstanden werden könnte.
    "Jeder soll unabhängig von seiner Nationalität die gleichen Rechte haben"
    Breker: Und Moskau führt an, dass man die Rechte der russischen Minderheit in der Ukraine schützen will. Ist das nicht auch eine Bedrohung für andere ehemalige Sowjetrepubliken, denn russische Minderheiten gibt es ja in vielen Staaten?
    Gehrcke: Ja ich denke, dass man zweiseitig über die Frage nachdenken muss. Es gibt große russische Minderheiten in den baltischen Republiken. Die haben nur zum Teil gleiche Bürgerrechte wie andere Bürgerinnen und Bürger des Staates. Jetzt ist die Argumentation, die sind irgendwann vor 50 Jahren gewaltsam da hingebracht worden, oder wurden so verstanden. Dafür können die Menschen nichts. Jeder soll in dem Staat, wo er lebt, unabhängig seiner Nationalität die gleichen Rechte haben. Und wenn das der Fall ist, dann kann man von Moskau erwarten, dass es vielleicht noch mal ein Nostalgietreffen mit russischen Gesängen macht, aber nicht den Anspruch erheben, dass sie diese Menschen speziell zu vertreten hat. Das geht in keinem Staat. Auch das gehört aus meiner Sicht zu neuen Verhandlungen über Sicherheit in Europa.
    Breker: Herr Gehrcke, wenn man aus der Ferne auf das, was da in der Ostukraine geschieht, schaut, dann hat man das Gefühl, es ähnelt einer Zersetzungsstrategie, die normalerweise ja nur von Geheimdiensten angewandt wird, und dann fällt einem ein, dass Putin ja genau daher kommt.
    Gehrcke: Aber das ist doch keine neue Erkenntnis, dass Putin aus dem KGB kommt.
    Breker: Nein, aber dass da eine Zersetzungsstrategie stattfindet.
    Gehrcke: Aber das jetzt zum Problem zu machen, finde ich etwas absurd. Wissen Sie, in Moskau hat man mir gesagt, es gibt einen überbordenden, überschlagenden russischen Nationalismus derzeit, linke kritische Intellektuelle, die mit Putin wirklich nichts am Hut haben, und wenn man dann die Frage stellt, wer, glaubst Du, könnte diesen Nationalismus bremsen, dann fällt immer wieder der Name Putin. Man muss mit dem russischen Präsidenten verhandeln. Man muss ihn nicht mögen, sondern man muss mit ihm verhandeln. Er muss Teil der Lösung werden und nicht Teil des Problems. Anders kriegen Sie eine Lösung nicht hin.
    Breker: Normalerweise ist der, der bremst, auch derjenige, der Gas geben kann.
    Gehrcke: Ja.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Kollege Wolfgang Gehrcke. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei und auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, und wie wir gerade gehört haben, war er kürzlich in Moskau. Herr Gehrcke, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Gehrcke: Herzlichen Dank, und hoffentlich geht alles gut aus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.