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Ukraine
Machtprobe in Kiew

In der Ukraine geht der Kampf um die Demokratie weiter. Mit Vitali Klitschko gibt es nun einen Politiker, der sowohl bei den pro-europäischen West-, als auch bei den kremlnahen Ostukrainern hohes Ansehen genießt. Doch auch er kann das generelle Misstrauen der Bürger gegenüber Politikern nicht ausräumen.

Von Florian Kellermann | 10.12.2013
    Der Chef der Oppositionspartei Udar, Vitali Klitschko, redet am 8.12.2013 bei einer Protestkundgebung in Kiew
    Noch genießt er das Vertrauen vieler Ukrainer: Vitali Klitschko. (AFP / Sergei Supinsky)
    Die Demonstranten in Kiew ruhen sich ab und zu auch aus: Eine kleine Gruppe hat sich etwas abseits der Kundgebungen an die Straße gestellt - und singt ein ukrainisches Volkslied. Es handelt nicht von der Politik, sondern von der Liebe. Es gehe bei den Protesten ja auch nicht um Politik im engen Sinn, sagt Vasyl Kortschynskyj, 58 Jahre alt, einer der Versammelten.
    Kortschynskyj: "Uns hat keine politische Partei hierher gerufen, wie bei früheren Protesten. Das ist ein innerer Antrieb: Wir wollen einfach in einem unabhängigen, demokratischen Staat leben. Deshalb brauchen wir eine neue Staatsspitze. Gott gebe, dass sie besser wird als die heutige."
    Er würde bei Neuwahlen wahrscheinlich für den Boxer Vitali Klitschko stimmen, sagt Kortschynskj.
    Kortschynskyj: "Er ist noch nicht so lange in der Politik, deshalb ist er noch nicht so gerissen wie die anderen. Das finde ich gut. Er kann auch nicht so schön reden, aber bei ihm habe ich immerhin das Gefühl, dass er es ehrlich meint, dass bei ihm die Worte aus der Seele kommen."
    Zweimal bewarb sich Klitschko schon um das Amt des Kiewer Bürgermeisters, zweimal unterlag er. Für die Präsidentenwahl habe das nichts zu sagen, meint Kortschynski, inzwischen sei der Boxer viel populärer.
    Klitschko weckt Hoffnungen
    "Fort mit der Bande", skandieren die Demonstranten am Kiewer Unabhängigkeitsplatz. Sie werfen dem Staatschef Janukowitsch und seiner Regierung vor, sich im Amt persönlich zu bereichern. So Kirill Marlinski, ein 30-jähriger Betriebswirt, der über vier Jahre in Deutschland lebte.
    Marlinski: "Zum Beispiel Janukowitsch, der Präsident. Sein Sohn, der die Geschäftsinteressen der Familie kontrolliert, er brauchte vier Jahre, um Milliardär zu werden. Hat er etwas dafür gemacht? Eigentlich nicht."
    Polizisten mit Schilden und Helmen stehen einer Reihe Demonstranten gegenüber.
    Auge in Auge: In Kiew stehen sich Demonstranten und Bereitschaftspolizisten gegenüber. (Sergey Dolzhenko / picture alliance / dpa)
    Klitschko dagegen weckt bei den Menschen die Hoffnung, dass es ihm wirklich um das Land geht, sagt Kirill.
    Marlinski: "Ich denke nicht, dass er sich noch bereichern will. Er hat sich mit seinen Fäusten schon ein gutes Kapital verdient. Ihm könnte man vertrauen, vielleicht."
    Für Klitschko spricht außerdem, dass er als einziger Oppositionspolitiker auch in den russischsprachigen Landesteilen auf Sympathie stößt, im Osten und im Süden. Die Menschen dort stimmten bei der letzten Präsidentenwahl mit großer Mehrheit für Janukowitsch, der ihnen eine Annäherung an Russland versprach.
    Organisierte Gegenproteste
    Die "Partei der Regionen" des amtierenden Präsidenten bringt zurzeit regelmäßig Hunderte Ostukrainer mit Bussen nach Kiew. Sie nehmen an Gegendemonstrationen teil, die zeigen sollen, dass längst nicht alle Ukrainer die Proteste am Unabhängigkeitsplatz unterstützen. So der 24-jährige Serhij, ein Bergarbeiter aus Pawlohrad in der Ostukraine.
    Serhij: "Eine EU-Annäherung könnte uns vielleicht nützen, aber nicht unter den Bedingungen, die uns angeboten wurden. Wir können unsere Produkte in der EU gar nicht absetzen. Das gilt für unsere Kohle genauso wie für unseren Stahl, die angeblich nicht den EU-Standards genügen."
    Die Demonstrationen auf dem Unabhängigkeitsplatz findet Serhij unmoralisch.
    Serhij: "Es ist doch nicht in Ordnung, dass ich jeden Tag arbeiten gehe und Kohle für das Land fördere, während diese Westukrainer nur demonstrieren. Sie haben alles zurückgelassen, ihr Zuhause und ihre Arbeit, sitzen jetzt im warmen Zelt. Dafür werden sie von den Oppositionsparteien auch noch bezahlt."
    Woher er das wissen will? Er kenne doch die Ukraine, sagt Serhij, schließlich habe ihm die "Partei der Regionen" ja auch Geld dafür gegeben, dass er nach Kiew kam.
    "Dagegen, dass wir irgendwo beitreten"
    Manche Ostukrainer fürchten auch, dass Russland seine Grenzen für sie schließt, wenn sich die Ukraine der EU anschließt, sagt Irina Romaniwna, eine 65-jährige Rentnerin.
    Romaniwna: "Wir dürfen doch unsere guten Beziehungen nicht verlieren. Durch die Sowjetunion haben wir alle Verwandte in Moskau oder St. Petersburg oder auch in Minsk in Weißrussland. Ich bin dagegen, dass wir irgendwo beitreten. Wir sollten selbst dafür sorgen, dass wir einmal so gut leben wie die Menschen in der EU."
    Viele Ostukrainer wiederholen genau die Argumente, die ihnen im russischen und im staatlichen ukrainischen Fernsehen täglich vorformuliert werden. Dennoch könnte Vitali Klitschko zu den Menschen dort vordringen - weniger wegen seines Programms, als vielmehr wegen seiner Persönlichkeit. Serhij, der Bergarbeiter, sagt über ihn:
    Serhij: "Für ihn als Boxer habe ich große Sympathien, ich bin ja selbst Sportler. Auch als Mensch hat er einen guten Ruf, ich habe den Sportplatz gesehen, den er in Kiew gestiftet hat. Deswegen war ich eigentlich enttäuscht, dass er in die Politik geht, das ist doch ein schmutziges Geschäft."