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Ukraine
Mit Selenskyj in eine ungewisse Zukunft

Seinen großen Erfolg hat der zukünftige Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, vor allem der Enttäuschung über Amtsinhaber Poroschenko zu verdanken. Er selbst ist politisch unerfahren. Im Wahlkampf hatte er versprochen, gegen Armut und Korruption zu kämpfen.

Von Florian Kellermann | 23.04.2019
Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskyj jubelt nach den ersten Prognosen bei der Stichwahl um das Präsidentenamt.
Die Ukraine hat mit Selenskyj den jüngsten Präsidenten in ihrer Geschichte. (AFP - Genya Savilov)
Die Ukraine hat den jüngsten Präsidenten in ihrer Geschichte. Der 41-jährige Selenskyj hat über 73 Prozent der Stimmen bekommen. So der Stand nach Auszählung fast aller Wahlkreise gestern Abend. Für den Amtsinhaber Petro Poroschenko stimmte nicht einmal jeder vierte Wähler.
Eine der ersten Fragen, die dem Wahlsieger gestellt wurden: Wer nun an seiner Stelle in Selenskyjs Kabarett-Truppe auftreten werde? Die humorvolle Antwort:
"Das weiß ich nicht, wir haben ja viele talentierte junge Männer. Und ich darf wohl nicht mehr dazu kommen? Nein, das war natürlich ein Scherz, ich werde höchstens zuschauen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn die Komiker über mich herziehen. So erkenne ich doch meine Fehler und was in der Ukraine schief läuft."
Kaum öffentliche Auftritte im Wahlkampf
Selenskyj führte einen ungewöhnlichen Wahlkampf. Er zeigte sich kaum der Öffentlichkeit und gab nur wenige Interviews. Er war vor allem im Fernsehen präsent - durch seine Satire-Show und in der Serie "Diener des Volkes". Dort spielt er seit drei Jahren einen Lehrer, der überraschend Präsident wird.
Dass er damit Erfolg hatte, liegt nach Ansicht der meisten Beobachter an der großen Enttäuschung der Ukrainer über Amtsinhaber Poroschenko. Dieser strich am Wahlabend dennoch seine Verdienste heraus:
"Ich verlasse das Präsidentenamt - aber nicht die Politik. Meine Mannschaft und ich, wir müssen das verteidigen, was wir gemeinsam mit der ukrainischen Nation in fünf Jahren errungen haben. Wir haben am Kurs auf die EU und die Nato festgehalten und an den Prinzipien, die dazu gehören. Leider stehen diese Errungenschaften jetzt in Frage."
Poroschenko wurde vor allem vorgeworfen, dass er wenig gegen die Korruption im Land unternahm - auch nicht in seinen eigenen Reihen. Selenskyj stammt aus der Industriestadt Krywyj Rih im Südosten der Ukraine. Besonders beliebt ist er im russischsprachigen Osten und Süden des Landes. Allerdings lag er auch in den meisten westlichen Bezirken vor dem Amtsinhaber Poroschenko.
Im Wahlkampf versprach er, die Armut und die Korruption zu bekämpfen. Außerdem wolle er einen neuen Anlauf machen, um den Krieg im Donezbecken zu beenden. Dort kämpft die Ukraine gegen von Russland finanzierte und gelenkte Separatisten und Söldner.
Festhalten am Normandie-Format
Selenskyj werde dabei am sogenannten Normandie-Format festhalten, erklärte sein politischer Berater Dmytro Rasumkow. Dieses Format besteht darin, dass sich Vertreter von Deutschland, Frankreich, Russland der Ukraine verständigen. Zentrales Element dabei sind die Friedensvereinbarungen in Minsk vor vier Jahren. Rasumkow sagte:
"Vom Normandie-Format und von den Minsker Vereinbarungen dürfen wir nicht abrücken. Ja, sie haben sich als nicht besonders effektiv erwiesen. Aber mit ihnen sind die wichtigen internationalen Sanktionen gegen Russland verbunden."
Allerdings wolle Selenskyj versuchen, auch Großbritannien und die USA stärker in den Friedensprozess einzubinden.
Der noch amtierende Präsident Poroschenko warf Selenskyj wiederholt vor, er sein ein prorussischer Kandidat. Dies wies der 41-Jährige stets weit von sich. Beim TV-Duell mit Poroschenko erklärte er, die ukrainische Nation habe längst entschieden, sich der Europäischen Union anzunähern. Auch über einen möglichen Nato-Beitritt äußerte er sich positiv, erklärte jedoch, zuvor müssten die Ukrainer darüber in einem Volksentscheid bestimmen.
Die politischen Beobachter in Kiew richten ihren Blick nun bereits auf die Parlamentswahl im Herbst. Selenskyj wird auch dort versuchen, mit seiner Partei, die "Diener des Volkes" heißt, zumindest stärkste Fraktion zu werden.