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Ukraine
Mit Talar und Amtskreuz zwischen den Fronten

Der Pfarrer der deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Kiew Ralf Haska hat sich bei den Ausschreitungen zwischen die Demonstranten und Milizen gestellt, um Blutvergießen zu verhindern. Die Demonstranten hätten verdutzt reagiert, sagte der Pfarrer im DLF. Er hege große Sympathie für friedlichen Protest.

Ralf Haska im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.01.2014
    Gewalt zwischen Demonstranten und der Polizei am Sonntag
    Am Sonntag kam es in der ukrainischen Hauptstadt wieder zu Ausschreitungen. (dpa / picture-alliance / Sergey Dolzhenko)
    Friedbert Meurer: Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hat der Opposition ein Angebot übers Wochenende unterbreitet. Ihre führenden Köpfe können in die Regierung einziehen, sogar den Regierungschef und den Stellvertreter stellen. Das hat die Spitze der Opposition aber dankend abgelehnt. Alles andere als der Rücktritt von Janukowitsch und Neuwahlen sind ihr zu wenig. Im Gegenteil: Radikale Demonstranten haben anschließend das Justizministerium gestürmt und halten es besetzt. Alle Appelle des Oppositionsführers Vitali Klitschko, das Ministerium doch zu räumen, sind bislang ungehört verhallt. Teile der Opposition haben sich längst radikalisiert.
    In Kiew gibt es eine evangelisch-lutherische Gemeinde, die St. Katharinen-Gemeinde, gleich ganz in der Nähe des Maidan-Platzes, und Pfarrer dieser Gemeinde ist der deutsche Pfarrer Ralf Haska. Jetzt bin ich mit ihm verbunden. Guten Tag, Herr Haska!
    Auseinandersetzungen nehmen zu
    Ralf Haska: Einen schönen guten Tag!
    Meurer: Was passiert in diesen Tagen in und vor Ihrer Kirche?
    Haska: Im Grunde genommen haben Sie gerade das alles schon berichtet. Es ist tatsächlich so, dass die Auseinandersetzungen zunehmen, dass immer mehr Gebäude besetzt werden, letzte Nacht das Justizministerium, das sich ja in der Parallelstraße zu unserer Straße befindet, also ganz nah dran. Ich war heute Morgen auch da, habe das angeschaut und mir ein Bild darüber gemacht. Man baut die Barrikaden weiter aus, man nutzt den Platz weiter, baut neue Barrikaden und sperrt immer weiter Straßen ab. Vor unserer Kirche: Im Moment ist es gerade ziemlich ruhig. Wir hatten Ende letzter Woche einen Angriff der ja doch radikalen Protestierenden, die die Milizeinheiten hier vor unserer Kirche angegriffen haben, die LKW hier mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt haben und sich nur ganz schwer wieder beruhigen ließen. In der Kirche ist es wie gesagt im Moment ruhig, sowie auch im Stadtzentrum es im Moment gerade ruhig ist. Ich bin ja vor anderthalb Stunden gerade erst über den Maidan gelaufen, in die (*)-Straße, wo die schweren Auseinandersetzungen waren.
    Meurer: Wer kommt denn, Herr Haska, da Sie gerade schildern, was sich da vor Ihrer Kirche abgespielt hat, dieser Angriff radikaler jugendlicher Oppositioneller auf Milizen, wer kommt denn zu Ihnen in die Kirche? Sind das also nicht nur Oppositionelle?
    Haska: In die Kirche kommen im Moment nur sporadisch Leute, weil sich das eher alles tatsächlich unten auf den Maidan konzentriert, der ja so drei, vier, 500 Meter entfernt ist von der Kirche und die Leute da unten sich eher wärmen und den Weg hier den Berg hoch nicht nehmen. Es kommt Leute, die sich mal duschen wollen, Leute, die auch mal einen Kaffee, einen Tee trinken und sich einfach aufwärmen wollen. Wir haben im Moment 15 Grad Minus, das ist ganz wichtig. Und es kommen auch sporadisch die Milizleute, eher am Abend, nicht am Tage, eher sozusagen im Schutz der Dunkelheit, die dann kommen, Toiletten aufsuchen und vor allen Dingen ihre Handys bei uns aufladen können.
    "Demonstrierenden waren so verdutzt"
    Meurer: Ich habe von Ihnen gelesen, dass Sie selbst Talar und Stola angezogen haben, rausgegangen sind – das haben Sie ja eben geschildert, wo Sie heute waren – und sich zwischen die Fronten gestellt haben. Das haben Sie aber bei dieser Szene, die Sie gerade geschildert haben, mit den Milizen und den radikalen jungen Leuten nicht getan?
    Haska: Doch, ich habe es wieder machen müssen, leider, weil ich ja große Angst hatte, dass die Auseinandersetzungen hier ganz blutig auslaufen werden und verlaufen werden. Ich habe die ja kommen sehen und bin dann auch wieder mit Talar und Amtskreuz da zwischen die Fronten. Und wie gesagt: Die Demonstrierenden waren so verdutzt, dass da plötzlich ein Geistlicher vor ihnen stand und ihnen nur noch zuschrie, wollt ihr noch mehr Tote, wollt ihr noch mehr Tote, dass die erst mal ein Stück zurück sind, und ich konnte noch mit den Berkut-Leuten reden, die mit ihren Gewehren, mit ihren Gummigeschoss-Wehren dann natürlich sofort gestürmt kamen. Aber Gott sei Dank ist es hier vor der Kirche dann ohne Blutvergießen abgegangen. Es ist aber immer so eine Sache, die einen total aufwühlt und die einem Angst macht.
    Meurer: Das hätte ja auch ganz anders laufen können, Herr Haska. Haben Sie keine Angst um sich?
    Haska: Ja, das hätte anders laufen können. Die hätten mich auch zur Seite schubsen können und einfach irgendwo hinstellen können, festhalten und so. Das hätte passieren können. Aber, ich denke, man muss einfach das tun, was man machen kann, und ich habe eben gehofft – und Gott sei Dank war das ja auch noch so, wie ich es erhofft hatte -, dass ein Stück Respekt vielleicht vor einem Geistlichen einfach noch da ist, und das war in dem Moment noch so. Ich weiß allerdings nicht, wie lange das so hält und wie lange sich die Menschen so voneinander abhalten lassen. Keine Ahnung.
    "Ich habe große Sympathien für einen friedlichen Protest"
    Meurer: Auf welcher Seite stehen Sie, Herr Haska?
    Haska: Ich sage es mal so: Ich habe große Sympathien für einen friedlichen Protest. Ich habe große Sympathien dafür, dass Menschen auf die Straße gehen für ihre Rechte und gegen Gesetze, die ihre Rechte einschränken oder beschneiden oder ganz und gar für unmöglich erklären. Da habe ich große Sympathie dafür. Ich finde eigentlich nicht gut, dass das tatsächlich hier groß in Gewalt ausartet und dass immer wieder Angriffe geführt werden. Auf der anderen Seite sagen mir natürlich auch die Leute, mit denen ich rede, zu verantworten hat letztlich das ganze die Regierung, die nie auf uns gehört hat und den Druck immer weiter aufgebaut hat, und dann kommt es eben zu solchen Explosionen, wie wir es jetzt hier erleben.
    Meurer: Vitali Klitschko versucht ja, die jungen Leute zu mäßigen, dazu zu bewegen, zum Beispiel jetzt die Besetzung des Justizministeriums aufzugeben. Geben Sie dem eine Erfolgschance?
    Haska: Da müsste ich Prophet sein, um das zu sagen. Das bin ich nicht. Ich ganz persönlich denke, dass er da keinen großen Einfluss haben wird und dass die Demonstranten das, was sie erkämpft oder eingenommen haben, nicht wieder hergeben werden. Deshalb auch diese große Barrikade, die da sofort gebaut wurde. Da ist eine Riesenbarrikade gebaut worden aus Schneesäcken und Eissäcken, die so leicht nicht einzunehmen sein wird. Das zeigt, dass man das verteidigen will, was man hat, und ich glaube nicht, dass das groß von Erfolg gekrönt sein wird, wenn man jetzt sagt, geht mal da lieber wieder raus. Das glaube ich nicht.
    Meurer: Pfarrer Ralf Haska von der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Kiew stellt sich zwischen die Fronten von Milizen und radikalen Demonstranten. Herr Haska, ich wünsche Ihnen alles Gute! Auf Wiederhören nach Kiew!
    Haska: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (*Anmerkung der Online-Redaktion: unverständlicher Straßenname)